Bayern gewinnt im Schneesturm von Kiev
Falls Ihr es verpasst habt
Die Aufstellung
Vier Tage nach der überraschenden Niederlage in Augsburg flog das Team ins verschneite Kiev. Wobei der Begriff “Team” hier sehr dehnbar angewendet wird, war doch nicht einmal mehr ein Rumpfkader übrig geblieben. Neben den bekannten fünf (noch?) Impfverweigerern (Update: Offenbar teilweise nicht mehr) fehlten auch Marcel Sabitzer, sowie der gesperrte Upamecano, sodass nur noch vier Feldspieler auf Bayerns Bank saßen. Und selbst diese vier waren eher Alibi-mäßig mitgereist, hat Julian Nagelsmann doch nur Omar Richards in den letzten Monaten wirkliche Spielzeit gegeben. Gleich zwei Ersatzkeeper waren im Kader, man konnte also durchaus fragen, wie nah Manuel Neuer am Status Feldspieler war. Näher dürfte er in einem seriösen Pflichtspiel einem Positionstausch nie gekommen sein.
Ungeachtet der Verletzungssorgen konnte sich die Startelf indes sehen lassen. Die hinterste Kette sprach durchgehend französisch, in die Startelf rückte Tanguy Nianzou. Wingbacks waren Davies und Coman, Corentin Tolisso bekam nach längerer Zeit mal wieder eine Startelfchance an der Seite Leon Goretzkas. Den Dreizack vorne bildeten Sané, Müller und Lewandowski.
Dynamo Kiev war weiterhin die eigentlich durchaus spannende junge ukrainische Mannschaft, die sie auch schon vor einem Monat war. Besonders interessant waren Tsygankov, Shaparenko und Mykolenko. Am heutigen Tag sollte der entscheidende Spieler allerdings die Rückennummer 0 haben. So viel Grad Celsius war es nämlich in der zentralen Ukraine. Der Himmel machte gleich mit und beschenkte die Auswärtsmannschaft mit einem Schneefall, den die Bayern zuletzt so vor gut einem Jahr in Kiel erlebt hatten.
1. Halbzeit
Der FC Bayern kam von Beginn an ziemlich gut mit den Bedingungen zurecht, womöglich auch, weil das Feld am Anfang noch sehr aufgeräumt war. Viel Tempo war nicht im Spiel, so fiel die Weltklasse des ersten Tores auch ziemlich aus der Reihe. Nach einer Viertelstunde prallte der Ball von der Ferse eines Kievschen Abwehrbeines, Lewandowski stieg in die Luft, drehte sich und verwandelte malerisch schön mit einem Fallrückzieher ins kurze Eck. Ein perfekter Zeitpunkt für so ein Tor, nicht nur wegen diesem Spiel, sondern insbesondere wo doch gerade jetzt die Wahlrunde zum Ballon d’Or eröffnet wurde.
Bayern kontrollierte in der Folge das Spiel mit angezogener Handbremse. Vorne gab es kaum glasklare Chance, hinten aber auch nicht. Obwohl Neuer sich in einer Szene zu einer ziemlichen Slapstick-Nummer einladen ließ.
Kurz vor Halbzeitschluss schlug der Rekordmeister aber trotzdem noch einmal zu. Tolisso schlug eine schöne Flanke diagonal in den Strafraum, Müller narrte mit einer Körpertäuschung Dynamos Abwehr und ließ Coman so freie Fahrt. Der Franzose nahm den Ball stark an und schweißte das Spielgerät anschließend kompromisslos hoch ins lange Eck. Mit einer 2:0-Führung ging es somit in die Halbzeitpause
2. Halbzeit
Nagelsmann wechselte zur Pause etwas überraschend Bouna Sarr für Hernández in die Partie, was zu Rotation in der Abwehrkette führte. Pavard rückte ins Zentrum, Sarr auf Pavards Halbposition, während Nianzou aus dem Zentrum auf die linke Seite rückte.
Gleich in der zweiten Minute des zweiten Durchgangs musste Neuer sein Team in größter Not mit einer Doppelparade aus spitzem Winkel retten. Danach beruhigte sich das Spiel wieder etwas. In der 67. Minute brachte Nagelsmann Marc Roca für Coman und stellte auf Viererkette um. Sarr und Davies bildeten die Flügel, Pavard und Nianzou das Zentrum. Wirklich geordnet wirkte die neue Formation jedoch nicht und wurde keine fünf Minuten später prompt bestraft. Dynamo spielte zielstrebig und schnell nach vorne, nach einem Seitenwechsel auf Tsygankov, spielte dieser schnell in die Spitze zu Garmash, der frei vor Neuer diesem einen seltenen Beinschuss verpasste – 1:2 (72.). Die Abwehr stellte ihre Arbeit auch in der Folge gefühlt fast ein, Neuer bekam viel mehr zu tun, als er wollte. Nur war allerdings ebenfalls ersichtlich, dass Dynamos Tor ihr erst erstes Tor im laufenden Wettbewerb war. So ging dieses Spiel mit 2:1 zu Ende, Bayern konnte dieses mal es also vermeiden, an frühere verlorene Schneeschlachten anzuknüpfen. Am Samstag empfangen die Münchner Arminia Bielefeld.
Dinge, die auffielen
1. Keine Werbung der Abgehängten
So viele verletzte, gesperrte und quarantinierte Profis hieß im Umkehrschluss ganz zwangsläufig eine neue Chance für so manch abgehängten Profi. Also für die Spieler, die in den letzten Wochen höchstens zwischen Bank und Tribüne pendelten. Leider nutzten weder Bouna Sarr noch Marc Roca ihre Möglichkeiten. Sarr führte immer wieder schlechte Zweikämpfe, zog dumme Fouls und spielte schlampige Pässe. An seinem Status als Rechtsverteidiger Nummer Vier wird er heute nicht gerüttelt haben dürfen.
Ähnlich glücklos war Marc Rocas Auftritt. Im Gegensatz zu Sarr hatte er nur ein wirklich negatives Highlight – der Fehlpass, der das 1:2 einleitete. In der Folge blieb er komplett unsichtbar, und das obwohl Dynamo nun seine stärkste Phase hatte und Neuer mächtig was zu tun bekam. Auch wenn er sicherlich viel mehr kann und es ihm auch einfach an Selbstvertrauen fehlt, es scheint bei Roca immer klarer, dass es einfach nicht für den FC Bayern reicht. Gerüchte existieren ja nun schon länger und dieser Auftritt wird diese eher noch befeuern.
Tanguy Nianzou reiht sich in diese Reihe nicht wirklich ein, hat er doch tatsächlich in den letzten Wochen relevante Spielzeit schon bekommen, trotzdem sei er hier erwähnt. Sein Spiel hatte zwei Gesichter, das gute aus den ersten 70 Minuten, wo er einige Male erfolgreich klären konnte und das schlechte aus den letzten Minuten bis zu seiner Verletzung, wo die Abwehrreihe auch mit ihm mächtig schwamm und sie nur Kapitän Neuer am kentern hinderte.
2. Goretzka, der Defensivanker
Auch Leon Goretzka durchlebte ein ziemlich zweigesichtiges Spiel. In Halbzeit Eins “glänzte” er noch mit viel Abwesenheit, er schien Zweikämpfe zu vermeiden und wirkte auch sonst rechte teilnahmslos. Das änderte sich allerdings in der zweiten Hälfte, als er diese völlig durchgewürfelte Mannschaft mit Präsenz und Körperlichkeit anführte. Jetzt nahm er die Zweikämpfe voll an und gewann sie auch immer, Dynamos Spieler prallten regelrecht an ihm ab. In Erinnerung bleibt hier natürlich vor allem sein Weltklassetackling gut fünf Minuten vor Schluss, als er den entflohenen Tsygankov noch abrennt und fair vom Ball trennt. Kein Wunder, dass Nagelsmann ihm da sogar in den letzten Minuten die Innenverteidigerrolle anvertraute. Ironischerweise war das dann auch exakt die Zeit, wo Goretzka seinen einzigen Fehler in der zweiten Hälfte machte und leichtsinnigerweise in letzter Reiher den Ball verlor. Doch Neuer war glücklicherweise wach.
3. Koan Neuer Feldspieler
Zum Abschluss mal ein weniger ernster Punkt: Dies war womöglich die beste und letzte Chance Manuel Neuer jemals als Feldspieler im Profifußball zu sehen. Im zentralen Mittelfeld spielte nunmehr die vierte Geige, dazu war die Bank völlig leergedünnt. Hinderte vor fünf Jahren noch Karl-Heinz Rummenigge Pep Guardiola noch einfach aus Jux und Dollerei Neuer als Feldspieler aufzustellen (der Grund war angebliche Respektlosigkeit vor dem Gegner), gab es hier tatsächlich völlig rationale Gründe Neuer in der zweiten Hälfte ins Mittelfeld zu schicken. Zu dem Zeitpunkt schwankte man eh und selbst wenn es schiefgegangen wäre, hatte man eh bereits 12 Punkte auf dem Konto – diese Gruppe war de facto auch so schon gewonnen.
Julian Nagelsmann gilt als sehr experimentierfreudiger und mutiger Trainer, doch hier hatte ihn der Mut verlassen. Niemals wird es jemals eine logischerere Möglichkeit geben, Neuer ins Mittelfeld zu packen. Und doch hat er gekniffen. Wir Fußball-Hipster werden ihm das nicht verzeihen.