FC Bayern München Frauen - SGS Essen, 2:1, Grünwalder Stadion

FC Bayern Frauen – SGS Essen 2:1 (1:0)

Jolle Trenner 06.12.2015

Mit der SGS Essen war an diesem sonnigen Dezembersonntag derjenige Gegner in der Hermann-Gerland-Kampfbahn zu Gast, gegen den im letzten Jahr zunächst die Herbstmeisterschaft ver-, und im letzten Saisonspiel im Herzschlagfinale die tatsächliche Deutsche Meisterschaft dann aber erspielt werden konnte. Diesmal trafen die Bayern als Tabellenführer auf den Tabellendritten. Alles andere als ein Selbstläufer.

Während das Stadion am Aktionstag für Familien gut gefüllt war, standen die Fans zunächst aus traurigem Anlass Seite an Seite.

Falls Ihr es verpasst habt:

Zum zweiten Mal nach dem Auswärtssieg gegen Köln durfte Manuela Zinsberger das Tor der Bayern hüten. Sie vertrat Tinja-Riikka Korpela, die am Unabhängigkeitstag ihres Heimatlandes als finnische Sportlerin des Jahres geehrt wurde. Vor Zinsberger spielte der Rest der Stammelf in einer 3-4-1-2-Grundformation mit Viktoria Schnaderbeck, Nora Holstad und Caro Abbé in der Dreierkette, Gina Lewandowski als linkem und Leonie Maier als rechtem Wingback, Melanie Behringer und Melanie Leupolz auf der Doppelsechs, wobei Leupolz wie gewohnt die offensivere Achterrolle übernahm. Im Doppelsturm rochierten Vivianne Miedema und Lisa Evans. Sara Däbritz spielte als Zehn hinter den Spitzen, pendelte aber auch häufig raus auf die Flügel und stieß in die erste Linie vor.

Gästetrainer Markus Högner schickte sein Team im 4-2-3-1 aufs Feld, wobei sich aus dieser Grundformation immer wieder interessante Variationen ergaben.

FC Bayern München Frauen - SGS Essen, GrundformationenFC Bayern München Frauen – SGS Essen, Grundformationen

Irini Ioannidou, Vanessa Martini, Nina Brüggemann und Jacqueline Klasen bildeten die Viererkette in der Abwehr, Jana Feldkamp und Sara Doorsoun spielten auf der Doppelsechs im defensiven, Linda Dallmann, Charline Hartmann und Kozue Andō im offensiven Mittelfeld und Lea Schüller agierte in der Sturmspitze. Die Japanerin Andō, die 2011 in Deutschland Weltmeisterin und letztes Jahr mit Frankfurt Champions-League-Siegerin geworden war, hatte das Essener Team erst im Oktober verstärkt. Bei der WM in Kanada brach sie sich gleich im ersten Gruppenspiel gegen die Schweiz das Fußgelenk und hatte die Verletzung anschließend in Japan auskuriert.

Essen spielte von Beginn an couragiert, kompakt, entschlossen in den Zweikämpfen, extrem laufbereit und mit Mut, auch nach vorne das ein oder andere zu versuchen. Warum auch nicht, schließlich hatten Schüller bereits drei und Hartmann schon sechs Tore zu verzeichnen, womit Hartmann die Torschützenliste der Bundesliga anführt. Bayern fand nur schwer ins Spiel, wenngleich man sich gleich mit einigen Standards in der gegnerischen Hälfte festsetzen konnte. Ein rechter Spielfluss wollte bei diesem Gegner und auf diesem arg in Mitleidenschaft gezogenen Rasen jedoch nicht aufkommen. Dennoch war das Team von Tom Wörle feldüberlegen. Zunächst scheiterte Caro Abbé noch knapp daran, eine Ecke per Fuß über die Linie zu drücken, wenig später gelang ihr dies dann per Kopf. Eine wichtige frühe Führung, die dafür sorgte, dass sich Essen nicht allein aufs Verteidigen verlegen konnte.

Bayern gelang es allerdings nicht, nachzulegen. Einen Fernschuss Behringers brachte Lisa Weiß im Nachfassen unter Kontrolle und Gina Lewandowskis Versuch aus der Distanz landete am Querbalken. Insgesamt stimmte das Feintuning nicht bei den Bayern. Viele Pässe gingen verloren oder kamen zu spät, so dass erfolgversprechende Situationen im Abseits endeten. Zahlreiche Spielunterbrechungen nahmen das Tempo aus der hart geführten Partie, so dass Essen immer wieder verschnaufen und sich sortieren konnte. Das beste Mittel der Münchnerinnen neben Standards waren Diagonalpässe auf die Flügel — meist den linken, mit denen die kompakten Linien Essens zerschnitten werden konnten. Eine wirklich gelungene Kombination wurde durch Leupolz initiiert, die im Mittelfeld ihren Körper zwischen Gegnerin und Ball bringen und den Ball so gewinnen konnte, zielstrebig diagonal halbrechts auf Däbritz rausgab, die auf der Linie raus auf Evans verlängerte. Daraus resultierte ein Einwurf samt geblocktem Torabschluss von Däbritz. Ballgewinne wie dieser belegen, dass Leupolz durchaus die notwendige Zweikampfstärke für die Sechs mitbringt, auch wenn viele sie aufgrund ihrer Kreativität gerne offensiver auf der Zehn sehen. Perfekte Acht also.

Auch die Gäste hatten offensiv einiges anzubieten, so dass Zinsberger gleich auf Temperatur kam. Ein brenzliges Laufduell gegen Linda Dallmann entschied die Österreicherin für sich. Als Hartmann im Laufduell gegen Holstad in den Strafraum zog, schmiss sie sich in den Ball, einen brandgefährlichen Freistoß klärte sie an die Latte. Bei einem Freistoß von Essen hatte Lewandowski Dallmann aus den Augen verloren, die quer durch den Münchner Strafraum flankte, aber mit großem Glück für die Bayern keine Abnehmerin fand. Dass Essen auch auf engem Raum kombinieren kann, zeigte sich, als Hartmann frontal auf die Abwehr zulief, von Schüller zentral überlaufen wurde und ihr den Ball perfekt in den Lauf durchsteckte. Doch Holstad hatte aufgepasst und klärte die Situation.

Zur Halbzeit führte München knapp und das verdient — aber nicht souverän. Die 1:0-Führung war kein Puffer, auf dem man sich würde ausruhen können.

Essen startet gut in Halbzeit 2, dezimiert sich dann jedoch selbst

Das spürte auch Essen, brachte sofort viel Druck aus der Kabine auf den Platz und konnte nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff ausgleichen. Brüggemann brachte den Ball nach kurzer Ecke in unübersichtlicher Situation im Strafraum über die Linie. Bayern wirkte nun angestachelt, wacher als zuvor und war nicht gewillt, sich hier im heimischen Stadion die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Miedema hatte einige gute Szenen im Strafraum, wo sie zum Beispiel Lewandowski bediente, die aber schlecht zum Ball stand. Däbritz schloss von der Strafraumkante ab, konnte Weiß aber nicht überwinden und Miedema verpasste den erneuten Führungstreffer nur denkbar knapp, als sie einen Freistoß Behringers satt aber eben am Tor vorbeischoss.

Anschließend wechselte Högner Andō aus. Für sie kam Janina Meißner. Doch die entscheidendere Personalie brockte Charline Hartmann ihrer Mannschaft mit einem Foul an Leupolz ein, für das sie mit Gelbrot vom Platz gestellt wurde. Fortan musste Essen über eine halbe Stunde lang in Unterzahl spielen, was den Bayern natürlich entgegenkam. Nicht nur waren sie in Überzahl, sondern zudem defensiv weniger gebunden, da sich der brandgefährliche Unruheherd im Angriff der Gäste selbst gelöscht hatte. Meißner übernahm nun die spielmachende Rolle hinter Schüller. Defensiv formierte sich Essen nun meist im 4-1-4/4-1-3-1.

Direkt nach dem Abschied von Hartmann wurde Behringer gefoult und lag im Sechzehner. Auf Strafstoß zu entscheiden war der Schiedsrichterin in dieser Phase wohl zu viel des Schlechten für Essen und verlegte den Ursprung des Fouls außerhalb des Strafraums. Den Direktversuch von Däbritz konnte Weiß entschärfen. Hatten die Gäste vor dem Platzverweis noch auf Sieg gespielt, kämpften sie nun für den einen Punkt und warfen alles in die Waagschale, um Bayern vom Tor abzuhalten. Essen bolzte die Bälle lang und hoch hinten raus. Bayern drängte auf das Tor und gab somit ebenfalls viel Ballkontrolle auf. Ergebnis waren viele hohe, unkontrollierte Bälle und kaum noch Kombinationen. Ein Kampfspiel, nichts für Ästheten. Leupolz schloss aus dem Rückraum ab, die neu reingekommende Rolser machte Alarm, Leupolz rutschte hauchdünn am Führungstreffer vorbei. Wörle brachte mit Boquete noch mehr Offensivkreativität ins Spiel, Däbritz zog mit Ball am Fuß in den Strafraum und schloss ab. Geblockt. Es sah so aus, als würden ähnlich wie gegen Twente alle wütenden Angriffe im Sande verlaufen, als Essen in den Schlussminuten bereits mit den üblichen Wechselspielchen die Zeit von der Uhr nahm. Doch dann war sie da: die eine Szene, in der Däbritz mit freiem Weg zum Tor im linken Halbraum an den Ball kommt, diagonal in den Strafraum zieht und alles richtig macht. Nicht schaut, nicht versucht, umständlich die Mitspielerin einzusetzen, sondern einfach Maß nimmt und denn Ball in die Maschen drischt. Siegtreffer. Drei Punkte. Das Glück erzwungen. Geiler Scheiß.

3 Dinge, die auffielen

1. Essen ganz stark

Niemand dürfte sich wundern, wenn ein Veterinär auf den Röntgenbildern von Essen ein Dutzend Pferdelungen erkennen würde. Auch in Unterzahl brachten es die Essenerinnen immer wieder fertig, Überzahlen um die Münchner Ballführende zu schaffen, doppelten und trippelten, was das Zeug hielt und waren einfach ständig an ihren Gegenleuten dran. Coach Högner scheint den Mädels das perfekte Rüstzeug aus Fitness und automatisierten Abläufen an die Hand gegeben zu haben, um die Linien kompakt zu halten, mit gutem Timing zu verschieben und die Gegenspielerinnen routiniert zu übergeben, ohne dass Bayern die typischen Schnittstellenpässe durch die Formation jagen konnte. Allein über die Außen gelang dies, nicht aber durch die Zentrale.

Zudem rochierten die Gäste und halfen einander aus, wenn es die Situation erforderte. So spielte beispielsweise Andō zeitweise als linke Verteidigerin und wurde sofort offensiv durch Klasen vertreten. Hartmann und Schüller tauschten auf der vertikalen Schiene immer wieder die Plätze, aber auch Andō und Hartmann pendelten zwischen hängender Spitze und rechtem Flügel und forderten der Bayerndefensive so einiges an Konzentration ab. Aus der 4-2-3-1-Grundformation bildete Essen situativ immer wieder Staffelungen eines 4-3-3, bei dem Feldkamp zur alleinigen Sechs wurde und mit der neu entstehenden Doppelacht aus Doorsoun und Hartmann ein passstarkes Dreieck im Mittelfeld formte. Offensiv blieben häufig auch nur drei der vier Verteidigerinnen in letzter Linie hinten, um im Mittelfeld nicht in Unterzahl zu geraten. Allein wie häufig Hartmann hier zu nennen war, zeigt, was für ein riesiger Verlust der Platzverweis für das Gästeteam darstellte.

2. Gute Defensive

Auf die körperlich harte Spielweise Essens waren die Bayern nicht nur vorbereitet, sondern hielten entsprechend dagegen. Nicht nur Holstad und Schnaderbeck führten die Defensivzweikämpfe aufmerksam und souverän, auch die kleinen flinken Offensivkräfte Däbritz und Evans legten eine derartige Körperspannung an den Tag, dass man befürchten musste, Arturo Vidal hätte sie vorher persönlich in Stierblut getränkt. Zinsberger, die ein gutes Spiel machte und den ein oder anderen Wackler sicher mit mehr Spielpraxis ausgetrieben bekäme, schmiss sich sowieso mit allem dazwischen, was sie hat. Und wenn Essen so nicht auszuschalten war, dann kam eben Miedema zurück ins defensive Mittelfeld, um sich Charline Hartmann persönlich zu widmen. Bei Standards sicherte häufig nur Evans vor Schnaderbeck nach hinten ab, damit Bayern alles an Körpergröße mit in den Strafraum schieben konnte statt sich durch die vielen Beine kombinieren zu müssen. Evans stellt auch wegen ihrer Geschwindigkeit eine gute Absicherung gegen Konter dar.

3. Sara Däbritz — Spielerin des Spiels

Dass diejenige Spielerin, der es in der spannenden Schlussphase eines engen Spiels gelingt, den Siegtreffer zu erzielen, besonders im Fokus steht, ist klar. Häufig geht dann etwas unter, dass Führungsspielerinnen wie Behringer, Leupolz und Lewandowski seit Wochen Überragendes leisten, weil sie es in einer Konstanz tun, die zur Selbstverständlichkeit wird. Doch auch ohne die glückliche Fügung zum Lucky Punch stand bereits vor dem Treffer fest: Sara Däbritz war die beste Spielerin auf dem Platz. Nach einem super Einstieg mit zwei Toren gegen Potsdam und einem Treffer gegen Köln folgten zunächst viele unauffällige Spiele vom Freiburger Neuzugang. In eine bestehende gute Offensive fügte sie sich gut ein, ohne abzufallen, ragte aber auch nicht entscheidend heraus. Eigentlich schon mehr als man von einer jungen Neuverpflichtung erwarten kann, die zum Deutschen Meister wechselt. Das kampfbetonte Spiel gegen Essen wäre die „ideale“ Voraussetzung gewesen, um in einem Kollektiv unterzugehen, dass darin gehindert wird, sein klares Ballbesitz- und Kombinationsspiel durchzubringen.

Doch welche Fähigkeiten in ihr stecken, durfte man nicht zuletzt bei der WM in Kanada beobachten: ballsicher, smart, schnell, kreativ. Gerade an diesem Tag, wo Essen alles dafür tat, dem Bayernspiel einen Stock in die Speichen zu stecken, brachte Däbritz ihre ganze individuelle Klasse für ihre Mannschaft ein. Immer wieder konnte sie im Dribbling gegen eine, zwei, manchmal auch drei Gegnerinnen zur Grundlinie durchbrechen oder in den Strafraum eindringen und ihre Kolleginnen in Szene setzen. Kurz vor dem Halbzeitpfiff war sie gegen drei Abwehrspielerinnen an der linken Strafraumbegrenzung anspielbereit, drehte sich mit Ball zum Tor und konnte nur per Foul gestoppt werden. Wenige Zentimeter weiter hätte es statt Freistoß auch Elfmeter für Bayern heißen können. Däbritz schaffte es ein ums andere Mal, entweder mit Tempo plus Ballsicherheit oder mit perfekt getimten Körpertäuschungen Raum für sich in den wirklich gefährlichen Zonen zu schaffen. Immer wieder lockte sie die Viererkette in die falsche Richtung und stand plötzlich allein mit Ball an der Grundlinie. Den Kopf hatte sie immer oben und entschied sich auch in der hektischen Schlussphase für den klugen Pass statt für den blockbaren Schuss. Als sie nach Maiers Auswechslung, die rechts durch Lewandowski ersetzt wurde, als linker Wingback fungierte, steuerte sie nicht nur einige Angriffe über die linke Flanke bei — wie den zum Siegtor — sondern unterstützte Behringer auch in der Defensivarbeit und eroberte wichtige Bälle. Eine ganz starke Leistung, die mit dem 2:1 auch in der Spielstatistik entsprechend gewürdigt wird.

Schon am Mittwoch steht das nächste Spiel auf dem Plan. Ein Auswärtspokalfight gegen Bremen.

FC Bayern München Frauen – SGS Essen
FC Bayern Zinsberger – Schnaderbeck, Holstad, Abbé – Lewandowski, Behringer, Leupolz, Maier (78. Boquete) – Däbritz – Miedema, Evans (68. Rolser, 90. Bürki)
Bank Weber, Beckmann, Wenninger, Mewis
SGS Essen Weiß – Ioannidou, Martini, Brüggemann, Klasen – Feldkamp (68. Ostermeier), Doorsoun – Dallmann, Hartmann, Andō (55. Meißner) – Schüller (86. Freutel)
Bank Pauels, Gier, Nesse, Gidion
Tore 1:0 Abbé (5.), 1:1 Brüggemann (48.), 2:1 Däbritz (88.)
Karten Gelb: – / Feldkamp (65.), Martini (82.), Ostermeier (90.); Gelbrot: – / Hartmann (57.)
Schiedsrichterin Riem Hussein (Bad Harzburg), Svenja Pleuß (Schwarme), Irina Stremel (Barnten)
Zuschauer 2.825