Was läuft eigentlich gut beim FC Bayern?

Justin Trenner 05.03.2019

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Auch wir bei Miasanrot stehen für eine kritische, hinterfragende und möglichst differenzierte Betrachtung der Geschehnisse rund um den FC Bayern München. Dabei kommen zugegebenermaßen oft genug die eigentlich positiven Aspekte viel zu kurz. Denn so berechtigt die Kritik an vielen Punkten auch ist, umso wichtiger ist es auch, positive Entwicklungen oder Ereignisse wahrzunehmen. 

Als ich zuletzt um Themenvorschläge für die Februar-Kolumne bat, schrieb mir ein Patreon-Supporter, dass ich ja mal versuchen könnte, die aktuelle Situation des FC Bayern aus einer positiven Perspektive zu beleuchten. Mit einem Augenzwinkern ergänzte er, dass das tatsächlich mal eine Herausforderung wäre. Je länger ich darüber nachdachte, umso überzeugter war ich von dieser Idee. Also ließ ich mir die bisherige Saison nochmal genauer durch den Kopf gehen und schrieb mir in Stichpunkten auf einen Zettel, was ich am FC Bayern München in der Saison 2018/19 wirklich gut finde.

Ruhe und Gelassenheit

Unweigerlich musste ich zuerst an das Verhalten des Klubs denken, als in München nahezu alles lichterloh brannte. Nach dem 3:3 gegen Fortuna Düsseldorf wusste selbst Hoeneß nach eigenen Angaben nicht mehr weiter. Doch die Verantwortlichen blieben ruhig. Ruhiger als viele Journalisten und Fans, auch ruhiger als wir bei Miasanrot

Das ist eine Eigenschaft, die ich wirklich zu schätzen weiß. Wie positiv oder negativ man den FC Bayern unter Niko Kovač auch sehen mag, letztendlich ist er ein neuer Trainer, der mit Sicherheit nicht die Erfahrung eines Weltklasse-Trainers wie Heynckes oder Ancelotti hat. Und selbst die beiden hatten Probleme, diese Mannschaft an ihre Leistungsgrenze zu bringen. Umso schöner ist das Signal eines Top-Klubs, dass er im schnelllebigen Fußballgeschäft, anders als Real Madrid beispielsweise, nicht sofort in Aktionismus verfällt. Trotz meiner insgesamt kritischen Haltung Kovač gegenüber halte ich das für den richtigen Weg. Zumal seit dem Jahreswechsel mindestens kleine Fortschritte zu erkennen sind.

Fehler eingestehen, daraus lernen und in Zukunft Dinge verbessern – im Klub ist man nach wie vor davon überzeugt, dass Kovač das kann. Was aus taktischer Sicht eher naiv klingt, hat durchaus seine Berechtigung. Der Trainer schaffte die extreme Rotation ab, was zu einer besseren Grundstabilität führte. Er passte darüber hinaus seine Ausrichtung und sein Verhalten in der Kabine an. Er macht so aus der aktuellen Situation zumindest mehr, als ihm viele im Herbst zugetraut hätten. Und egal, ob er nun in einer Krise steckt oder erfolgreich ist: Er bleibt ebenso ruhig und gelassen wie der Klub. Das verdient Anerkennung. Ganz egal, ob man mit der Ästhetik oder Entwicklung unzufrieden ist.

Mentalitätsmonster

Auch die Mannschaft hat sich in dieser Saison aber erneut ein Lob verdient. Zwar läuft es taktisch nicht so rund, wie man sich das bei der vorhandenen Qualität wünschen würde, doch die Einstellung und der Hunger der Spieler sind einmalig. Sechs Meisterschaften in Folge, viele große Spiele in Pokal und Champions League, viele Höhepunkte, einige Rückschläge – ein Großteil dieses Kaders hat fast alles erlebt. Und doch geben sie alles, um sich weiter in den Geschichtsbüchern zu verewigen.

Besonders Spielern wie Thiago und Lewandowski, denen der ganz große Wurf noch fehlt, ist dieser Hunger anzumerken. Sie haben in dieser Saison den nächsten Schritt gemacht. Als Führungsspieler gehen sie voran. Beide sind nicht nur Leistungsträger, sondern auch in ihrer Präsenz extrem wichtig für die Mannschaft. 

Die Bayern sind aus ihrer Krise gut herausgekommen. Sie haben sich nicht fallen lassen und andere für ihre Situation verantwortlich gemacht. Im Gegenteil: Sie haben viele enge Spiele über den Willen und den Ehrgeiz entschieden. Aber eben auch über die Erfahrung. Und das ist bei aller Kritik an der Altersstruktur ebenfalls ein großes Plus.

Die Mentalität des FC Bayern ist herausragend.
(Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Mit Erfahrung ins Saisonfinale

Matthias Sammer konstatierte bei Eurosport am vergangenen Freitagabend, dass die Mannschaft des BVB zu unerfahren sei. 18- bis 20-Jährige könnten noch keine Champions sein, sagte er. Brechen dann Stabilisatoren wie Reus oder Witsel mal weg, sei es durch Verletzungen oder Formtiefs, wird es schwer.

Bei den Bayern laufen Woche für Woche Spieler auf, die jede Situation schon mindestens einmal durchlebt haben. Ribéry oder Robben sind vielleicht nicht mehr die besten Fußballer der Liga, aber sie können ihre Erfahrung an jüngere Spieler weitergeben und sie in schwereren Zeiten stützen. Das ist vielleicht der größte Vorteil der Münchner im Kampf um den Titel: In jedem Mannschaftsteil gibt es eine gute Mischung aus Erfahrung und jungen Spielern.

Die Mannschaft ist abgezockt, sie ist clever und sie hat sich nicht mal von einem 9-Punkte-Rückstand beeindrucken lassen. Selbst in einem Jahr, in dem die Schwächen klar offenbart werden, steuern sie aktuell auf eine Saison mit mindestens 74 Punkten zu. Da kann von Krise oder klarer Schwäche eben nur bedingt die Rede sein.

Erfolgreiches Hangeln

Es gelingt dem amtierenden Deutschen Meister irgendwie, sich erfolgreich von Woche zu Woche zu hangeln und dabei in allen Wettbewerben weiterhin eine gute Rolle zu spielen. Auch das verlangt mir Respekt ab. Mannschaften, die vor allem taktisch nicht an ihre Leistungsgrenze kommen, haben in der Regel große Probleme. 

Die Bayern können das bisher aus genannten Gründen kaschieren. Über den Zusammenhalt, die Einstellung und die eigene Gelassenheit kommen sie zu wichtigen Etappensiegen, die die eigene Situation seit November dramatisch verbessert haben.

Plötzlich sind die Bayern wieder in der Lage, aus eigener Kraft Meister zu werden. Im Pokal schlugen sie starke Herthaner verdient in der Verlängerung. Auch in der Champions League erreichten sie mit ihren Qualitäten ein 0:0 in Liverpool, das ihnen Ende 2018 kaum jemand zugetraut hätte. Es bleiben nur Etappensiege. Aber in dieser Komposition steckt eben das Wort „Sieg“. 

Die Zukunft

Und selbst dann, wenn die Bayern nicht einen Titel gewinnen sollten, muss man anerkennen, dass das für ein Ende einer Ära noch recht ordentlich ist. Es gab zumindest schlimmere Abstürze in der Geschichte des Fußballs. Blicke ich in die Zukunft, sehe ich zwar immer noch viele offene Fragen, aber ich sehe auch eine furchtbar spannende Zeit.

Ich sehe einen kleinen Neuanfang: Spätestens nach der eingangs erwähnten Hoeneß-Aussage erwarte ich einige Neuzugänge und ich glaube, dass der FC Bayern für die kommenden Jahre besser aufgestellt ist, als man das zunächst vielleicht denkt.

Man hat für die anstehenden Transfers Geld zurückgelegt. Darüber hinaus zeigen die Gespräche mit Oliver Kahn, dass die Zukunft in den Köpfen der Bosse eine große Rolle spielt. Es ist nur schwer vorstellbar, dass Hoeneß und Rummenigge nur von A nach B denken. Auch die eigene Vergangenheit macht da etwas Mut. Beide haben sich in ihrer langen Zeit beim FC Bayern zumindest etwas Grundvertrauen verdient, das sie dann ab Sommer zurückzahlen können. 

Blick nach vorn

Natürlich ist die Angst, etwas zu verlieren, besonders dann sehr groß, wenn man viel besitzt. Aus der Perspektive eines Bayern-Fans ist der Besitz der tolle Fußball, der seit 2009 mal mehr mal weniger gespielt wird. Es ist vor allem auch die Stellung in Europa, die der FCB eingenommen hat. Das alles scheint im Moment etwas zu kippen. Die Zukunft ist nicht sicher und für Bayern-Fans ist das besonders schlimm, weil man keinen direkten Einfluss nehmen kann. Es ist also die fehlende Kontrolle über einen möglichen Verlust des Besitzes, die für Pessimismus und Angst vor den nächsten Jahren sorgt.

Betrachtet man das alles aber aus einer etwas lockereren und optimistischeren Perspektive, so kann man auch konstatieren, dass diese offene Zukunft einen großen Reiz mit sich bringt. Wer wird Rummenigge und Hoeneß ersetzen? Kann uns Kovač mit neuen Spielern vielleicht doch noch überzeugen? Ist die Ruhe, die der Klub trotz einer unrunden Saison ausstrahlt, berechtigt? Wie sieht der zukünftige FC Bayern aus? 

Und man darf nicht vergessen, dass in den letzten Monaten und Jahren bereits viel in diese Richtung getan wurde. Der Kader hat junge Spieler, die immer mehr Verantwortung übernehmen. Es gibt ein Nachwuchsleistungszentrum, das bisher zwar zu wenig in das Profigeschäft eingebunden wurde, aber weiterhin großes Potenzial bietet und mit Sicherheit den einen oder anderen Spieler für den FC Bayern parat haben wird. Hinzu kommen offensichtliche Pläne für einen Wechsel in der Führungsetage. Und trotz dieser ersten größeren Umbruchserscheinungen steht der FC Bayern immer noch nicht am Abgrund. Das macht doch zumindest etwas Mut, diese unsichere Zeit mit etwas Optimismus anzugehen. Oder, um es mit den letzten Worten meines Buchs zu sagen:

Und sollte der Erfolg mal wirklich über einen längeren Zeitraum ausbleiben, wird man umso mehr zu schätzen wissen, was diese Generation für den FC Bayern alles geleistet hat. Daran denke ich, als ich den großen Feuerball am Münchner Abendhimmel hinterm Olympiapark verschwinden sehe. Und mir ist klar, dass er irgendwann wieder aufgehen wird.Aus „Generation Lahmsteiger“