Die Super League – Ein prologischer Epilog

Alexander Trenner 21.04.2021

Aber dann kam der letzte Sonntag. Dann kam die Super League. Schlagartig interessierte sich kein Mensch mehr für die Champions League. Schlagartig war Andrea Agnelli nicht mehr derjenige, der gerade noch als Chairman der ECA der wohl aktivste Betreiber einer neuen Vision der Champions League war, sondern derjenige, der erst am Telefon gegenüber UEFA-Chef Alexander Ceferin die Existenz einer geplanten Super League abstritt, um dann wenige Stunden später von seinem Posten als ECA-Vorsitzender zurückzutreten und sich mit seinem Club Juventus als einer der Vorkämpfer der neuen Super League zu entpuppen.

Nur, ebenso schlagartig wie die Super League kam, scheint sie jetzt schon wieder Geschichte zu sein. Alle sechs Gründungsmitglieder aus der Premier League haben ihre Teilnahme inzwischen zurückgezogen und die Idee rückblickend als Fehler bezeichnet. Die drei spanischen Gründungsmitglieder sind gerade dabei, es ihnen gleichzutun. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die drei italienischen Repräsentanten zurückziehen werden. Der Tsunami der Kritik war zu gewaltig, zu einhellig, er kam zu schnell. Zwischen Sonntag und heute hat es keiner, so scheint es, der auch nur halbwegs in der Lage ist, einen Fußball von einem Basketball zu unterscheiden, verpasst, die Super League in so deutlichen Worten wie möglich zu verdammen. Die FIFA, die UEFA, die Nationalverbände, die Ligen, ja sogar Boris Johnson und Emmanuel Macron ließen kein gutes Haar an der Idee. Andrea Agnelli steht da wie Il Capitano aus der Commedia dell’arte. Gierig, überheblich, vermessen, und letztendlich als Verlierer mit leeren Händen. 

Aber die Super League ist real. Diese Version mag gescheitert sein, aber die nächste kommt bestimmt. Ein Gespenst geht um in Europa, dessen Zeit nur noch nicht gekommen zu sein scheint. Die Idee lebt weiter, sie ist dem modernen Fußball ebenso inhärent wie in ihm zwangsläufig. Dementsprechend kann jeder Epilog auf die Super League immer nur ein Vorgriff auf ihre Wiedergeburt sein. Clubs aller Länder, vereinigt euch. Aufgrund des Zyklus der ewigen Wiederkehr lohnt das Thema eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Wesenskern der Super League und dem modernen Fußball an sich: Strebt der Fußball durch seine Ökonomisierung und die Formen, die sie treibt, unweigerlich auf seinen Untergang zu?

Die Super League: Friend or foe?

Ja, die Super League dürfte die nächste Stufe auf der nach oben offenen Skala der Kommerzialisierung des modernen Profifußballs darstellen. Was im Grunde immer noch nur 90 Minuten Fußball sind, wird durch die Super League bei noch mehr zahlenden Kunden an den Mann gebracht, verkauft noch mehr Werbung und setzt noch mehr Merchandise ab. Die Kritik, die bereits an den neuerlichen Reformen der Champions League geäußert wurde (wir erinnern uns), betrifft die Super League gleich doppelt: Sargnagel des Fußballs, wie wir ihn kennen? Check. Abgesang auf Integrität eines fairen Wettbewerbs? Check. Ruchlose, von Gier getriebene Selbstsucht einiger großer Vereine, die sich nicht die Bohne für das Wohl der anderen interessieren? Check. Fortschreitende Zementierung des Machtgefälles zwischen den großen und den kleinen Vereinen? Check. Und natürlich, nicht zu vergessen, der Ausverkauf des Sports an den Götzen des großen Geldes. Check und Doppelcheck.

Aber mir fällt es schwer, in diesen allgemeinen Abgesang und die Parole vom Verrat an allem, was den Fußball ausmacht, einzustimmen. Der moderne Profifußball war noch nie ein nur sportlicher, sondern immer auch ein ökonomischer Wettbewerb. In Deutschland hat er spätestens mit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 seine Ursprünge als Teilzeitsport, der von besseren Amateuren betrieben wurde, hinter sich gelassen. Beginnend mit diesen Anfängen hat die ökonomische Dimension des Fußballs in den letzten Jahrzehnten immer weiter an Bedeutung gewonnen. Im Fußball ist immer mehr Geld angekommen, die Clubs sind zunehmend zu veritablen, mittelständischen Unternehmen geworden, die Spieler zu hochbezahlten Spezialisten ihres Fachs. Begleitet wurde dies von einem gewaltigen Schub an Professionalisierung, der den gesamten Profifußball ergriffen hat.

In allen Bereichen, angefangen bei der Qualität des Stadionerlebnisses über die Atmosphäre in den Stadien, die Qualität der medialen Aufbereitung des Sports in allen Phasen einer Spielwoche, die Qualität der technischen und medizinischen Ausstattung der Vereine, die Qualität der wissenschaftlichen Durchdringung des Fußballs, bis hin natürlich zur Qualität des Geschehens auf dem Platz an sich, hat der Profifußball in den letzten Jahrzehnten gewaltige Schritte nach vorne gemacht. Von dieser Professionalisierung hat der Fußball zweifelsohne enorm profitiert, sowohl der Sport an sich als auch die Bedingungen, unter denen er stattfindet.

Die Professionalisierung des Fußballs…

Guckt man nur auf die Aktivität ‚Fußball‘, ist bereits im Vergleich zur Zeit um die Jahrtausendwende der Fortschritt unübersehbar. Taktisch, technisch und athletisch liegen Welten zwischen damals und heute. Die Spieler sind hochgezüchtete Maschinen, die auf Basis ausgefeilten Trainings, perfekter Ernährung, bester medizinischer Versorgung, fachmännischer psychologischer Begleitung und ausreichend Regeneration in jedem Spiel spektakuläre körperliche und technische Höchstleistungen erbringen. Je weiter man zurückgeht, desto eklatanter wird die Diskrepanz zwischen damals und heute. Wer kann sich heutzutage noch ernsthaft den Fußball der 80er Jahre zurückwünschen? Einen über weite Strecken langweiligen Standfußball ohne jegliche Intensität, dargeboten auf dem taktischen Niveau einer heutigen C-Jugend? Diejenigen von uns, die alt genug sind, erinnern sich vielleicht an die Erfolge und die tollen Europapokalabende aus jener Zeit, die sie mit ihren Freunden ekstatisch gefeiert haben, aber wollen wir den Fußball von damals wirklich zurück? Nein, das Spiel ist seither um Welten aufregender geworden, spannender und intensiver.

Die Professionalisierung des Fußballs schlägt sich auch in den Zuschauerzahlen nieder. Noch nie war der Zuschauerzuspruch so groß wie heute (Pandemien außen vor gelassen), noch nie waren so viele Menschen auf der ganzen Welt bereit, nicht unerhebliche Beträge für den Besuch im Stadion oder die Übertragung der Spiele ihres Lieblingsvereins zu zahlen. Wer kann sich heute noch ernsthaft in die zugigen, unüberdachten und oft bestenfalls zu einem Drittel besetzten Stadien der 80er Jahre zurücksehnen, um sich begleitet von vielleicht ein paar rassistischen Gesängen aus der Kurve über die Tartanbahn hinweg in weiter Ferne ein Spiel anzugucken? Wer sehnt sich nach den Zeiten zurück, in denen sich die mediale Berichterstattung über den Fußball auf ein paar kurze Zusammenfassungen in der abendlichen Sportschau und einen Spielbericht im Kicker beschränkte? Den Zeiten eines körnigen, flimmernden Bildes aus einer Kameraperspektive und eines Ernst Huberty? Die Zeiten, in denen Fußball nur ein Spiel und nicht ein so schier unerschöpflicher Quell immer neuer Geschichten war wie heute, Geschichten, über die wir uns auch hier im Forum stets ganz trefflich und mit viel Hingabe streiten?

…ist ein Ergebnis seiner Ökonomisierung

All diese Fortschritte des Sports, seine Professionalisierung, seine gesteigerte Attraktivität, seine Perfektion in der Ausführung und Darstellung sind ganz wesentlich ein Ergebnis seines ökonomischen Wachstums. Ohne die enormen Summen Geld, die in den letzten Jahrzehnten in den Profifußball geflossen sind, wären all diese Fortschritte auf allen Ebenen niemals möglich gewesen. Die Super League als Konzept stellt dabei nur die nächste Stufe dieser Entwicklung dar. Der Treiber dessen, was das Niveau des Sports in seine heutigen Höhen gehoben hat – das Geld – wird durch die Super League nur in noch größerem Maße zur Verfügung gestellt. Warum sollte die Qualität der Spiele zukünftig darunter leiden, wovon sie bisher stets profitiert hat? Warum sollte der Fußball schlechter werden, wenn er bisher mit mehr Geld immer nur besser geworden ist? Warum sollte die jährliche Wiederkehr der Begegnung Real Madrid gegen den FC Bayern dieses Spiel plötzlich langweiliger machen? Sind die Derbys in der Bundesliga auch langweilig, nur weil sie jedes Jahr stattfinden, und das sogar zweimal? Warum bedeutet die Super League plötzlich den Ausverkauf des Fußballs? Hätte dieser Ausverkauf nach derselben Logik nicht auch schon im Jahr 2000 mit der Gründung der DFL oder in den 70er Jahren mit dem Abschluss des ersten Trikotsponsoring-Vertrags in der Bundesliga stattfinden müssen? Hätte der Ausverkauf nicht auch schon mit der Erfindung von ‚ran‘ und dem Einstieg des Pay-TVs stattfinden müssen? Wo ist der qualitative Unterschied von heute zu damals?

Der moderne Profifußball ist ein Unterhaltungsprodukt. Nur durch eine Laune der Geschichte laden wir ihn mit ideellen Werten und emotionalen Sehnsüchten auf, die wir etwa in einer TV-Serie nicht suchen oder vermissen würden. In keinem anderen darstellerischen Bereich, sei es die Oper, das Ballett, der Film oder das Theater, ist jemals die Klage erhoben worden, dass die Qualität des Produkts unter einem Mehr an verfügbarem Geld oder unter zunehmender Professionalisierung leiden würde. Auch bei anderen Sportarten nicht. Beim Fußball schon. Dabei hat der Profifußball als Unterhaltungsprodukt und als sportliche Aktivität bisher von jeder weiteren Stufe seiner Professionalisierung immer profitiert. Der Sport ist besser geworden, die Spannung höher, die Unterhaltung hochwertiger.

Nein, die Super League, sobald sie kommt, hat die Chance, diese Entwicklung auf die nächste Stufe zu heben. Sie ist nicht weniger als deren logische Fortschreibung. Je nach dem Grad der Radikalität der Pläne wird sie sich wieder massiver Kritik ausgesetzt sehen. Jedoch vermute ich, dass sie von Menschen auf der ganzen Welt begierig aufgesogen werden wird wie ein Tropfen Regen von einem von Dürre ausgezehrten Boden. Die Leute werden in Scharen einschalten, um sich Barca gegen ManUnited, die Bayern gegen PSG oder ManCity gegen Real anzugucken. Wird die Super League geschickt gemacht, müssten die teilnehmenden Vereine nicht einmal aus ihren nationalen Ligen aussteigen. Das Konzept eröffnet auch neue Spielräume für eine weltweite Expansion. Ähnlich wie in der Formel 1 können Spiele in verschiedenen Weltregionen ausgetragen werden oder mittelfristig bei entsprechender sportlicher Stärke neue Clubs aus neuen Erdteilen dazustoßen. Eine Super League ist nicht notwendigerweise auf Europa beschränkt. 

Was immer auch in diese Richtung passieren mag, die Brands der Super-League-Teilnehmer dürften absehbar noch größer werden, die Stakes noch höher, das Involvement der Fans noch stärker. Davon profitieren dürfte die Qualität des Fußballs. Noch besser dürfte die Ausbildung werden, noch wissenschaftlicher der Sport, noch mehr der größten Stars werden sich gleichzeitig auf den Plätzen tummeln und sich nach dramatischem Showdown die Fußballkrone der Welt aufsetzen. Das Geschehen auf dem Platz dürfte uns noch mehr als heute mit aufgerissenen Augen die schier unglaubliche Qualität des Dargebotenen bewundern lassen. Beste Mailänder Scala mit höchsten Produktionswerten statt prä-elisabethanischem Laientheater. Ernsthafte Sorgen machen müssen sich sicherlich die europäischen Vereinswettbewerbe der UEFA, zuvorderst die Champions League, die sich mit der als zweite Garde wahrgenommenen Reihe der europäischen Superclubs begnügen müsste. Wenn die Super League irgendwann Wirklichkeit wird, dürfte es auf ein Duell zwischen beiden Wettbewerben hinauslaufen, aus dem nur einer als Sieger hervorgehen kann.

Und der FC Bayern?

Der FC Bayern hat sich diesmal rückblickend gesehen sehr geschickt und glücklich zurückgehalten. Als das Schiff schon im Sinken begriffen war, nutzte Karl-Heinz Rummenigge den Moment, sich deutlich und unmissverständlich von der Super League abzugrenzen und sich fest der Champions League zu verschreiben. Ob diese Art Zurückhaltung allerdings zukünftig ebenso geschickt sein wird, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube nicht, dass es sich ein Verein mit dem Anspruch des FC Bayern, der seinen Platz immer unter den ersten der Welt verortet hat, leisten kann, an der nächsten Iteration der Super League des Zuschnitts, wie wir ihn gerade vor Augen geführt bekommen haben, nicht teilzunehmen. Wenn irgendwann die nächste Räuberbande um Florentino Pérez, Josep Bartomeu und Andrea Agnelli mit den nächsten 15 oder 20 Clubs auf den Plan tritt und den Teilnehmern Hunderte von Millionen Euro pro Jahr an garantierten Einnahmen verspricht, dann wird auch der FC Bayern nicht abseits stehen können. Die Super League ist oft wie an Belsatzars Hofe mit Feuerhand an die weiße Wand geschrieben worden. Wenn es das nächste Mal ernst wird – und es wird ein nächstes Mal geben – wird es interessant zu sehen sein, ob die Bayern es sich leisten können oder wollen, sich dem Sog der Super League zu entziehen und vielleicht für lange Zeit sportlich und ökonomisch unwiderruflich ins zweite Glied Europas und der Welt zu zurückzutreten.