Wo ist der Sechsappeal beim FC Bayern?

Justin Trenner 29.10.2018

Der FC Bayern ist auf einem guten Weg, sein Selbstverständnis und sein Selbstvertrauen zurückzuerlangen. Thomas Müller ist ein gutes Beispiel: er zeigte sich nach dem Spiel in Mainz zufrieden und unzufrieden zugleich. Man habe eine gute Einstellung an den Tag gelegt, aber der Anspruch sei ein anderer, als gegen den FSV mit nur einem Tor Unterschied zu gewinnen.

Bayern-Arroganz? Mitnichten. Müller traf den Nagel auf den Kopf. Wieder zeigten sich die Münchner im letzten Drittel unkreativ. Sie spielten im zweiten Drittel unsicher und kamen aus dem ersten Drittel nur selten produktiv heraus. Es sind taktische Probleme, die wir auf Miasanrot.de seit Wochen dokumentieren und analysieren.

Die Kader-Diskussion wurde oft in den Vordergrund geschoben – berechtigterweise. Doch sie ist nicht hauptverantwortlich für die fehlende Struktur. Im Mittelfeld kann der FC Bayern mit Thiago (27), James (27), Goretzka (23) und Martínez (30) derzeit auf Fußballer im besten Alter zurückgreifen. Sie alle haben das Potenzial, im Mittelfeld eine Dominanz zu erzeugen, die in den meisten Bundesliga-Spielen für Kontrolle sorgt.

Es geht nicht darum, Guardiola zu kopieren

Darüber hinaus stehen dem Trainerteam Müller (29) und Renato Sanches (21) zur Verfügung – zugegebenermaßen sind das sehr spezielle Spielertypen, die eine starke Einbindung benötigen, um perfekt zu funktionieren. Selbst Joshua Kimmich (23) wäre als einrückender Außenverteidiger oder als Sechser eine Option, die aber einer Formationsänderung bedarf.

An den Spielern liegt es jedenfalls nicht, dass das Mittelfeld derzeit einem Gemälde gleicht, das bereits auf halb Acht hängt und zu stürzen droht. Es ist allein Thiago zu verdanken, dass dies noch nicht passierte. Er ist sozusagen der eine Nagel, an dem das Kunstwerk noch hängt.

Der Anspruch an Niko Kovač ist auch gar nicht, den Guardiola-Fußball der besten Zeiten zu kopieren oder nachzuahmen. Die Zeit unter Guardiola wäre ja selbstverständlich und anspruchslos gewesen, könnte sie jeder einfach kopieren. Seine Idee, ein direkteres Spiel aus einer gut geordneten Defensive zu erzeugen, bei dem im letzten Drittel durch hohe Achter viele Spieler direkten Zugriff haben, ist im Ansatz nachvollziehbar. Doch es scheitert aktuell an der Umsetzung.

Positionsspiel optimieren

Es geht darum, das eigene Positionsspiel so zu optimieren, dass das direkte Spiel einerseits durch ein gutes Gegenpressing abgesichert wird und andererseits weniger Risiko abverlangt. Allein die Tatsache, dass im Idealfall direkt in die Spitze gespielt werden soll und das Mittelfeld dabei oft überbrückt wird, führt natürlich automatisch zu höherem Risiko. Aber es gibt Wege, um es dennoch zu minimieren.

In Stuttgart und gegen Leverkusen etwa erinnerte der FC Bayern in vielen Phasen an seine besten Jahre. Weil die Mannschaft insgesamt ein gutes Positionsspiel hatte. Die Achter standen zwar extrem hoch, aber nicht auf einer Linie mit den drei Angreifern. Es entstand ein „W“ im Angriff wie wir es in Guardiolas „WW“-Formation schon mal erlebten – nur etwas breiter und schmaler. Der zentrale Punkt war jedoch, dass Thiago als Sechser aggressiv nachrückte, wenn die Spieleröffnung in die Angriffshälfte erfolgte. Auch die Außenverteidiger rückten etwas ein und sicherten so Ballverluste ab.

Dadurch entstand ein erdrückendes Gegenpressing, dem sich die jeweiligen Gegner ergeben mussten. Nun kann berechtigterweise angemerkt werden, dass sowohl Leverkusen als auch Stuttgart keine Gradmesser waren. Allerdings ist es auffällig, dass die Bayern seitdem nicht mehr in dieser Genauigkeit und Aggressivität nachschieben.

Pressing-Löcher und fehlende Koordination

Oft gibt es zwei Mannschaftsteile – Offensive und Defensive. Die Offensive presst bei Ballverlusten und im normalen Pressing nach vorn, die Defensive bleibt stehen. Das führt zu riesigen Löchern im Mittelfeld, die der Gegner mit einem Zuspiel ausnutzt. Es gibt kaum noch einrückende Bewegungen der Außenverteidiger und der Sechser – aktuell Javi Martínez – hält sich lieber bei den Innenverteidigern auf als nachzuschieben.

Ganz oft stehen sich die Bayern zu sehr selbst auf den Füßen. Das führte zu drei grundsätzlichen Problemen, die ihnen das Leben im Moment schwer machen. Martínez ist dabei kein unwesentlicher Faktor.

Auch im Spielaufbau fehlt die Präsenz eines Thiagos auf dieser Position. Martínez bewegt sich meist im Deckungsschatten oder nicht in höhere Zonen. Der Ball geht dann kleinteilig von der einen Seite auf die andere und irgendwann auf dem Flügel nach vorn. Gegner können in gemäßigtem Tempo verschieben und Bayern auf den Außenpositionen stellen.

Das ist durchschaubar und zu einfach. Im Zentrum fehlt es schlicht an Koordination. Thiago ist als Achter sicherlich großartig, aber er ist als Sechser nochmal wertvoller. Dort kann er die Fäden ziehen, Bälle verteilen und dem Mittelfeld eine Teilstruktur geben, die zu einem besseren Positionsspiel führt. Ist die Spieleröffnung erfolgt, schiebt er nach und unterstützt die Achter. Rücken dann die Außenverteidiger noch etwas ein, könnte es wieder halbwegs passen im Bayern-Spiel.

Eine Baustelle, die andere kaschieren könnte

Die Verbesserung der fehlenden Mittelfeldstruktur löst sicher nicht alle Probleme. Ribéry wird auch mit besserer Struktur nicht mehr Dribblings gewinnen. Sie wird auch Gnabry nicht die Konstanz und Qualität in seinen Einzelaktionen geben, die aktuell noch fehlt. Auch Robben wird dadurch nicht schneller. Aber eine bessere mannschaftliche Struktur kann diesen Spielern wieder Halt geben.

Sie kann dafür sorgen, dass sie sicherer in den Basics werden und die liegen in der Ballzirkulation und im Gegenpressing nach Ballverlusten. Eine gute Mittelfeldstruktur wird zwangsläufig dazu führen, dass der FC Bayern auch im letzten Drittel wieder gefährlicher und das Risiko abgesichert wird.

Aktuell fehlt es den Bayern mit Martínez auf dieser Positon an Sechsappeal. Dass Kovač den Spanier auch noch explizit lobt und ihm weitere Einsätze verspricht, sollte es bei diesen Leistungen bleiben, zeigt, dass er die fehlende Struktur kaum als solche wahrnimmt. Sollte sich daran nichts ändern, könnte es aber schon gegen Dortmund ein böses Erwachen geben. Denn die spielen derzeit Fußball. Mit Struktur, Hirn und Tempo.

Eine explizite Vorschau auf Rödinghausen wird es nicht geben, weil die Zeit zur Recherche nicht ausreichte und jede Behauptung deshalb Spekulation wäre.

Das Thesen-Duell

Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Fatbardh gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.

Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 2,6 : 3,6 Fatbardh

Zwischenstand insgesamt: Justin 37,8 : 34,6 Fatbardh

Justins Tipps

  1. Torschütze: Sandro Wagner
  2. Freie These: Bayern spielt zu Null!
  3. Über/Unter 3,5: Über!
  4. Aufstellung: Neuer – Kimmich, Süle, Martínez, Rafinha – Thiago – Sanches, Müller – Gnabry, Wagner, Ribéry

Fatbardhs Tipps

  1. Torschütze: James Rodríguez
  2. Freie These: Bayern spielt nicht zu Null.
  3. Über/Unter 3,5: Unter!
  4. Aufstellung: Neuer, Rafinha, Süle, Martínez, Alaba, Thiago, Sanches, Müller, Gnabry, Wagner, Ribéry