Hans-Dieter Flick übernimmt – und dann?

Justin Trenner 04.11.2019

Die Kovač-Brüder sind weg, Hans-Dieter Flick ist ihr Nachfolger. So weit, so unkompliziert. Denn auf einen Trainer folgt häufig einer der Co-Trainer. In diesem Fall derjenige, der erst im Sommer neu dazu kam und dementsprechend noch Kredit bei den Spielern hat.

Doch bereits die Frage nach dem „Danach“ stellt den FC Bayern vor große Aufgaben. Sieben Monate sind es noch in dieser Saison. Eine lange Zeit, die möglicherweise mit einer Übergangslösung zu füllen ist.

Mögliche Szenarien

1. Die A-Lösung ist nicht sofort verfügbar

Wie wir bereits in unserer Meldung zur Entlassung der Kovač-Brüder schrieben, scheint zwischen dem FC Bayern und Erik ten Hag gegenseitiges Interesse zu bestehen. Zwei voneinander unabhängige Quellen berichteten Miasanrot, dass verschiedene Berater Kontakt mit ten Hag aufnehmen wollten. Darunter ein weiterer Klub aus der Bundesliga, der seine Fühler ausgestreckt und den Eindruck gewonnen haben soll, dass ten Hag von seinem Weg zurück nach München überzeugt sei und daran nichts zu ändern wäre. Bleibt allerdings die Frage, wie überzeugt die Bayern von ihm sind. So sehr, dass sie auch sieben Monate auf ihn warten würden?

Unabhängig davon, wie hoch der Wahrheitsgehalt ist, dürfte ten Hag auf der Liste des Rekordmeisters sehr weit oben stehen. Er spricht die Sprache, kennt den Klub und ließ bei Ajax die Art Fußball spielen, die Karl-Heinz Rummenigge und viele Spieler (siehe Aussagen von Kimmich oder Neuer) in München vermissen. Die Pässe seiner Mannschaft haben immer eine Message.

Allerdings sollte nicht davon ausgegangen werden, dass Ajax den Bayern nun freiwillig einen Freundschaftsdienst erweist. Man wolle ten Hag keine Steine in den Weg legen, hieß es zuletzt aus Amsterdam. Doch ein Wechsel in der laufenden Hinrunde scheint unwahrscheinlich, würde Ajax doch seine Ziele stark gefährden. Selbst in der Winterpause könnte es kompliziert werden, wenngleich hier mit entsprechender Vorbereitungszeit eine höhere Wahrscheinlichkeit bestünde. Abhängig ist es vor allem davon, wie schnell Ajax seinerseits eine Alternative für ten Hag finden kann. Bei einem Transfer im Winter wäre die Überbrückungszeit für Interimstrainer Flick deutlich kürzer. Vermutlich wäre das sogar schon das bestmögliche Szenario. Doch was, wenn es nicht dazu kommt?

1.1. A-Lösung im Sommer – kann Flick Chef?

So kompetent Flick auch ist, so berechtigt sind Zweifel daran, ob er sieben Monate lang als Cheftrainer arbeiten kann und vor allem auch will. Der Weltmeister hat sich im Laufe seiner Karriere gern zurückgehalten und im Hintergrund wichtige Arbeit geleistet. Im Schatten seiner Chefs sammelte er viele Erfahrungen und konnte entscheidende Impulse geben.

Immerhin: Als Cheftrainer arbeitete er zwischen 2000 und 2005 bei der TSG Hoffenheim. Allerdings in der Oberliga und der Regionalliga Süd [nach alter Regelung 3. und 4. Liga]. Mit 1,59 Punkten pro Spiel war seine Zeit auch nicht außergewöhnlich erfolgreich.

Es stellen sich bei „Hansi“ Flick also zwei maßgebliche Fragen: Wie lange soll er Cheftrainer sein? Und: Will er das überhaupt selbst? Eine mögliche Interpretation der Geschehnisse könnte schließlich auch sein, dass Flick bereits mit der Idee geholt wurde, dass er Kovač im Misserfolgsfall beerbt. Das würde Rummenigges Satz im Sommer nochmal stark aufwerten: „Eine wichtige Verpflichtung ist Hansi Flick.“ Eine Ideallösung wäre dennoch – unabhängig von ten Hag – eine möglichst kurze Amtszeit von Flick als Chef. Denn als Co-Trainer könnte er womöglich noch großen Mehrwert haben, während er sich an erster Stelle die Finger verbrennen könnte. Vielleicht läuft es aber auch genau andersherum und Flick bleibt erfolgreich länger im Amt, als viele denken. Wirklich wahrscheinlich scheint das aber nicht zu sein und auch die Frage danach, wer das Trainerteam mindestens bis Sommer auffüllt, ist aktuell noch ungeklärt. [Update: Hermann Gerland rückt als Co-Trainer auf. / 16:28 Uhr, 4.11.2019, Red.]

1.2. Andere Übergangslösung als Flick kaum möglich

Angesichts dieses Zwischenfazits könnte man nun schlussfolgern, dass auch eine andere Übergangslösung möglich wäre. Nur sind viele der bisherigen Gerüchte als utopisch einzustufen. José Mourinho, Arsène Wenger und Ralf Rangnick sind viel zu erfolgreiche und selbstbewusste Trainer, um sich sieben Monate als Übergangslösung bereitzustellen. Sie alle würden bei einer Verpflichtung wohl dauerhaft in München bleiben wollen. Zurecht ist ihr Ego zu groß, um sich das anzutun. Deshalb ist die vielerorts angedeutete Möglichkeit, dass Wenger bis zum Saisonende übernehmen könnte, ebenso wenig vorstellbar wie eine Kurzübernahme Rangnicks. Auch eine Nachfolgeregelung, bei der Rangnick anschließend Sportvorstand wird, ist ob der Zufriedenheit, die Rummenigge und Hoeneß immer weider bezüglich Hasan Salihamidžić äußerten, eher unwahrscheinlich.

Bei Wenger gibt es auch sportliche Bedenken: Er hatte größere Probleme bei Arsenal, ein sehr gutes Ballbesitzspiel zu etablieren. Bei Mourinho ist es hingegen vor allem die Frage, ob er charakterlich zu den Alphatieren in München passt. Nach Miasanrot-Informationen ist „The Special One“ sowieso kein Thema. Ein Schnellschuss in diese Richtung könnte den FC Bayern weitere Jahre in der Entwicklung kosten und ist deshalb mehr als unwahrscheinlich. Aus Carlo Ancelotti dürften die Münchner gelernt haben.

Eine weitere Alternative für den Übergang ist Miroslav Klose. Er kennt viele Spieler des Kaders sehr gut, ist selbst noch jung genug, um die Bedürfnisse der Mannschaft zu kennen und könnte in seinen sieben Monaten erste Erfahrungen auf absolutem Top-Niveau sammeln. Ebenso wie bei Flick bestünde aber das Risiko, dass es seiner Karriere eher schadet. Außerdem hat Klose schon den Aufstieg zur U19 vehement abgelehnt. Schwer vorstellbar, dass er es jetzt bei den Profis macht. Zumal er auch noch nicht die dafür notwendige Lizenz hat.

2. Sofortige (A-)Lösung?

Für die Bayern wäre es also schwer, sofort eine Lösung zu finden. Zwar steht eine Länderspielpause an, die dem Klub mehr Zeit einbringt, doch viele Sofortlösungen gibt es nicht.

Auf dem Markt könnte immerhin Ralf Rangnick sein, der von vielen Journalisten als der Favorit neben ten Hag gesehen wird. Auf der Habenseite steht, dass der 61-Jährige bei nahezu all seinen Stationen sehr erfolgreich war und bewiesen hat, dass er sich sowohl taktisch als auch strategisch anpassen kann. Ein Querdenker wie er könnte dem Klub mit Sicherheit weiterhelfen. Allerdings steht Rangnick für eine speziellere Art Fußball. Bayern müsste vorher zu dem Schluss kommen, dass man den RB-Stil der letzten Jahre im Kern übernehmen möchte: Starker Fokus aufs Gegenpressing, Tempoangriffe, viele Sprints. Das würde auch die Kaderplanung erneut verändern. Steht man hinter dieser Idee, sollten die Weichen für Rangnick auch ausreichend gestellt werden. Bei ihm gibt es nur ganz oder gar nicht.

Darüber hinaus gäbe es noch Massimiliano Allegri, der herausragende Fähigkeiten hat, sehr erfahren ist und gut nach München passen würde. Allerdings fällt er allein deshalb schon raus, weil er ausschließlich Italienisch spricht. Ein No-Go beim FC Bayern und das völlig zurecht. Sprache ist im Trainerberuf sehr zentral. Ein weiteres Gedankenspiel wäre die Verpflichtung von Mauricio Pochettino. Der Argentinier steht bei Tottenham weiter in der Kritik, auch wenn sich die Gemengelage etwas beruhigt hat. Vielleicht wäre der FC Bayern in der Lage, ihn gegen eine Ablöse zu verpflichten.

Pochettino statt ten Hag? (Foto: Laurence Griffiths/Getty Images)

Pochettino steht für einen offensiven Stil, setzt seinen Fokus aber auch eher auf das hohe (Gegen-)Pressing. Es bleibt fraglich, ob er die Schwächen im Positionsspiel der Bayern beheben und sie damit wieder auf Kurs bringen könnte. Sein Stil passt jedoch besser nach München als der von Ex-Trainer Kovač. Der 47-Jährige spricht kein Deutsch, aber immerhin Englisch und Spanisch. Ebenso sei an dieser Stelle Mark van Bommel erwähnt, der zwar mit PSV Eindhoven durchaus erfolgreich ist, aber dessen Mannschaft fußballerisch eher an Niko Kovač erinnert als an das, wonach die Bayern suchen.

Eine ganz verrückte Spielerei wäre die Verpflichtung von Lucien Favre. In Dortmund scheint der Trainer mächtig zu wackeln. Doch die Probleme, die der BVB trotz des Kaders in der Offensive hat, könnten den FC Bayern zurecht abschrecken. Die Passivität seiner Mannschaft und seine Emotionslosigkeit lassen eher nicht den Schluss zu, dass dieses Szenario realistisch sein könnte. Auch wenn Favre aufgrund des aktuellen Eindrucks schlechter bewertet wird, als er tatsächlich ist.

Fazit

Geht man die einzelnen und realistischen Kandidaten durch, landet man im Prinzip immer wieder bei Ralf Rangnick und Erik ten Hag. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei keinem Trainer. Ten Hags Gesamtpaket scheint jedoch perfekt nach München zu passen. Und selbst das Hoeneß-Lager dürfte mit entsprechendem Stallgeruch und der Identifikation zum Klub voll bedient sein.

Bei Ajax sammelte ten Hag nicht nur Erfahrungen, er erreichte mit einer individuell unterlegenen Mannschaft sogar das Halbfinale der Champions League. Der Niederländer ist das perfekte Beispiel dafür, dass ein Trainer nicht immer die besten Spieler braucht, um erfolgreich zu sein.

Mit ihm würde ein kleiner Schritt zurück in die Zeiten zwischen 2012 und 2016 gelingen. Seine Philosophie ist an das Positionsspiel der Guardiola-Schule angelehnt, beinhaltet aber auch viele Aspekte des niederländischen Totaalvoetbal („Totaler Fußball“). Will man das Haar in der Suppe suchen, könnte man ihm negativ auslegen, dass Ajax aktuell eine Nummer kleiner ist als die meisten Top-Klubs in Europa. Doch mit diesem Kriterium würden wiederum nur Alternativen in Frage kommen, die eher die Linie Ancelotti, Heynckes II und Kovač fortführen würden: Name, Erfahrung und Titel sind wichtiger als die Frage nach der Entwicklung und einer möglichen Strategie. Spannend ist darüber hinaus, dass die Trainerentscheidung jetzt zur womöglich letzten Streitfrage zwischen Rummenigge und Hoeneß werden könnte.

Bei Rangnick hingegen müsste sich der Klub ein wenig umstrukturieren. Der Kader ist für seine Art Fußball nicht optimal aufgestellt und bräuchte einige Veränderungen. Auf der Habenseite steht ein erfahrener Trainer, der taktisch innerhalb seiner Strategie flexibel ist und als Querdenker eine neue Ära starten könnte, wie es van Gaal 2009 tat.

Die Schnittmenge zwischen ten Hag und dem, wofür der Klub stehen will (oder zumindest mal stehen wollte), ist hingegen beachtlich groß. Durch die frühzeitige Entlassung Kovačs steht man nun vor schwierigen Entscheidungen. Sollte ten Hag tatsächlich erst im Sommer zur Verfügung stehen, müssen ganze sieben Monate überbrückt werden. Das spricht für Rangnick. Sollte ten Hag früher kommen, hat er keine optimale Vorbereitung mit der Mannschaft. Nicht mal im Winter. Immerhin käme dann aber ein Trainer, der zu den immer noch vorhandenen Strukturen des Klubs passt. Es ist knifflig. Unser Eindruck: Viel wird davon abhängen, ob der FC Bayern solange warten kann und will, bis ten Hag verfügbar ist.