Getting to know Juventus Turin – Alte Dame im neuen Gewand

Steffen Trenner 29.03.2013

Die Saison 12/13

Juve knüpfte in der Saison 2012/2013 da an, wo sie zuvor aufgehört hatten. Turin blieb bis in den November ungeschlagen und führt inzwischen mit 9 Punkten Vorsprung auf den SSC Neapel souverän die Tabelle an. Auch in der Champions League ist Juve ungeschlagen und setzte sich trotz anfänglicher Probleme in einer starken Gruppe mit dem FC Chelsea und Schachtar Donezk durch. Vor allem der 3:0-Heimsieg gegen Chelsea und der 1:0-Auswärtssieg in Donezk ließen dabei aufhorchen und bewiesen die Klasse der Conte-Truppe. Im Achtelfinale bereitete Celtic Glasgow den Italienern gerade im Hinspiel einige Probleme – Turin kam dennoch mit einem 3:0 Sieg davon und sicherte sich so ungefährdet den Einzug ins Viertelfinale.

Die spielerische Ausrichtung

Italien galt über Jahrzehnte als das Vorzeige-Land in Sachen Fußballtaktik. Trainer wie Arrigo Sacchi, Fabio Capello, Marcello Lippi, Zdenek Zeman oder der ewige Giovanni Trapattoni revolutionierten in den 80er und 90er Jahren den Fußball durch neue Entwicklungen wie die Viererkette, die Raumdeckung und das Pressing maßgeblich mit. Während nach der Jahrtausendwende neue Trends vor allem in Spanien und Deutschland gesetzt wurden, ist der italienische Fußball mit einer neuen Spieler- und Trainergeneration dabei verloren gegangenen Terrain zurück zu gewinnen – und Juve spielt dabei eine maßgebliche Rolle.

Juventus ist die einzige Mannschaft im Champions League-Viertelfinale, die konsequent in einem komplexen 3-5-2-System agiert. Nachdem sich das gewohnte 4-4-2 im vergangenen Jahrzehnt ein wenig totgelaufen hatte, ist ein 3-5-2-System gleichzeitig die Weiterentwicklung und die Antwort auf das heutzutage gängige 4-2-3-1-System vieler Mannschaften. Ein 3-5-2, gerade wenn es so perfekt einstudiert ist wie bei Juventus, bietet vor allem zwei große Vorteile. Zum einen kann so gegen Mannschaften, die ohnehin meist nur mit einem Stürmer agieren, ein Abwehrspieler geopfert werden, um bei Ballbesitz eine Überzahl im Mittelfeld – insbesondere auf den Außen zu erzeugen. Zum Anderen bietet das System die Möglichkeit in der Rückwärtsbewegung leicht auf ein extrem kompaktes 5-4-1 umzustellen indem die äußeren Mittelfeldspieler hinter den Ball rücken und so wiederum eine Überzahl auf den Außenpositionen erzwingen können. Nur 18 Gegentreffer in der Liga sind der Beweis für diese defensive Kompaktheit Juves. Für die Umsetzung dieses Spielstils braucht es extrem lauf- und einsatzstarke Außenspieler, die Juventus mit Lichtsteiner, Paluso oder Asamoah besitzt.  Bayern hat im vergangenen Jahr gegen Neapel Erfahrungen gegen eine Dreierkette gesammelt und dort einige Probleme gerade mit den Überzahl-Situationen des Gegners auf den Außenbahnen offenbart. Die Münchener Außen – egal ob Ribery, Robben oder Müller sind hier besonders gefordert schnell auf die Defensive umzuschalten um Konter zu vermeiden.

Juventus spielt keinen Ballbesitz-Fußball wie Barcelona oder Bayern, sondern zieht sich gern zurück und macht das Spiel nach Ballgewinn mit direkten vertikalen und auch vielen langen Bällen der Dreierkette oder von Pirlo schnell. Gerade Vucinic agiert hier als ballgewandter und gleichzeitig robuster und passstarker Zielspieler, der in der Lage ist lange Bälle zu erlaufen, zu verarbeiten und weiter zuleiten. Die nachstoßenden zentralen Mittelfeldspieler, sowie die Flügel sorgen dann für einige Überzahlsituationen im Konter, die Juve zu nutzen versucht.

Das Herzstück

Motor und Seele des Turiner Spiels ist ganz klar das zentrale Mittelfeld mit Routinier und Regisseur Pirlo und seinen jüngeren, torgefährlichen und physisch starken Partnern Arturo Vidal und Claudio Marchisio. Hinzu kommt noch das 20-jährige französische Supertalent Paul Pogba, das gerade erst für die französische Nationalmannschaft debütiert hat und auch beim Qualifikationsspiel am Dienstag gegen Spanien in der Anfangsformation stand. Bei Juventus wird er vor allem als belebendes Element von der Bank gebracht. Alle vier zentralen Mittelfeldspieler haben in der Liga 5 mal getroffen. Pirlo, Vidal und Marchisio ergänzen sich perfekt. Vidal hat sich seit seiner Zeit in Leverkusen noch einmal weiterentwickelt und ist vor allem besonnener geworden ohne jedoch seine Dynamik und Aggressivität im Spiel zu verlieren. Auch Marchisio ist gleichzeitig Zweikampfstark und mit einem enormen Offensivdrang ausgestattet. Beide bearbeiten einen großen Teil der Mittelfeldzentrale und nehmen damit Pirlo viel Arbeit ab. Pirlo (der gefühlt auf die 40 zugeht – in Wahrheit aber dann doch erst 33 ist) ist immer noch für einen Geistesblitz und präzise lange Bälle gut. Zudem ist er mit seiner Ballführung sehr resistent im Pressing. Dennoch hat zum Beispiel Celtic bewiesen wie man ihn aus dem Spiel nehmen kann, nämlich indem man die Passwege aus der Dreierkette auf ihn zustellt und mit robustem und konsequentem Zweikampfverhalten verhindert, dass er in der Lage ist sich mit dem Ball am Fuß zu drehen und das Spielfeld vor sich zu haben.

Da Martinez für das Hinspiel gesperrt ist, könnte Heynckes zumindest im Rückspiel überlegen ob er wie zuletzt gegen Leverkusen mit Martinez und Luiz Gustavo die besten Zweikämpfer auf die Sechs stellt und mit Schweinsteiger einen guten Zweikämpfer mit einen exzellentem Gefühl für Raumaufteilung auf die 10, um die Kreise Pirlos zu stören und ihn aus dem Abnutzungskampf mit Vidal und Marchisio heraus zu halten.

Neben dem Trio im Zentrum ist auch Torwart Gianluigi Buffon zu nennen, der in dieser Saison seinen dritten Frühling erlebt und gerade bei Flanken nach wie vor einer der besten Torhüter der Welt ist.

Die Schwachstellen

Juve ist so eingespielt, dass es insgesamt wenig Schwachstellen gibt. Was fehlt ist ganz klar ein eiskalter Vollstrecker. Juve hat in dieser Saison schon 9 Stürmer eingesetzt. Da Bendtner zuletzt mit Alkoholfahrten auffiel und nicht in Form ist und Neuzugang Anelka bisher über eine Jokerrolle nicht hinaus kommt, fehlen die ganz großen Namen im Sturmzentrum. Zwar ist Quagliarella mit 4 Toren in der Champions League der gefährlichste Juve-Stürmer, dennoch spricht viel für ein Sturmduo aus Mirko Vucinic in vorderster Front und dem 1.64m-kleinen dribbelstarken Sebastian Giovinco etwas versetzt dahinter. Beide sind gute, spiel- und laufstarke Stürmer, doch Angst machen muss das der Viererkette der Münchener absolut nicht.

Die Dreierkette mit Chiellini, Bonucci und Barzagli ist grundsätzlich eine sehr gute und zweikampfstarke Hintermannschaft. Während Chiellini durch sein kompromissloses Spiel Angst und Schrecken verbreitet, fällt Bonucci darüber hinaus mit extrem präzisen und gefährlichen langen Bällen auf. Wenn es eine Schwachstelle in der Dreierkette gibt ist es sicherlich das Aufbauspiel von Andrea Barzagli. Es ist durchaus eine Option Barzagli im Pressing offen zu lassen, ähnlich wie es Dortmund im Pokal mit van Buyten praktiziert hat, um ihn in den Spielaufbau zu zwingen. Bonucci und Chiellini sollten dagegen keine Möglichkeit bekommen mit dem Ball am Fuß öffnende Pässe zu spielen.

Bayern sollte also gewarnt sein. Juventus Klasse liegt weniger in den großen Namen als in der großen Kompaktheit und dem kollektiven Spiel der Mannschaft. So oder so wird es gegen den italienischen Meister eine große Herausforderung für den FC Bayern.

Was glaubt ihr? Wie groß sind die Chancen des FCB und worauf kommt es im Duell mit Juventus an?