Keine Kontermannschaft

Steffen Trenner 30.04.2014

Ein Vergleich tauchte dabei immer wieder mal auf. Das 4:0 der Bayern gegen Barcelona im Vorjahr diente vielen Kommentatoren und Analysten als Referenzpunkt. Emotional und in der Symbolik kann ich das gelten lassen. Mit Blick auf die Spielanlage nicht unbedingt. Andreas Lehner brachte es für Spox am Deutlichsten auf den Punkt:

Die Bayern hatten Barcelona entgegen ihrer Natur den Ballbesitz überlassen und dann gnadenlos gekontert. So lief das im Hinspiel in München und so lief das im Rückspiel in Barcelona. Das Halbfinale in der Saison 2013/14 lief im Großen und Ganzen genauso ab – nur eben anders rum. Die Bayern waren Barcelona und Real Madrid war der FC Bayern.

Gnadenlos ausgekontert hätten Heynckes Bayern die Katalanen. Auch hier im Blog in den Kommentaren war der Verweis auf die Konter-Ausrichtung der Bayern, die Heynckes Variabilität im Vergleich zu Guardiola zusätzlich unterstrich, immer wieder zu lesen. Gnadenlose Konter gegen Barcelona wie Madrid gegen uns? Stimmt das? Ich rate jedem sich die Tore gerade beim 4:0 Hinspiel-Erfolg gegen die Katalanen noch einmal genau anzusehen.

Zunächst einmal ist klar, dass Bayern im Halbfinale des Vorjahres deutlich weniger Ballbesitz hatte als Barcelona. 34%:66% standen nach 90 Minuten des Hinspiels zu Buche. Barcelona ist eine andere Mannschaft als Real Madrid – von daher ist eine andere Ballbesitz-Verteilung als im Jahr 2014 logisch. Bayern stand kompakt. In den ersten 20 Minuten des Hinspiels sogar tief. War das so beabsichtigt? Setzte Heynckes auf die gleiche Taktik wie heuer Ancelotti? Spox selbst schrieb in ihrer Spielanalyse zum damaligen Spiel folgendes: „Früh bemängelte Heynckes die abwartende Haltung seiner Mannschaft und forderte mit deutlichen Handbewegungen seine Spieler auf, weiter nach vorne zu verschieben.“

Bayern war in den ersten 20 Minuten des Hinspiels unter Druck. Im Liveticker von Kicker.de war zu lesen: „Die Münchner machen den Platz bei Ballbesitz der Villanova-Elf eng. Daraus resultieren nun etwas mehr Ballgewinne, allerdings ist das Spiel von Lahm & Co. nach vorne noch zu fehlerhaft.“ Spox sekundierte: „Barca machte bei Ballbesitz der Bayern mit drei, vier Spielern extremen Druck auf die Abwehrspieler und provozierten so eine Reihe schneller Ballverluste, weil insbesondere Dante oft nur der hastige lange Ball übrig blieb.“

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In der 25. Minute geht Bayern mit 1:0 in Führung. Ein Konter? Eine Ecke. Barcelona bekommt den Ball nicht weg. Robben flankt, Dante köpft und Müller vollendet. Kicker.de lobt in der Folge die starken Kombinationen der Bayern aus der eigenen Abwehr heraus. Auch ein Blick auf die Passstatistik zeigt. Bayern sucht nicht unbedingt den direkten Weg nach vorne, sondern hält den Ball bevorzugt in der Defensive in den eigenen Reihen. 104 erfolgreiche Pässe spielen die Münchener im eigenen Defensivdrittel gegen Barcelona. Real Madrid am Dienstag nur 60. Mit 1:0 für Bayern geht es in die Pause.

In der 49. Minute erhöht Mario Gomez auf 2:0. Wieder nach einer Ecke. Müller überspringt Dani Alves, köpft zu Gomez, der aus kürzester Distanz einschiebt. Er stand bei diesem 2:0 im Abseits.

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Auch mit der 2:0-Führung im Rücken, sind Bayerns Angriffe nicht das klassische Konterspiel, das wir in zwei Spielen von Real Madrid gesehen haben. Fraglos: Bayern bemüht sich nach Ballbesitz schnell umzuschalten, die Ballgewinne erfolgten aber anders als bei Madrid unter der Woche viel früher. 15 Ballgewinne gelangen den Münchenern 2013 in Barcelonas Hälfte. Madrid hatte am Dienstag 5. Das Spiel der Bayern war auch längst nicht so vertikal wie das der Madrilenen. Bayern suchte auch nach dem Ballgewinn häufig den Weg in die Breite wie die beiden weiteren Treffer beim 4:0 gegen Barcelona zeigten.

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Schweinsteiger passte in der 73. Minute quer zu Robben, der zu einem Solo gegen zwei Mann ansetzte und dank Müllers irregulärem Block zum 3:0 traf. Auch beim 4:0 entblößt Bayern die Katalanen nicht durch einen Konter, sondern umspielt die im Prinzip gut gestaffelte Viererkette mit einem Hinterlaufen von Alaba, dessen Flanke Müller mit einer Grätsche in Bedrängnis ins Tor zwingt.

Am Ende steht ein 4:0. Eine Sternstunde für den FC Bayern. Erreicht durch einen guten Plan von Jupp Heynckes, der die Passwege auf Xavi/Busquets zustellte und damit Barcelona weit weg vom eigenen Strafraum hielt. Und einem aufopferungsvollen Kampf, der am Ende in einem Rausch endete, bei dem offensiv fast alles gelang. Eingeleitet haben diesen Abend und auch das Weiterkommen zwei Standardsituationen. Es zeigt im Übrigen ähnlich wie das Rückspiel 2014 gegen Real die Endlichkeit von Systemen in einem Champions League-Halbfinale. Manchmal sind es die kleinen Dinge. Ein Standard. Vielleicht eine Fehlentscheidung, die einem Spiel eine bestimmte Wendung geben und dem System so erst die Möglichkeit geben seine volle Wirkung zu entfalten.

Auch im Rückspiel 2013 gegen Barcelona waren es im Übrigen nicht unbedingt Konter, die Bayern mit einem 4:0-Vorsprung im Rücken den Sieg brachten. Eine Einzelaktion des nach innen ziehenden Robben (48.), ein Eigentor von Piqué (72.) und ein Kopfball von Müller nach einem Solo von Ribéry (76.) brachten die Tore.

Man kann die Leistung von Jupp Heynckes in der Triple-Saison 2012/2013 nicht überhöhen. Sie war die wohl beste overall Coaching-Leistung in der Bayern-Geschichte. Aber wer behauptet, dass Real Madrid den FC Bayern in diesem Jahr mit den eigenen Mitteln aus dem Vorjahr geschlagen habe, nämlich mit Konterfußball, der verklärt doch ein wenig die Realitäten. Bayern München war im Jahr 2012/2013 auch gegen Barcelona keine Kontermannschaft. Sie war eine Ballbesitz-Mannschaft, die gegen Barcelona auf eine bessere Ballbesitzmannschaft traf und deshalb mit einem klugen defensiven Plan agierte, der Barcelonas Spiel weit vom eigenen Tor weghielt und viele frühe Balleroberungen erzwang.

Arsenal, Juve, Barca – alle wollten im Vorjahr spielen oder mitspielen gegen den FC Bayern. Der Rekordmeister war in diesen offenen Spielen stets die bessere Mannschaft. Im Finale gegen die anders ausgerichteten Dortmunder war es denkbar knapp. Real Madrid hat in zwei Spielen im Jahr 2014 gegen eine noch etwas stärker auf Ball- und Spielkontrolle ausgerichtete Münchener Mannschaft den Schlüssel gefunden. Wer von Guardiola mehr Variabilität, mehr Engagement im Umschalten nach Ballgewinn oder mehr Kompaktheit verlangt, hat recht. Der Verweiß auf Bayerns angeblichen Konterfußball in den Duellen mit Barcelona im Vorjahr greift aber etwas zu kurz.