Vorschau: Bayerns Champions-League-Auftakt in Barcelona

Justin Trenner 13.09.2021

Mit einem 4:1-Sieg bei RaBa Leipzig setzen die Bayern in der Bundesliga ein weiteres Zeichen. Vor allem in der zweiten Halbzeit zeigen sie dabei eine durchaus ansprechende Leistung und machen weitere Schritte nach vorn. Doch reicht das, um jetzt auch in der Champions League durchzumarschieren?

Was Julian Nagelsmann jetzt schon erreicht hat, sind klare Fortschritte im taktischen Bereich, was defensive Stabilität anbelangt. Die Zahlen zeigen das im Moment nur teilweise, was aber andere Gründe hat. Vier Gegentore in vier Spielen, also hochgerechnet 34 Gegentreffer in einer Bundesligasaison sind für den eigenen Anspruch noch zu viel. Allerdings sind 3,8 Expected Goals insgesamt und 9,5 zugelassene Abschlüsse pro 90 Minuten jeweils Bestwert in der Liga.

Die Chancen, die Bayern zulässt, entstehen oft nicht aus taktischen Unsauberkeiten, sondern viel mehr aus individuellen Fehlern – beispielsweise als Goretzka gegen Hertha Davie Selke in der ersten Minute frei vor das Tor von Manuel Neuer schickte (rund 0,2 xG). Ansonsten erscheint das Spiel der Bayern defensiv schon stabiler. Auch weil Spieler wie Dayot Upamecano, Niklas Süle und der jetzt wieder fitte Lucas Hernández bisher bis auf kleinere Ausnahmen überzeugen konnten.

FC Bayern zwischen klarem Fortschritt und kleinen Problemen

Dass Nagelsmann noch konsequenter als Hansi Flick darauf achtet, dass drei Spieler hinten absichern, ist ein taktischer Faktor für die wachsende Stabilität. Der entscheidendere dürfte aber der Fokus auf ein enger gestaffeltes Positionsspiel im Zentrum sein. Nicht nur Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller achten auf ihre Abstände zueinander, sondern auch die oft etwas eingerückter agierenden Flügelspieler helfen in Gegenpressingmomenten.

Eine große Veränderung sind zudem tiefere Verteidigungsphasen, in denen die Bayern eher in einem Mittelfeldpressing agieren und nur Müller und Robert Lewandowski weiter vorn anlaufen. Insgesamt ist die Mannschaft auch hinter der ersten Pressinglinie aggressiver geworden, verteidigt eher mal nach vorn und schiebt konsequenter nach, wodurch die Bayern insgesamt kompakter agieren.

Fast 45-mal pro Spiel setzen die Münchner aktuell den Gegner im eigenen Angriffsdrittel unter Druck – rund einmal weniger als in der letzten Saison. 77 Drucksituationen im Mittelfeld und fast 46 im Abwehrdrittel sind aber zwölf beziehungsweise zehn mehr – allerdings bei 3 % weniger Ballbesitz. Dennoch scheint die Defensive aufmerksamer zu agieren und durch eine ausbalanciertere Raumaufteilung schneller in die Zweikämpfe zu kommen.

Nicht alles läuft rund

Alles rosig also beim FC Bayern? Ganz ohne Makel ist das Spiel noch nicht. Gerade das viel gefeierte 4:1 gegen Leipzig offenbarte, dass es im Spiel nach vorn noch etwas hakt. Neben individuellen Fehlern, die den Gegner immer mal wieder zum Kontern einladen, sind noch Schwächen bei gegnerischen Angriffen über außen zu erkennen. Viele Abschlüsse der Gegner resultieren aus Pässen und Flanken aus dem Halbfeld oder direkt vom Flügel.

Das dürfte auch daran liegen, dass Bayern mit Ball etwas enger positioniert angreift und auch gegen den Ball entsprechend kompakt agiert. Das abzusichern und Flanken früh genug zu verteidigen, ist noch eine der größeren Aufgaben für Nagelsmann bei einer ansonsten schon gut aufgestellten Defensive.

Wenn die Spieler darüber hinaus ihren Rhythmus finden, werden sich wohl auch die individuellen Fehler verringern. Doch nur mit dem frühen Zeitpunkt der Saison lassen sich die vielen Ballverluste gegen Leipzig auch nicht erklären. Eine 76-prozentige Passquote, lediglich 47,5 % Ballbesitz und einige gefährliche Kontersituationen, die RaBa schlecht ausspielte sollten vom Ergebnis nicht überschattet werden.

Zu viel Schlagabtausch gegen Leipzig

Bayern hat sich von Leipzig in zu vielen Phasen ein wildes Spiel aufzwingen lassen. RaBa überbrückte die erste Pressinglinie der Bayern meist mit langen Pässen, um anschließend ihr eigenes Gegenpressing aufziehen zu können. Das führte wiederum zu ein paar guten, weil hohen Ballgewinnen. Bayern fehlte im Spielaufbau die Ruhe und Momente des druckvollen Angriffspressings gab es nur selten. 36 Drucksituationen im Angriffsdrittel sind unterdurchschnittlich, während Leipzig mit 68 in einigen Situationen enormen Druck entfachen konnte.

Gerade nach dem ersten und dem zweiten Tor hätte man ein kontrollierteres Spiel erwarten können, stattdessen liefen die Bayern aber jeweils in einen Schlagabtausch. Sie konnten ihn zwar für sich entscheiden, doch Leipzig machte es ihnen mit einem im letzten Drittel eklatant unpräzisen Spiel auch recht einfach. Und das ist dann eben das große „Aber“ bei der Bewertung der Tiefenverteidigung des Rekordmeisters.

Zwar wirkten sie auch in längeren Phasen ohne Ball oft stabil, aber es gab genug Situationen, in denen RaBa aus seinen Angriffen viel zu wenig machte. Darauf verlassen, dass das immer klappt, wäre demnach gefährlich. Vor allem in der Champions League.

Barcelona und die Frage nach der tatsächlichen Qualität

Und vor allem gegen den FC Barcelona – sollte man meinen. Dass Barça aber nicht mehr den Glanz alter Tage hat, dürfte die Runde gemacht haben. Mit zwei Siegen und einem Unentschieden sind sie okay in die Saison gestartet, aber auch sie sind nach dem Messi-Abgang und anderweitigen Problemen noch auf der Suche nach Rhythmus und vor allem nach sich selbst.

Beim 4:2-Auftaktsieg sah das offensiv schon recht ansprechend aus. Man schaffte es, die Gäste mit gutem Positions- und Passspiel weitestgehend zu kontrollieren und dynamisch wie druckvoll in die Spitze zu spielen. Allerdings deuteten sich schon dort Defensivsorgen an, die sich beim 1:1 in Bilbao und beim knappen 2:1-Erfolg gegen Getafe bestätigen sollten.

In der Arbeit gegen den Ball sind die Katalanen noch zu unsortiert und vor allem zu passiv. Im Mittelfeld könnte das gegen laufstarke Bayern problematisch werden. Ohnehin hatte Barça noch keinen Gegner, der ihr Ballbesitzspiel so attackieren kann wie der Rekordmeister aus Deutschland. Insofern wird das ein großer Test für die Post-Messi-Mannschaft.

Für Barcelona steht mehr auf dem Spiel

Aber auch für die Bayern-Defensive wird es eine kleine Standortbestimmung. Nagelsmann wird seine Hintermannschaft primär auf Angriffe über die eigene rechte Seite einstellen müssen. 46 % aller Barça-Angriffe laufen über links und somit über Jordi Albas Seite. Auch die beiden Achter Frenkie de Jong und Pedri verschoben mitunter stark nach links, während der nominelle Stürmer Memphis Depay seine Stärken ebenfalls vor allem im linken Halbraum hat. Diese Überladungen funktionierten bisher aber eher mäßig.

Einerseits hat Barça so einige Durchbrüche erspielen können, andererseits ist das Spiel über eine Seite aber dennoch zu berechenbar. Bei Ballverlusten gelang es den Gegnern außerdem hin und wieder, über die ballferne Seite gefährlich zu werden.

Und so ist dann trotz sieben Punkten aus drei Partien noch ordentlich Sand im Getriebe bei Barcelona. Von der individuellen Qualität her rennen sie ihren Ansprüchen ebenso hinterher wie auf taktischer Ebene. Dennoch verfügt diese Mannschaft immer noch über viele Spieler mit ausgeprägten Fähigkeiten im technischen Bereich, was gegen offensiv eingestellte Teams wie Bayern immer hilfreich ist.

Die Münchner gehen ohne Frage als Favoriten in dieses erste Gruppenspiel. Für Barcelona ist es viel eher eine Standortbestimmung als für den Champions-League-Sieger von 2020 – auch und gerade weil die Katalanen mehr unter Beweis stellen müssen als ihr Gegner.



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