Klimaschutz und der deutsche Fußball – Teil Eins

Maurice Trenner 16.11.2020

Im ersten Teil der Serie erfolgt ein Blick auf die Öko-Bilanz des deutschen Fußballs anhand von Kennzahlen und Berichten. Außerdem legen Annika von Fridays For Future und Klimaexperte Patrick Fortyr von der Agentur CO2OL ihre Forderungen an einen ökologisch nachhaltigen Fußball dar. Auch der Blick auf die Fans darf nicht fehlen.

Intro

Es gibt für jeden Artikel diesen einen Moment des Anstoßes. Für diesen Beitrag war es ein Tweet von Max-Jacob Ost, der ein Ereignis betraf, das schon kurz später in der Öffentlichkeit seinen eigenen Namen bekam: Basel-Gate. In der Kurznachricht war eine offene Frage an den Deutschen Fußballbund formuliert: Wieso fliegt die deutsche Nationalmannschaft die kurze Strecke von Freiburg nach Basel, um dort am 6. September ihr Nations-League-Spiel gegen die Schweiz auszutragen? Unterschwellig klang mit: Denkt hier eigentlich jemand mal an das Klima?

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Für mich war dieser Tweet ein Erwachen. Seit geraumer Zeit beschäftige ich mich privat mit dem Thema ökologischer Nachhaltigkeit. Doch die offensichtliche Verbindung zu meinem großen Interesse am Fußball hatte ich bisher nicht gezogen. 

So entstand die Idee, einen Artikel zu schreiben, über die ökologische Nachhaltigkeit des Fußballs, der Vereine im Allgemeinen und des FC Bayern im Speziellen. Ich wollte wissen, wie die Beteiligten ihr eigenes Verhalten sehen, ob ihnen ihre Verantwortung bewusst ist, welche Maßnahmen bereits getroffen werden und welche geplant sind. Mit diesen Fragen stürzte ich mich in die Recherche.

Ein Spieltag in Fußball-Deutschland

Wie weit das Thema Nachhaltigkeit im Fußball reicht, wurde mir erst nach einigen Überlegungen zu dem Thema klar und dann doch so offensichtlich. Das wird bereits bei einem Stadionbesuch deutlich, stellen sich doch entlang des gesamten Erlebnissen, vom Verlassen des Hauses zur Anreise zum Stadion bis zur Rückkehr nach Hause, vielfältige Fragen in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit.

Der typische Besuch eines Fußballspiels beginnt mit der Anreise. Mannschaften, Funktionäre, Journalisten und Fans pilgern auf ihrem Weg in die Stadien quer durch Deutschland – per Auto, Bus, Bahn oder Flugzeug. Mich interessiert: Wie groß ist der anreisebedingte ökologische Fußabdruck eines Spiels? Wie groß ist erst der eines ganzen Spieltags?

Für viele der Fans geht es dann in den Fan-Shop. Die Auswahl an Merchandise-Artikel reicht von Trikots bis Christbaumkugeln, die aus weiten Teilen der Welt ihren Weg in die Stores der Vereine finden. Welche Materialien werden dafür verarbeitet und welche Ressourcen eingesetzt?

Vor dem Weg auf den Sitzplatz führt der Weg am Essen vorbei. Am Imbissstand ist die Verpflegung in den Stadien vielerorts noch identisch zu der in der Kreisliga. Es gibt die klassische Bratwurst. Was ist eigentlich mit vegetarischen und veganen Alternativen, die einen besseren CO2-Fußabdruck haben?

Auf dem Platz angekommen fragt man sich bei all der Leuchtreklame und Werbetafeln: Wird das Stadion eigentlich mit Öko-Strom beliefert oder hat es eine eigene Photovoltaik-Anlage? Und wie sieht das mit den anderen Gebäuden des Vereins aus – Geschäftsstelle, Jugendzentrum und Trainingsanlagen?

Alles Fragen, über die man sich im Überschwang eines Sieges nur wenige Gedanken macht und die man sich aber durchaus stellen sollte.

Der Rucksack

Wie also steht es um die Nachhaltigkeit in der Praxis? Wie viel CO2 setzt der Profifußball frei? Der Weltklimarat empfiehlt bereits seit 2011 einen Jahresverbrauch von nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf, um die bevorstehende Klimakatastrophe abzuwenden. Aber alleine durch den Besuch eines Fußballspiels kann man schon einen Großteil dieses Budgets aufbrauchen.

Beginnen wir noch einmal mit der Anreise – diesmal mit konkreten Zahlen: Zu jedem Profifußballspiel in Deutschland reisen zwei Mannschaften inklusive Betreuer- und Funktionärsstab sowie je nach Begegnung zwanzig- bis achtzigtausend Zuschauer an. Mittlerweile ist für viele Auswärtsvereine das Flugzeug zum Reisemittel der Wahl geworden. Die Regeneration der Spieler sei im eng getakteten Spielplan zwischen Liga, Pokal und Europa nur so möglich. So legt beispielsweise der FC Liverpool dadurch etwa 100.000 Kilometer pro Saison mit dem Flugzeug zurück. Das entspricht laut der Studie eines Klimaforschers alleine CO2-Emissionen von 50 Tonnen. Das entspricht dem durchschnittlichen Jahresbedarf von vier bis fünf Bürgern.

Als wäre das noch nicht genug, schicken viele Vereine zusätzlich noch den Mannschaftsbus auf Reise, um das Team auf dem Rollfeld abzuholen und zwischen Hotel und Stadion zu kutschieren. Diese Fahrt macht der Bus mit einer Kapazität von etwa 50 Personen alleine. Genauso wie übrigens auch die Rückfahrt.

Einen mindestens ebenso großen Anteil am CO2-Kuchen geht jedoch auch zu Lasten der Fans. Der VfL Wolfsburg beziffert in einer CO2-Bilanz den Anteil der Fan-Mobilität auf 60 Prozent an den Gesamtemissionen. Zwar verzichten wohl die meisten Fans auf das Flugzeug, reisen dafür aber in Scharen mit dem Auto an. Wie die Klimaschutzexperten von CO2OL berechneten, machen dies ihrer Kalkulation bis zu 70 Prozent der anreisenden Fans. Für einen FC-Bayern-Fan, der alle Auswärtsspiele besucht, bedeutet das 17.558 Kilometer Anreise im Auto im Lauf einer Saison. Das entspricht einem CO2-Ausstoß von mindestens 3,56 Tonnen. 

Die Klimaschutzberatung CO2OL hat weitere Modell-Berechnungen basierend auf Sekundärdaten angestellt. Der CO2-Fußbabdruck eines Fußballs-Fan pro Spieltag durch den Konsum von Bier und Bratwurst inklusive dem dabei produzierten Müll liegt bei weiteren 0,3 Tonnen CO2. Hochgerechnet auf einen Spieltag kommen deutschlandweit 120 Tonnen CO2 alleine durch die Verpflegung zusammen.

Summiert man diese Faktoren, ergeben sich laut dem von CO2OL berechneten Modell für einen einzelnen Spieltag fanbedingte CO2-Emissionen von circa 7.500 Tonnen. Das entspricht den jährlichen Emissionen eines Dorfes mit 700 Einwohnern. Bei einer Saison mit 34 Spieltagen müsste eine Fläche der Größe von 48 Fußball-Feldern mit knapp 60.000 Bäumen bepflanzt werden, um diesen Klimaschaden auszugleichen. Zusätzlich werden in Deutschlands Stadien jährlich 30 Millionen Liter Wasser verbraucht, was etwa dem jährlichen Wasserverbrauch von 640 Bürgern entspricht. Und bereits eine einzige Rasenheizung verbraucht pro Tag so viel Heizöl wie ein Einfamilienhaus im Jahr.

Eine Branche im Wandel

Diese eindrücklichen Zahlen müssten aus den Reihen der Fußball-Vereine doch zu entsprechenden Aktionen und Handlungen führen. Wie sieht die Realität aus? Drei vorbildhafte Projekte im Profifußball zeigen, dass die Zeichen auf Wandel stehen. 

Zwei von Ihnen sind mit dem 1. FSV Mainz 05 und seiner Partnerschaft mit einem Energiekonzern, der auch einmal Hauptsponsor des Vereins war, sowie der TSG Hoffenheim. Hinzu kommen die Forest Green Rovers als der erste von der UN als klimaneutral zertifizierte Fußballklub der Welt.

Mit dem 1. FSV Mainz 05 baute der Energiekonzern eine intensive Partnerschaft auf, die den Verein zu einem Umdenken zwang. Der kaufmännische Vorstand Jan Lehmann fasste das Verhalten seines Clubs gegenüber DW so zusammen: „Wir arbeiten im gesamten Verein daran, Ressourcenverbrauch zu vermeiden und zu minimieren und kompensieren“. Mit Beratern eines Öko-Instituts aus Darmstadt stellte man Stadion und Geschäftsstelle auf den Prüfstand. Die erarbeiteten Maßnahmen wurden mit einem geschärften Blick auf ökologische Nachhaltigkeit umgesetzt. Zusammen mit dem Sponsor führte man diverse Aktionen durch, um auch das Stadionpublikum zu informieren, sensibilisieren und zum Umdenken anzuregen. Aktionen waren beispielsweise Gewinnspiele für Fans, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist waren (Quelle: Gesellschaftsspielchen, Ronny Blaschke).

Der Klimaschutz wird im Fußball mehr und mehr zum Thema.
(Foto: Thomas Niedermueller/Bongarts/Getty Images)

Der selbstverliehene Titel als erster klimaneutraler Fußballverein sollte dennoch kritisch gesehen werden. Der Umweltexperte Daniel Bleher gibt zu bedenken, dass der „Claim ‚klimaneutral‘ nicht geschützt ist“. Die Emissionen entstehen im Betrieb natürlich weiterhin und werden bei den Mainzern durch die Investition in Waldaufforstungsprojekte in Kanada kompensiert. Daher lautet die Empfehlung von Bleher von „klimafair“ zu sprechen.

Der Trend zur Kompensation zieht immer größere Kreise. Auch die TSG Hoffenheim kompensiert inzwischen die eigenem CO2-Emissionen sowie die Reise der gegnerischen Mannschaft und des Schiedsrichtergespanns mit einem Baumprojekt in Uganda. Zudem wurden fünf Handlungsfelder definiert, mit denen eigene Entwicklung und gesellschaftlicher Nutzen verbunden werden sollen, wie Stefan Wagner, Leiter Unternehmensentwicklung bei der TSG, im Interview mit dem Kicker erklärte (Quelle: Kicker 09/19). Auch hier profitiert die Partnerschaft von der Zusammenarbeit mit einem Sponsor, in diesem Fall einem Entsorgungsunternehmen. Gemeinsam wurden Aktionen bei Heimspielen durchgeführt, aber das Unternehmen gestaltet auch aktiv die Entsorgung von Abfällen in der Sinsheimer Arena mit.  

Aber auch andere Vereine haben ökologische Nachhaltigkeit und Umweltschutz auf dem Schirm und versuchen an einzelnen, kleinen Stellschrauben zu drehen: Eine Photovoltaik-Anlage auf dem Weserstadion, ein eigener Brunnen in Wolfsburg oder Veggie-Snacks bei Borussia Dortmund. Erst kürzlich ließ der 1. FC Köln verlauten, dass er sich vom TÜV Rheinland auf die Einhaltung seiner Nachhaltigkeitsziele hin überprüfen lassen wolle. Dazu will er vor allem auch die Flugreisen der Herrenmannschaft streichen.

Internationaler Vorreiter ist aber ohne Frage der englische Viertligist Forest Green Rovers, der sogar von der UN als klimaneutraler Fußballverein eingestuft. Mit Strom aus Sonnenenergie und Windkraft, veganer Kost für Spieler und Zuschauer sowie organischem Dünger im Stadion. Clubbesitzer Dale Vince hat Fans und Spieler mit seinem Konzept überzeugt.

Der Blick der Fans

Doch dieses Engagement kommt noch nicht bei den Fans an, die in einer (nicht repräsentativen) Umfrage des Kicker zu 79 Prozent dem Fußball fehlenden Einsatz für den Umweltschutz attestieren (Quelle: Kicker 09/19). 

Dies dürfte auch daran liegen, dass sich weiterhin kein Bundesligaspieler öffentlichkeitswirksam für den Umweltschutz einsetzt. „Es gibt im sozialen Bereich viele, die das über eine Stiftung machen, aber ich wüsste jetzt keinen Umweltbotschafter, der ein aktiver oder ehemaliger Profi ist“ sagt Klimaexperte Daniel Bleher im Deutschlandfunk. Auch Patrick Fortyr von der Klimaschutzberatung CO2OL sagt im Gespräch mit mir, dass Profis keine Rolle im Einsatz für Nachhaltigkeit spielen und ihren Einfluss viel stärker nutzen müssten, um Vorbilder für Umweltschutz zu werden.

Und wie sehen es die Fans selbst, sind sie sich ihrer Wichtigkeit bei dem Thema Umweltschutz bewusst? Im Interview mit Alexander Fischer vom Club Nr. 12, einem Zusammenschluss organisierter Fans des FC Bayern, zeigt sich ein anderes Bild. Laut ihm ist das Thema ökologische Nachhaltigkeit in der Fankurve „aktuell kein großes Thema.“ Er begründet dies mit der Priorisierung von anderen Themen, aber auch dem Verhalten des typischen Kurvenfans. Dieser „versorgt sich [mit Essen, Anm. d. Red.] meist vorher selbst“ und reist sofern möglich bereits mit Bus oder Bahn an. Konkrete Aktionen der Kurve oder auch eine Aufnahme des Themengebiets Nachhaltigkeit als vierzehnter Arbeitsbereich des Club Nr. 12 seien „aktuell nicht geplant.“

Forderungen für einen nachhaltigen Fußball

Die fehlende Reaktion der Fans zeigt, dass die Aktionen der Bundesligisten noch nicht weit genug gehen. Dies meinen Annika von Fridays for Future und Patrick Fortyr von der Agentur CO2OL im Gespräch mit mir. 

Die internationale Bewegung sieht den Fußball als einen „Massensport, der als Teil der Kultur eine Vorbildfunktion einnehmen und unsere gemeinsamen Werte vermitteln sollte“. Doch die Pflicht endet nicht dort. Annika, die seit 2019 für FFF in Hamburg aktiv ist, stellt klar, dass „der Sport selbst bis 2035 klimaneutral gestaltet werden soll. Dazu gehört bspw. Reduktion der Flüge, nachhaltige Gewinnung des Stroms für Stadien und die Auswahl der Sponsoren.“ Ihr Mitstreiter Vincent wünscht sich bei ran zudem fleischlose Alternativen zur Stadionwurst, das Abdrucken der eigenen CO2-Bilanz im Stadionheft und den Umstieg auf Handytickets. 

Die Verantwortung sieht die Aktivistin dabei bei allen Beteiligten: Bei den Verbänden, die die Vereine mehr in die Pflicht nehmen sollten; bei den Vereinen, die mehr Sorgfalt bei der Auswahl ihrer Sponsoren an den Tag legen sollten; bei den Spielern, die ihre Verantwortung zur Aufklärung der Öffentlichkeit nutzen sollten; und bei den Fans, die das Handeln der Vereine einfordern sollten.

Auch Patrick Fortyr sieht den Umweltschutz als ein Projekt, das an mehreren Fronten erkämpft werden muss: „Der Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Für ihn sollten Vereine eine Klimabilanz (Corporate Carbon Footprint) oder eine Ökobilanz, die den gesamt-ökologischen Einfluss des Unternehmens bewertet und damit über den Klima-Aspekt hinausgeht, veröffentlichen oder dazu vom Gesetz- oder Lizenzgeber aufgefordert werden. Unverbindliche Richtlinien, wie der Ideenkatalog Umweltschutz vom DFB, sind für ihn dabei uninteressant, da diese „nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein sind.“

Die Pläne von DFL und DFB reichen noch nicht aus, so Experte Patrick Fortyr.
(Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Zudem müssten Vereine an der Umsetzung eines klimaneutralen Geschäftsbetriebs arbeiten und sich selbst wissenschaftsbasierte Reduktionsziele setzen. Die Vorbildrolle ist für Fortyr ein zentraler Aspekt: „Die Vereine müssen dafür natürlich auch authentische Vorbilder sein. Aber dieser Hebel wird fast ausschließlich für Werbung genutzt (Sponsoren). Warum nutzt man diesen Hebel nicht viel stärker, um bei Fans und damit in der Gesellschaft ein Umdenken anzustoßen?“ Im Zusammenspiel mit den Fans können Anreizsysteme für klimafreundliches Verhalten helfen. Den Fans empfiehlt Fortyr die Anreise zu Fuß oder mit dem ÖPNV, den Verzicht auf die Stadionwurst und die Überlegung, ob es wirklich jedes Jahr das neue Trikot sein muss.

In ihren Forderungen erhalten sie dabei durchaus auch Unterstützung von Seiten des Profifußballs. Der ehemalige DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig forderte im Kicker vom Ligaverband ein, ökologische Aspekte in die Lizenzierung der Vereine einfließen zu lassen. Und der Grünen-Politiker Anton Hofreiter bemängelt den Verzicht auf klare Spielregeln beim Umwelt- und Klimaschutz (Quelle: Kicker 09/19).

Annika von FFF fasst zusammen: „Klimaschutz heißt tatsächlich eine Veränderung in allen Sektoren.“ Ein solches Umdenken braucht allerdings auch immer mal wieder einen Ruck. Der Mäzen von 1899 Hoffenheim, Dietmar Hopp, sagt im Kicker entsprechend: „Der Druck, dass auch der Fußball aktiv wird, ist groß. Es wäre aber auch wichtig, wenn ein großer Player wie der FC Bayern München oder Borussia Dortmund sich diesen Themen öffnet, um einen möglichst großen Nachahmungs- und Sogeffekt zu erzielen“.

In Teil Zwei geht der Blick in Richtung der großen Player. Im Interview mit einem Vertreter des FC Bayern München und mit Jürgen Muth, dem Geschäftsführer der Allianz Arena GmbH, spreche ich über die Pläne des Rekordmeisters.