Harte Olympiakost: Bayern gewinnt knapp mit 3:2

Justin Trenner 22.10.2019

Für die Bayern war der Gastauftritt gleich auf mehreren Ebenen wichtig: Emotional ging es darum, eine Krise zu vermeiden. Damit einher geht das Aufpolieren des eigenen Selbstverständnisses. Doch auch sportlich ging es darum, einen großen Schritt in Richtung Achtelfinale zu gehen.

Falls Ihr es verpasst habt:

Niko Kovač wechselte im Vergleich zum 2:2 in Augsburg dennoch nur zweimal: Für Kingsley Coman rückte Thomas Müller in die Startelf und hinten ersetzte David Alaba den verletzten Niklas Süle. Diese zwei Veränderungen brachten jedoch eine größere Umstellung mit sich. Alaba rückte selbstverständlich auf seine Linksverteidiger-Position, wodurch Lucas Hernández neben Benjamin Pavard im Zentrum verteidigte. Javi Martínez blieb auf der Sechs, Müller spielte auf dem Papier rechts und Serge Gnabry wechselte auf die linke Außenbahn.

Auch Pedro Martins stellte bei den Gastgebern ein wenig um. Statt eines spielstarken Zehners brachte er drei eher robuste Mittelfeldspieler, um gegen den Ball in einem kompakten 4-5-1 verteidigen zu können. Womöglich aber auch eine Reaktion darauf, dass Mathieu Valbuena aufgrund von Oberschenkelproblemen nicht zur Verfügung stand. Im Angriff startete El-Arabi, rechts begann der schnelle Daniel Podence in der Hoffnung, die Vorstöße von David Alaba für sich nutzen zu können.

So viel zur Theorie. Praktisch plätscherte das Spiel 20 Minuten lang vor sich hin. Die Bayern hatten zwar fast 70% Ballbesitz, doch wirklichen Ertrag gab es daraus nicht. Piräus verteidigte tief, hatte aber immer wieder gefährliche Kontersituationen. Abschlüsse der Münchner blieben gänzlich ohne Gefahr. 

Und so wie das Spiel so vor sich hin plätscherte, hatten die Griechen den ersten Punch parat. Nach einer Flanke war es El-Arabi, der den Ball ins Tor köpfte (23.). Neuer konnte zwar parieren, doch die Torlinientechnologie vermeldete den ersten Treffer des Abends. Wirklich überraschend kam dieser Nadelstich ob der uninspirierten Leistung der Münchner trotzdem nicht.

Nach rund 30 Minuten stellte Niko Kovač dann um. Müller rückte ins Mittelfeldzentrum hinter Lewandowski, Coutinho auf die linke Seite und Gnabry wechselte nach rechts. Es sollte keine vier Minuten dauern, da machte sich diese Anpassung bezahlt. Eine Hereingabe legte Lewandowski per Kopf auf Müller ab, der den Ball volley auf das Tor brachte. Piräus-Torwart Sá parierte zwar, doch Lewandowski verwertete den Abpraller zum Ausgleich. Ein besserer Spielfluss kam in der Folge aber auch dadurch nicht zustande und so ging es mit dem 1:1 in die Kabinen.

Im zweiten Durchgang brachte Kovač Corentin Tolisso für den angeschlagenen Martínez. Und als wäre das nicht genug, mussten die Bayern in der 58. Minute erneut wechseln. Hernández verletzte sich, Boateng ersetzte ihn. Einen wirklichen Einfluss auf die Partie nahm aber auch das nicht. Im Gegenteil: Die Bayern agierten sogar noch etwas weniger zielstrebig als in den ersten 45 Minuten. Ähnlich wie Piräus gelang es diesmal jedoch den Münchnern, mit der ersten nennenswerten Szene ein Tor zu erzielen. Nach einem Standard war es – natürlich – Lewandowski, der die Führung besorgte (62.).

Dass auch noch andere Spieler im Kader Tore schießen dürfen, stellte dann Tolisso unter Beweis, der mit dem zweiten Abschluss seiner Mannschaft im zweiten Durchgang das 3:1 sehenswert aus der Distanz erzielte (75.). Dem Ergebnis entsprechend traten die Gäste aber nicht auf. Kaum Ballbesitz, wenig Kontrolle, ständige Kontersituationen durch Piräus – da war das zweite Tor der Griechen fast schon folgerichtig.

Guilherme versenkte einen abgefälschten Fernschuss und brachte seine Mannschaft zurück ins Spiel (79.). Erneut ließen die Bayern den Verwaltungsmodus bei einer eigentlich komfortablen Führung vermissen. 

Kovač wechselte in der 86. Minuten letztmals: Ivan Perišić kam für Müller. Piräus warf hingegen in der Schlussphase, die Podence mit starker Einzelaktion und dem Beinaheausgleich eröffnete (88.), nochmal alles nach vorn. Diesmal zitterten die Bayern den Sieg aber über die Ziellinie.

Dinge, die auffielen:

1. Andere Spieler, selbe Probleme

Wohlwollend kann man Niko Kovač den Gedanken unterstellen, dass er mit vier eher zentral ausgerichteten Spielern zumindest theoretisch das kompakte Mittelfeld der Griechen bespielen wollte. Praktisch sah das mit dem Ball allerdings genauso aus, wie in den letzten Wochen und Monaten. Die taktischen Probleme wurden auf Miasanrot hoch und runter analysiert, sie erneut in aller Detailtiefe auszuführen, wäre in etwa so vorhersehbar wie das aktuelle Offensivspiel der Bayern.

Deshalb in aller Kürze: Riesige Abstände im zentralen Mittelfeld, ohnehin riesige Abstände zwischen den Mannschaftsteilen (Defensive, Offensive, aber kein Mittelfeld), kein Anbieten der Achter oder Außenspieler in Ballnähe, uninspiriertes Spiel über die Außenbahnen, viele unnötige Ballverluste durch fehlende Anspielstationen, keine Einbindung Coutinhos oder Müllers, kaum Struktur auf dem Platz und somit auch große Löcher, die Piräus bespielen konnte.

Man kann Kovač nicht absprechen, dass er Dinge ausprobiert. Gegen Piräus stellte er nach 30 Minuten um. Durch den nun zentraleren Müller kam es nach einer Flanke zum Ausgleich. Anschließend blieb es aber dasselbe Spiel. Auf einem Schulzeugnis würde daher wohl stehen: “Er war stets bemüht.” Aber letztendlich blieb es größtenteils Magerkost der Bayern.

2. Thiago durch seine Rolle limitiert

In den vergangenen Wochen scheiterte Tolisso daran, auf der Sechs wie Kimmich oder Thiago spielen zu müssen. Seit dem Augsburg-Spiel und der Rückkehr von Martínez im bayerischen Mittelfeld scheitert nun Thiago daran, auf halbrechts wie Tolisso oder Goretzka spielen zu müssen. Thiago war in den letzten Jahren der wichtigste Spieler im Kader des FC Bayern, weil er seiner Mannschaft eine Grundstruktur gibt, die ohne ihn fehlt. Nicht zuletzt gegen Tottenham wurde das mehr als deutlich.

Seine Rolle in den letzten beiden Spielen limitierte ihn jedoch so sehr, dass er mittlerweile tatsächlich so spielt, wie man ihn in Teilen der deutschen Medienlandschaft zuletzt überkritisch wahrgenommen hatte: Wie ein stinknormaler Mittelfeldspieler, der viel zu oft abtaucht.

Zu hoch, zu wenig zentral, zu wenig in den eigenen Spielaufbau eingebunden – in dieser Rolle wird Thiago Kovač nicht helfen können. Und schaut man sich die unvollständige Liste an Problemen in Punkt 1 an, so wird der Trainer die Hilfe seiner Nummer Sechs dringend benötigen.

3. (Vermeintlich) fehlende Laufbereitschaft

Ein berechtigter Kritikpunkt am derzeitigen Bayern-Spiel ist auch, dass es zu wenig Bewegung auf dem Platz gibt. Der ballführende Spieler hat zu wenig Optionen, neigt dann entweder zum Risiko- oder zum Quer- beziehungsweise Rückpass. Raumgewinne gibt es dadurch selten, die Passwege sind weit und der Gegner bekommt tolle Angebote. Warum beispielsweise gegen Leipzig immer wieder Offensivspieler in Ballnähe abkippten und die Bayern jetzt kaum noch geordnet nach vorn kommen, wird sich nicht endgültig klären lassen.

Jedoch liegt der Verdacht nahe, dass es entweder taktische Vorgaben oder fehlende taktische Vorgaben sind. Warum sollten Spieler und Trainer sonst darauf beharren und nichts an der Situation ändern? Eine taktische Vorgabe könnte das Ziel haben, besser ins Gegenpressing bei zweiten Bällen zu kommen und über viele Spieler in der Offensive erst später auf dem Flügel ballnah zu unterstützen oder sich für Verlagerungen ins Spiel zu bringen. Die bittere Realität ist aber, dass es nicht funktioniert. Der Ballvortrag des FCB ist behäbig und lädt zu Kontern ein. 

Ein weiteres Indiz für die Ideenlosigkeit sind die vielen Karten, die die Mannschaft in dieser Saison bereits gesammelt hat. Allein Thiago kommt bereits auf fünf gelbe Karten nach nur 11 Pflichtspielen. In der gesamten letzten Saison waren es bei ihm sechs nach 42 Pflichtspielen. Oft brauchen die Bayern taktische Fouls, um ihren Gegner zu stoppen. Kein Zeichen eines gesunden und strukturierten Ballbesitzspiels und/oder Gegenpressings.

4. Guter Gegner

Auch Olympiakos Piräus war ein Teil dieses Spiels. Die Bayern hatten es nicht mit Fahnenstangen, sondern mit einer gut organisierten Mannschaft zu tun. Piräus wechselte im Vergleich zu den letzten Spielen auf ein 4-5-1 gegen den Ball, bei dem die ballnahen Flügelspieler immer wieder herausrückten, wodurch ein asymmetrisches 4-4-2 entstand. Asymmetrisch deshalb, weil den Bayern dadurch die diagonalen Pässe von außen nach innen erschwert wurden. Piräus löste das durchaus clever und konnte die Spielfeldmitte regelmäßig schließen. Bayerns Zentrum hatte in den meisten Spielphasen kaum Anbindung.

Piräus blieb immer aggressiv, zeigte eine hohe Laufbereitschaft und kam zu einigen Ballgewinnen. In ihren Umschaltsituationen ließen sie aber gute Gelegenheiten ungenutzt. Im zweiten Durchgang zeigten sie aber, dass sie nicht nur die klassische Kontermannschaft sind, die auf Fehler des Gegners lauert. Mitunter kamen die Griechen hier auf mehr Ballbesitz als die Gäste. Bayern bekam keine Kontrolle in das Spiel und Piräus blieb deshalb immer gefährlich. So sehr man den FCB also dafür kritisieren kann, dass er taktisch, läuferisch, individuell und als Kollektiv nicht an die Leistungsgrenze kam, so sehr muss man den Gegner an diesem Abend dafür loben, dass er die Schwächen der Kovač-Elf offenlegen konnte. Zwar dürften die Bayern letztendlich die klareren Chancen gehabt haben. Bedenkt man allerdings, welche Chancen Piräus sich aus Unvermögen nicht herausspielte, war ein Unentschieden durchaus realistisch.

5. Und nun?

Gruppenerster, in der Bundesliga dran am Tabellenführer, im Pokal eine Pflichtaufgabe vor der Brust, gegen Piräus eine deutlich bessere Chancenverwertung gezeigt – alles toll beim FC Bayern, oder? Nun. Es bleibt eine Frage der Perspektive. Eine Möglichkeit wäre es, die Leistungen der vergangenen Wochen (einschließlich der ersten Halbzeit gegen Tottenham) mal gewaltig in Frage zu stellen und jeden Stein umzudrehen. Wo liegen die Ursachen für die teils eklatanten Schwachpunkte? Warum kann der FC Bayern selbst gegen vermeintlich kleinere Mannschaften kein Spiel mehr kontrollieren? Warum ist diese Gier nicht mehr zu spüren, in jeder Situation den einen Meter mehr zu gehen als sonst? Nickt man jetzt alles ab, unterschätzt man die Situation. Dann sollte man aber auch nicht überrascht sein, wenn der erste große Gegner in der Champions League zu groß ist für einen Klub, der sich in seinem Selbstverständnis eigentlich ständig den Kopf an der Decke stößt. Die Realität spricht nämlich eine andere Sprache.