„Phrasendreschen ist Teil der Fußball-Folklore“

Maurice Trenner 08.04.2021

Simon Meier-Vieracker ist Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden. Er betreibt den Blog fussballlinguistik.de und ist auf Twitter als @fussballinguist zu finden.

Fußball und Linguistik scheinen auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein zu haben. Wie passen die beiden Themen doch zueinander? 

Für die Sprachanalyse bietet der Fußball ein interessantes Feld, da unglaublich viel über ihn geschrieben und geredet wird. Nach meiner Überschlagsrechnung handeln etwa 10 % aller Zeitungsartikel in Deutschland vom Fußball – eine unvorstellbare Menge. Das macht es für die Sprachwissenschaft, die etwas über die Gegenwartssprache aussagen will, schwierig, über den Fußball hinwegzusehen.

Zudem können alle Teildisziplinen der Linguistik auf den Fußball angewendet werden: Wortschatzforschung, Forschung zur Betonung bei Live-Kommentaren, Gruppensprachen im Bezug auf Fans, Mediensprache auf den Sozialen Medien usw. usf. Ähnlich wie die gesamte Gesellschaft im Fußball wiederzufinden ist, kann auch die gesamte Sprache hier gefunden werden.

Wie kamst du ganz persönlich darauf, die beiden Bereiche miteinander zu verknüpfen?

Obwohl ich, auch in meiner Fach-Community, mittlerweile das Image des Fußballlinguisten habe, bin ich weit weniger Fußballfan, als man meinen sollte. Die Geschichte ist eigentlich eine ganz andere: Ich wollte mich schon immer mit computergestützten Methoden der Sprachanalyse beschäftigen. Für meine eigenen Untersuchungen benötigte ich dann Datenmaterial. Aus einer Laune heraus kam ich dann auf die Idee, Live-Ticker zu untersuchen, was mir direkt sehr viel Spaß gemacht hat. Ich hatte meine Nische entdeckt, denn zuvor hatte noch niemand die Fußballsprache mit diesen Methoden untersucht.

Bist du dennoch selbst auch Fußballfan oder hast gar selbst gespielt? 

Selbst Fußball spielen habe ich immer gehasst. Eine Zeit lang habe ich dann allerdings in einer Stiftung gearbeitet, wo zumindest minimales Fußballwissen die einzige Möglichkeit war, in den Pausen an der Konversation teilzuhaben. Mein Fußballlehrer damals war und ist glühender FC-Bayern-Fan, was auch auf mich abgefärbt hat.

Mich als Linguist hat die ganze Kommunikation rund um den Fußball immer besonders interessiert. Das beginnt bei den vermeintlich langweiligen Post-Match-Interviews, die ich trotzdem spannend finde, aber auch der Live-Kommentar oder wie über Fußball am nächsten Tag gesprochen wird. Das liefert einen unendlichen Quell für interessante Beobachtungen.

Die Fußballberichterstattung bietet auch durchaus viele Perspektiven: Spieler, Trainer, Funktionäre, Experten. Hast du hier einmal den Vergleich angestellt, wie sich diese unterschiedlich ausdrücken?

Spieler habe ich mir selbst weniger angeschaut. Das ist das Spezialgebiet meiner Kollegin Antje Wilton, die sich besonders mit Post-Match-Interviews insbesondere von Bayern-Spielern beschäftigt hat. Mit Trainern auf Pressekonferenzen habe ich mich beschäftigt, aber mein Fokus lag hauptsächlich auf Journalist*innen. Neu entdeckt habe ich auch die Sprache der Fans, auch weil mich interessiert, wie in Sozialen Medien kommuniziert wird. Letztens habe ich z. B. bei der Hopp-Geschichte auf die Schickeria und die Red Fanatics geblickt. 

In eurem neuen Podcast geht es nun um Phrasen. Was zeichnet denn eine Phrase aus und was grenzt eine Phrase von einer normalen Aussage ab?

Meine sprachwissenschaftlichen Kriterien wären, dass die Phrase erstens aus mehreren Worten besteht und diese zweitens in genau dieser Kombination häufig und gebräuchlich sind. So wird das Wort Messe im Fußball immer mit dem Wort gelesen kombiniert. Dazu kommt noch manchmal die sogenannte Idiomatizität, also dass die Wörter in ihrer Kombination eine andere Bedeutung haben, als alleine. Zu diesem Thema gibt es sogar eine Teildisziplin der Linguistik, die Phraseologie, die sich mit Mehrworteinheiten beschäftigt.

Aus dem Blickwinkel des interessierten Fußballbeobachters kommt dann häufig noch die Abgedroschenheit einer Phrase hinzu. Dies schließt an das Kriterium der Gebräuchlichkeit an. Phrasenhaft wird es, wenn immer wieder gleiche Formulierungen verwendet werden. Meist geht das einher mit einer Inhaltsleere und fehlender Präzision. Die Phrase ist auf alles und nichts anwendbar und wird dadurch auch belanglos.

Gleichzeitig bietet eine Phrase aber auch eine Ausflucht, oder?

Genau. Wir schauen uns in der Linguistik dazu auch die Funktion von Phrasen an. Der Fußball ist bekannterweise sehr phrasenhaft und das schon sehr lange. Bereits in den 50er-Jahren sind Zeitungsartikel erschienen, die sich über die Phrasendrescherei der Spielberichte lustig machen. Das wäre kein so stabiles Muster, wenn es nicht einen Zweck erfüllen würde.

Im Endeffekt sind zwei Dinge entscheidend: Zum einen muss viel Text in kurzer Zeit produziert werden, etwa wenn man an Spielberichte denkt, die zum Abpfiff fertig sein müssen. Dieses Schreiben unter Zeitdruck funktioniert nur unter der Nutzung vorgefertigter Satzschablonen. Zum anderen gehören Phrasen mittlerweile zur Fußballfolklore dazu. Es geht darum, Phrasen zu dreschen und sich gleichzeitig über die Phrasen aufzuregen. So eine ironisierende Distanznahme. Das kann man im Doppelpass, aber auch in Formaten wie dem Rasenfunk von Max-Jacob Ost beobachten. Die Phrasen und auch das Reden über die Phrasen sind somit wichtig für die Gruppensprache des Fußballs.

Wenn wir nochmal auf die Berichterstattung im Fußball schauen, erfüllen Phrasen dann hauptsächlich die Funktion die Berichte zu vereinfachen? 

Es ist zwar schwierig, das wirklich zu messen, aber ich würde doch vermuten, dass im massentauglichen Journalismus nochmal mehr Phrasen gedroschen werden. Je weniger Vorkenntnisse man bei den Lesenden voraussetzen kann, desto eher wird man auf vorgefertigte Schablonen zurückgreifen. Aber ganz ohne Phrasen kommen auch die Kollegen von Spielverlagerung nicht aus. Auch wenn sich die beiden Kollegen da gerne über die bspw. “hunderprozentige Chance” echauffieren, verwenden sie genau diese Phrase auch manchmal selbst. Phrasen bieten gerade in ihrer Vereinfach auch großes Assoziationspotenzial, vor allem dann, wenn sie bildhaft sind. Wir können und müssen im Alltag auch nicht immer sprachlich präzise sein.

Hast du eine Lieblingsphrase im Fußball?

Nicht direkt. Aber so Phrasen wie “sich den Schneid abkaufen lassen” finde ich schön. Die ist herrlich bescheuert und gibt es eigentlich nur im Fußball. Sie kommt zwar nicht aus dem Fußball und hat eine eigene Geschichte, wird aber mittlerweile fast exklusiv im Fußball verwendet. Genauso “mit offenem Visier.” Daran habe ich Freude.

Wir haben nun viel über den Fußball gesprochen. Ist dies bei anderen Sportarten ähnlich oder zeichnet das Phrasendreschen gewissermaßen den Fußball aus?

Wenn ich von einer Sportart Fan bin, dann vom Radsport. Dort kenne ich mich gut aus und dort ist das natürlich genauso. Allerdings für ein kleineres Publikum, da der Radsport nicht so im Fokus steht. Der Fußball hat ja geradezu Sprichwörter geprägt, wenn man an Sepp Herbergers Sentenzen denkt. Dass solche Sätze in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen, ist dem Fußball vorbehalten.

Gibt es speziell Phrasen, die besonders oft mit dem FC Bayern zusammen in Verbindung auftauchen oder gibt es so eine Vereinsabhängigkeit eher nicht?

Eine Studie mit Vereinsvergleich habe ich noch nicht gemacht, auch weil eine zielgenaue Datenerhebung nicht so einfach ist. Bekannt ist natürlich der sprichwörtliche Bayern-Dusel. Was ich aber gemacht habe, ist eine sogenannte Kollokationsanalyse von gut 5.000 Bundesliga-Livetickern von weltfussball.de. Da berechne ich Wörter, die signifikant häufig im Kontext eines anderen Wortes auftauchen. Dies lässt sich dann nach beispielsweise Adjektiven filtern.

Für den FC Bayern tauchen hier in der Liste auf: drückend, haushoch, aber auch standesgemäß und glanzlos. Das ist etwas, was wir von anderen Mannschaften nicht kennen. Keine andere Mannschaft in Deutschland gewinnt wohl so oft “glanzlos”, wobei man dazusagen muss, dass das eine Zuschreibung ist. Das ist eben der Preis, den man dafür zahlt, fast immer zu gewinnen. Bei wenig beeindruckenden Siegen wird dann das Haar in der Suppe gesucht.

Als direkten Vergleich können wir mal noch Schalke 04 anschauen. Hier sind die häufig im Kontext verwendeten Adjektive bemüht, leistungsgerecht und ideenlos. Das ist natürlich ein sehr distanzierter Blick, weil hier einfach fünfzehn Jahre Live-Ticker durch die Mühle gedreht werden, aber liefert eine erste interessante Idee.

Welche Quellen hast du sonst noch in deiner Daten-Basis?

Das sind zum einen viele Live-Ticker in mehreren Sprachen von Englisch über Holländisch bis zu Russisch. Dann verwende ich die frühen Einzelkritiken von SPOX und Taktikanalysen von Spielverlagerung. Das sind die Daten, die ich auch anderen Forschenden zur Verfügung stelle. Lokal auf meiner Festplatte habe ich natürlich auch Miasanrot. Als Bonbon habe ich noch eine kleine Sammlung an transkribierten Radioreportagen.

Nachdem wir nun allgemein über Phrasen gesprochen haben, blicken wir doch gemeinsam auf euer neues Projekt. Wie kam es konkret zu der Idee für euren neuen Podcast? Und vor allem wer kam auf die Idee?

Tobias und Martin haben mich mit der Idee kontaktiert. Die beiden wollten das schon immer mal machen. Ich habe mich geehrt gefühlt, dieses Projekt mit so bekannten Fußballexperten machen zu dürfen, und sie waren froh, einen Sprachwissenschaftler als Partner gewinnen zu können. Für Spielverlagerung habe ich mich schon immer interessiert und auf meinem Blog auch Analysen der dort verwendeten Fachsprache oder der ausgeklügelten Rollenbezeichnungen durchgeführt. Dadurch hatte ich schon länger Kontakt mit den beiden und nun haben wir Nägel mit Köpfen gemacht.

Wen wollt ihr mit eurem Podcast erreichen und was wollt ihr damit erreichen?

Wir wollen Zuhörer*innen erreichen, die etwas distanziert und kritisch über moderne Fußballsprache nachdenken wollen. Damit fischen wir natürlich erstmal im Teich der erweiterten Spielverlagerung-Leser*innen, die sowieso über ein Fußballinteresse verfügen, dass über eine 1:0-Berichterstattung hinausgeht. Zusätzlich aber auch an Interessierte, die eine Querverbindung zur Linguistik ziehen wollen.

Ich selbst nutze das auch als Kommunikationsinstrument für die Wissenschaft. Wissenschaftliche Erkenntnisse auch in die Gesellschaft zu tragen, ist eine wichtige Aufgabe, und so ein Podcast ist dafür natürlich wunderbar geeignet. Wir haben das auch abgesprochen, dass ich zwischendurch etwas fachsimpeln darf und durchaus in die Tiefe mit terminologischen Details eintauchen kann. Mein Anspruch ist es Dinge allgemeinverständlich zu äußern, aber dennoch auch auf hohem Niveau über Linguistik reden. Dabei hilft natürlich, dass Tobias auch einmal selbst Linguistik studiert hat.

Wie viele Phrasen plant ihr zu behandeln?

Erstmal sind zehn geplant, dann schauen wir weiter, wie die Rückmeldungen sind.

Den Podcast „Die Phrasendrescher“ findet ihr hier verlinkt oder als Abo in eurem Podcatcher.