Carlo Ancelotti: Das erwartet den FC Bayern

Justin Trenner 29.05.2016

Sein Nachfolger steht mit Carlo Ancelotti bereits fest. In einem Portrait wollen wir den Italiener vorstellen, seine Vergangenheit aufarbeiten und ein bisschen in die Zukunft blicken.

Ancelotti ist ein sehr gelassener Mensch. Emotionale Ausbrüche sind eher nicht zu erwarten. Er gilt als nüchtern und pragmatisch. Während Guardiola besonders im Umgang mit den Medien des Öfteren nicht den richtigen Ton traf, oder beleidigt wirkte, gab es solche Momente beim baldigen Bayern-Trainer fast nie. Er ist ein Medien-Profi. „Carletto“, wie er auch genannt wird, ist niemand der die große Bühne benötigt oder sich in den Vordergrund stellt. Viele seiner heutigen Eigenschaften sind auch auf seine eigene Spielerkarriere zurückzuführen.

Der Stratege des AC Mailand

Ancelotti spielte in einer Mannschaft, die bis heute als eine der erfolgreichsten und besten der gesamten Historie gilt. Die Rede ist vom AC Mailand um 1990 herum, der als letzter Verein den damaligen Europapokal der Landesmeister verteidigen konnte. Sowohl 1989 als auch 1990 ging dieser Pokal an die Mailänder, die von Arrigo Sacchi trainiert wurden. Carlo Ancelotti bekleidete dabei eine sehr strategische Position auf der Sechs. Schaut man sich die damalige Mannschaft heute an, so fallen einem sehr viele Parallelen zu den Teams auf, die der Italiener später trainiert hat. Obwohl er mit Größen wie Gullit, van Basten, Maldini, oder Rijkaard zusammenspielte, ging Ancelotti keinesfalls unter. Er war sogar ein sehr wichtiger Bestandteil.

Ancelotti war eine perfekte Ergänzung zu seinem Sechser-Pendant Rijkaard. In einem flachen 4-4-2 waren sie die Verbindung zwischen Offensive und Defensive. Während Rijkaard eine Art Abräumer war, dem aber die technischen Fähigkeiten keinesfalls fehlten, war Ancelotti der Stratege im System von Arrigo Sacchi. Der Italiener war meist recht tief positioniert, verteilte die Bälle und machte auch unter Druck sowie in engen Räumen einen sehr guten Eindruck. Auch im Offensiv-Spiel war er aber immer wieder beteiligt. Ancelottis damaliger Trainer war einer der bedeutendsten Figuren in der taktischen Entwicklung des Fußballs. Sacchi steht bis heute wie kein Zweiter für die „Raumverknappung“. Durch das ständige, kompakte Verschieben wurden Fehler des Gegners erzwungen, indem man den Ballnahen Raum eng machte. Vorher war es eher üblich, dass man sich am Gegenspieler orientierte. Für Sacchi hingegen war die Kompaktheit wichtig und so orientierte sich seine Mannschaft am Ball. Durch diesen taktischen Vorsprung wurden er und sein Team nicht nur Vorbild für den Fußball im Allgemeinen, sondern auch eines der erfolgreichsten Teams aller Zeiten. Ancelotti selbst nahm aus dieser Zeit sehr viel mit.

Der Raketenstart und die Ära beim AC Mailand

Ancelottis erste Trainer-Station war bei der italienischen Nationalmannschaft. Dort arbeitete er zwischen 1992 und 1995 als Co-Trainer unter der Regie seines ehemaligen Trainers Arrigio Sacchi. Bei der Weltmeisterschaft 1994 erreichten sie zusammen das Finale, unterlagen dort aber im Elfmeterschießen den Brasilianern. Den ersten Vertrag als Cheftrainer unterzeichnete „Carletto“ 1995 bei der AC Reggiana in der Serie B. Diese führte er bereits in der ersten Saison in die Serie A, wechselte anschließend aber zum AC Parma. Auch dort war er sofort erfolgreich und erreichte 1996/97 überraschend die Vize-Meisterschaft. Weniger erfolgreich war seine Zeit bei Juventus Turin, wo er im Februar 1999 den Job von Marcello Lippi übernahm. Er konnte zwar den UEFA Intertoto Cup (UI-Cup) gewinnen, wurde aber zwei Mal nur Vizemeister mit den Turinern. Als er in der Saison 2000/01 bereits in der Gruppenphase der Königsklasse an Hamburg, Panathinaikos und La Coruña scheiterte, wurde er wiederum durch seinen Vorgänger Marcello Lippi ersetzt.

Es sollte jedoch die bisher größte und erfolgreichste Zeit von Carlo Ancelotti folgen. Am 7. November 2001 ersetzte er Fatih Terim beim AC Mailand als Chefcoach und prägte fortan eine Ära. In seiner Zeit bei Milan erreichte er drei Mal das Champions-League-Finale. Der Italiener war nie dafür bekannt an seinen Stationen grundlegendes zu verändern. Er vertraute so auch bei Milan größtenteils der Mannschaft die er bekam. In den Transferphasen im Sommer wurden wenn überhaupt nur einzelne Positionen sukzessive verstärkt. Gute Beispiele sind Kaká, Ronaldo und Cafu. Am Anfang lief es jedoch nicht optimal für Ancelotti. Er übernahm die Grundformation der damaligen Milan-Elf und ließ so in einem engen 4-4-2 mit Raute spielen. Pirlo positionierte sich zu dieser Zeit noch auf der Zehn hinter zwei Sturmspitzen. Den Dortmundern dürfte dabei das Duell am 4. April 2002 noch im Gedächtnis geblieben sein. Der BVB schlug Ancelottis Milan damals mit 4-0 im Heimspiel. Es war der negative Höhepunkt einer eher durchschnittlichen Saison. Längere Ballbesitzphasen und Passstafetten gab es nicht, denn meist wurde das Mittelfeld durch lange Bälle überbrückt. In der Liga stand nach der ersten Saison nur ein vierter Platz.

„Carletto“ musste in der Saison 2002/03 etwas ändern um seinen Job behalten zu können. Mit dem Wechsel von Clarence Seedorf kam ein Spieler, der dem Team mehr Offensiv-Drang geben konnte. Er besetzte die Position im halblinken Raum neben Andrea Pirlo, den Ancelotti als Strategen weiter nach hinten zog. Diese Umstellungen auf den einzelnen Positionen und die damit verbundene offensivere Spielweise sorgten für viel bessere Lösungen im Mittelfeld sowie längere Ballzirkulationen. Die Mailänder waren dadurch nicht mehr so abhängig von ihrer individuellen Klasse und erlangten eine größere Mittelfeldkontrolle. Trotz des offensiven Stils wurde die Defensive aber nicht vernachlässigt. In der Liga reichte es zwar nur zu Platz 3, aber man gewann sowohl die Champions League als auch die italienische Coppa. Im Halbfinale der Königsklasse schlug man Inter Mailand, um später im Finale Juventus Turin nach Elfmeterschießen zu besiegen. Es war ein sehr ausgeglichenes Finale, in dem Ancelotti seine Raute auflöste und in einem flachen 4-4-2 mit Pirlo und Gattuso auf der Doppelsechs agierte. Es war kein wirklich schönes Endspiel, aber ein sehr umkämpftes mit glücklichem Ende für den AC Mailand. Ancelotti ist eine von mittlerweile sechs Personen, die die Champions League als Spieler und Trainer gewinnen konnten. Die anderen sind Miguel Munoz, Giovani Trapattoni, Johan Cruyff, Frank Rijkaard und Pep Guardiola.

Im Jahr 2003/04 schloss sich Kaká dem Champions-League-Sieger an. Der junge Brasilianer sollte hinter Rui Costa zu einem Stammspieler reifen. Das funktionierte schneller als erwartet und so schaffte Kaká beim AC Mailand seinen großen Durchbruch. Ancelotti und sein Team gewannen in dieser Saison den europäischen Supercup und erstmals den Scudetto, also die italienische Meisterschaft. Taktisch entwickelte sich wenig bis gar nichts in dieser Zeit, aber es gab auch keinen Grund dazu. Ancelottis System funktionierte und die Mannschaft hatte Erfolg. Bereits damals zeichnete sich ab, dass der Italiener keine größeren taktischen Anpassungen während einer Saison vornehmen würde. Er war stets darauf bedacht die individuelle Klasse seiner Spieler so zusammenzufügen, dass eine erfolgreiche Mannschaft auf dem Rasen steht. Der sehr kompakte, aber durchaus offensiv ausgerichtete AC Mailand veränderte sich so in der Ära Ancelotti selten und wenn, nur wenig. Pirlo und Kaká spielten im Zentrum immer die größte Rolle. Nachdem zunächst Rui Costa für Pirlo auf der Zehn agierte, war es dann Kaká der dort viele erfolgreiche Jahre prägte. Inzaghi, Gattuso und Maldini waren weitere Größen im System. Die Flexibilität durch die vielen verschiedenen Spielertypen im Mittelfeld entschied einige Spiele zugunsten Ancelottis.

Ancelotti und Kaká prägten gemeinsam erfolgreiche Zeiten beim AC Mailand(Foto: Paco Serinelli / AFP / Getty Images)
Ancelotti und Kaká prägten gemeinsam erfolgreiche Zeiten beim AC Mailand
(Foto: Paco Serinelli / AFP / Getty Images)

Der damalige Milan-Trainer war auch Teil des wohl spektakulärsten Champions-League-Finals der Historie. 2005 standen sich in Istanbul Liverpool und der AC Mailand gegenüber. Die erste Halbzeit der Italiener zählt zum Besten, was es in der Dekade zwischen 2000 und 2010 zu sehen gab. Liverpool war komplett überfordert mit dieser Mannschaft. Dadurch, dass man sowohl auf der Sechs als auch auf der Zehn zwei Spieler hatte, die ein Spiel kontrollieren und auch gestalten können, waren die Engländer in einem Zwiespalt. Entweder nahm man Kaká aus dem Spiel oder Pirlo. Beides ging durch diese spezielle Konstellation und die individuelle Klasse der beiden Akteure nur selten. Wurde Pirlo attackiert, hatte man in den Halbräumen Spieler die dann Kaká in Szene setzten, der wiederum die entstandenen Räume hinter dem aufrückenden Gegner nutzen konnte. Hat Liverpool sich tiefer gestellt, war Pirlo in der Lage seinen freien Raum zu nutzen und Gefahr auszustrahlen. Die beiden waren der Dreh- und Angelpunkt in Ancelottis System. Doch Liverpools Trainer Rafa Benítez fand in der Halbzeit einen Lösungsansatz. Er stellte auf eine Dreierkette um und sorgte so für mehr Präsenz im Mittelfeld. Dadurch brachte er sein Team zurück ins Spiel. Ancelotti wusste dem zunächst nicht viel entgegenzusetzen und stellte selbst zu spät um. Als er ebenfalls auf eine Dreierkette anpasste stand es bereits 3-3. Das Team wirkte geschockt und hatte keinen Zugriff mehr auf die Partie. Letztendlich verloren die Mailänder im Elfmeterschießen und ließen der wohl stärksten Halbzeit der Ära Ancelotti ein absolutes Horrorerlebnis folgen. Es war auch die Niederlage des italienischen Trainers der zu spät reagierte.

Nach einer Saison ohne Titel in der Spielzeit 2005/06 standen sich dann beide Teams in der Saison 2006/07 erneut im Champions-League-Finale gegenüber. Ancelotti besiegte damals im Viertelfinale den FC Bayern durch ein 2-0 im Rückspiel, nachdem man in Mailand 2-2 spielte. Es folgte ein 5-3 in Addition gegen Manchester United im Halbfinale. Im Finale dann also die Revanche gegen Liverpool. Ancelotti verzichtete diesmal auf die Raute und positionierte Kaká in einem flachen 4-4-2 noch offensiver. Ziel war es dem Brasilianer mehr Freiheiten zu geben. Auf der Doppelsechs wurde Pirlo von Ambrosini unterstützt, während Seedorf und Gattuso die Halbräume und Flügel besetzten. Dies sollte der großen Zentrumspräsenz von Liverpool entgegen wirken, die mit Alonso, Gerrard und Mascherano unglaublich sichere Spieler in ihren Reihen hatten.

Doch die Engländer kamen gut damit klar und schienen auch diese Partie für sich entscheiden zu können. Liverpool dominierte von Beginn an und ließ keinen Zweifel daran wer die bessere Mannschaft war. Ein ziemlich glückliches Tor von Inzaghi vor der Pause drehte dann aber den Spielverlauf. Anschließend änderte Ancelotti seinen Matchplan etwas und verzichtete auf eine offensive Ausrichtung. Milan verteidigte fortan das Ergebnis und fokussierte sich auf Konter. Liverpool hatte keine nennenswerten Chancen mehr und Milan gelang durch Inzaghi sogar das 2-0. Kuyt traf zwar noch zum Anschluss, am Ende war es aber Carlo Ancelotti der seinen zweiten Triumph als Trainer in der Königsklasse feiern durfte.

Spätestens seit diesem Erfolg ist Ancelotti einer der erfolgreichsten Trainer unserer Zeit. Den UEFA Supercup und die FIFA-Klub-Weltmeisterschaft konnte er noch folgen lassen, bevor er 2009 seine Ära beim AC Mailand beendete. Diese Zeit wird unvergessen bleiben. Er hat zwar den Fußball dort nicht revolutioniert, aber er hat stets das Maximum aus seiner im Schnitt doch sehr alten Mannschaft herausgeholt und in den richtigen Momenten meist die richtigen Entscheidungen getroffen. Seine größte Stärke war es, dass er die vorhandenen Spieler richtig positionierte und ihnen so die Möglichkeit gab, ihre individuellen Stärken optimal auszunutzen. Dabei setzte er jedoch über Jahre auf dieselben Spieler und verpasste es schlussendlich den Kader zu verjüngen. Unter ihm hatte der junge Kaká seine größte Zeit, aber auch an Pirlos Entwicklung war Ancelotti maßgeblich beteiligt.

Nach seiner Ära in Mailand folgten weitere erfolgreiche Jahre in London und Paris. Erst bei Real Madrid sollte er aber erneut die Champions League gewinnen.

Über England nach Paris

Trotz der sicherlich fordernden Zeit bei Milan, übernahm er direkt im Anschluss den FC Chelsea. In London hinterließ „Carletto“ mit seiner Mannschaft einen Torrekord in der ersten Saison, sowie die damit verbundene Meisterschaft und den FA Cup. Doch bereits in der folgenden Spielzeit verließ er die Blues wieder. Auch hier veränderte er wenig am bestehenden Kader und arbeitete weitestgehend mit dem was er vorfand. Zielspieler Drogba war der herausragende Spieler im Team. In einem 4-5-1 war der Ivorer der zentrale Mann in der Offensive. Unterstützt wurde er von den jeweils weit aufrückenden Flügelspielern, die das System situativ in ein 4-3-3 verwandelten. Kompaktheit im Mittelfeld und Drogba in Szene zu setzen waren die Hauptziele der Spielidee. Dem entgegen kam auch Frank Lampard, der durch seine klugen Herausrückbewegungen immer wieder das offensive Zentrum überlud und so seinen Stürmer optimal unterstützte. Auch bei Chelsea versuchte Ancelotti nur selten sich auf einen Gegner anzupassen. Im Fokus stand stets die eigene Stärke.

Bei seiner nächsten Station kehrte Ancelotti zum 4-4-2 zurück. Er übernahm im Winter der Saison 2011/12 den französischen Klub Paris Saint-Germain. In der Vorbereitung auf die Saison 2012/13 holte PSG Spieler wie Zlatan Ibrahimović oder Thiago Silva. Vor der Viererkette agierten mit Verratti ein tief positionierter Stratege, der die Bälle verteilte und mit Matuidi ein offensiv ausgerichteter Box-to-Box-Mittelfeldspieler. Beckham und Motta waren zwei weitere große Namen für diese Position. Jallet interpretierte seine Position als Rechtsverteidiger sehr offensiv und sorgte so für einige Vorstöße. Matuidi sicherte den offensiv positionierten Franzosen gelegentlich ab oder ging selbst in die Spitze. Beide harmonierten da recht gut. Maxwell, meist Linksverteidiger, spielte generell absichernder und tiefer als sein Pendant. Diese asymmetrischen Strukturen machten es speziell den Gegnern in der Ligue 1 schwer Zugriff zu bekommen. Vorne gab es dann vier Spieler die über sehr hohe individuelle Qualität verfügten. Pastore und Lucas besetzten die Halbräume hinter Ibrahimović und Lavezzi. Diesem Quartett war individuell viel Freiraum gestattet. Trotz dieser guten und funktionierenden Grundausrichtung reichte es nur zum Meistertitel. Im Viertelfinale der Champions League scheiterte man denkbar knapp an Barcelona. Paris verabschiedete sich respektabel mit einem 2-2 zu Hause und einem 1-1 in Barcelona aus der Königsklasse. Ancelotti selbst verabschiedete sich im Sommer ebenfalls, weil er die Herausforderung Real Madrid annehmen wollte.

Das schwere Los eines Real-Trainers

Dort übernahm er die Trainerposition von José Mourinho. Ancelottis Madrid ähnelte von all seinen Mannschaften vielleicht am ehesten Sacchis Milan von 1990. Benzema spielte im Sturm neben Ronaldo. Beide ergänzten sich sehr gut und besetzten die Räume meist optimal. Auch ihre Laufwege waren sehr gut aufeinander abgestimmt. Auf den Flügeln gab es dann eine leichte Asymmetrie. Di Maria spielte auf dem linken- Bale auf dem rechten Flügel. Während Bale jedoch immer wieder nach vorn schob und die Breite suchte, positionierte sich di Maria eher im Halbraum, oder gar im Zentrum um das Mittelfeld zu unterstützen. Der Argentinier übernahm dabei eine Art Spielmacher-Rolle. Dieses Einrücken führte zu Überladungen auf der rechten Seite und einem asymmetrischen 4-3-3. Di Maria fand immer wieder eine gute Balance für seine Position und das erschwerte es dem Gegner die Kompaktheit zu erhalten. Alonso und Modrić bildeten die Doppelsechs. Während der Kroate den offensiveren Part gab, um das Spiel nach vorn zu tragen, spielte Alonso den technisch starken Abräumer, der mit Ball vor allem das Tempo bestimmte und strategische Aufgaben übernahm. Diese Rollenverteilung erinnert stark an Rijkaard und Ancelotti aus der Milan-Zeit.

Die beiden Außenverteidiger standen zudem sehr hoch. Dieses Hybrid aus 4-4-2, 4-2-2-2 und 4-3-3 sollte Ancelotti die Copa del Rey und den dritten Champions-League-Titel als Trainer bringen. Im Finale 2014 schlug man Atlético Madrid im Stadtderby schlussendlich glücklich, aber hochverdient. Es brauchte einen Kopfballtreffer von Ramos in der Nachspielzeit um überhaupt in die Verlängerung zu kommen. In dieser dominierte man ein müdes Atlético dann aber und sicherte sich den Pokal durch ein 4:1. „Carletto“ brachte Madrid damit „La Decima“ (den zehnten Champions-League-Titel) und konnte so als erster Real-Trainer seit 2002 wieder einen internationalen Erfolg verbuchen. Speziell an das damalige Champions-League-Halbfinale dürften sich einige noch erinnern.

Gerade aufgrund dieser beiden Spiele wird Ancelotti von einigen auf Konter reduziert. Dem ist aber keinesfalls so. Lediglich gegen die Ballbesitzhungrigen Teams aus Barcelona und München setzte er auf diese durchaus effektive Taktik. Gerade gegen defensiv eingestellte Gegner zeigte seine Mannschaft aber immer wieder sehr gute Lösungen im Ballbesitz. Real Madrid war unter Carlo Ancelotti sehr flexibel und legte sich nicht auf einen grundsätzlichen Stil fest. Man war mit Ball stark, aber auch gegen den Ball.

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Nach Bob Paisley ist Carlo Ancelotti der zweite Trainer der dreimal die Champions League gewinnen konnte.

Zu den zwei Titeln in seinem ersten Jahr als Trainer von Real Madrid gesellten sich in der folgenden Saison der UEFA Supercup und die Klub-Weltmeisterschaft in den Trophäenschrank der Madrilenen. Trotzdem wurde Ancelotti am Ende der Saison 2014/15 entlassen. In der Liga wurde man mit zwei Punkten Abstand denkbar knapp Vizemeister, in der Copa del Rey schied Real Madrid gegen Atlético im Achtelfinale aus und Juventus war im Halbfinale der Champions League zu stark für sie. Das war dem Verein zu wenig und so spürte Ancelotti, was es heißt Trainer von Real zu sein. Nach einem durchaus erfolgreichen Jahr mit „La Decima“ konnte man nicht nachlegen. Dennoch sprechen besonders die Superstars des Teams noch heute sehr positiv über den Italiener. Ronaldo und auch Kroos haben mehrfach betont, dass sie gerne weiter mit ihm gearbeitet hätten.


Ancelotti wird kein einfaches Erbe in München antreten. Worauf kann der FC Bayern sich einstellen und welche Aufgaben kommen auf den Italiener zu?

Die Bayern erwartet mit Sicherheit ein Trainer, der sehr anpassungsfähig ist. Ancelotti ist niemand der sich aufdrängt oder eine große Show abzieht. Dennoch ist natürlich auch er ein Trainer mit Vorstellungen, Forderungen und einer gewissen Konsequenz. Der Italiener ist kein Taktiker von dem viele Umstellungen und Anpassungen erwartet werden sollten. Guardiolas größte Stärke ist das Lesen eines Spiels. Der Katalane ist in der Lage einen kompletten Spielverlauf mit seinen Coaching-Fähigkeiten zu drehen. Vor allem ist er aber ein Trainer, der seine Grundausrichtung sehr am Gegner ausrichtet und diesen über Tage analysiert. Ancelotti hingegen fokussiert sich vor allem auf die Stärken des eigenen Kaders. Er versucht eine Formation zu finden in der alle ihre maximale Leistung abrufen können und wo die Teamdynamik funktioniert. Er hat in seiner Karriere bereits auf Konter spielen lassen aber auch durchaus ansehnliche, dominante Spiele mit schönen Ballzirkulationen geleitet.

Er wird davon profitieren können, dass Guardiola seiner Mannschaft eine große Variabilität gegeben hat. Die Spieler haben dank des Katalanen ein großes Verständnis für einzelne Phasen des Spiels, aber auch für die Besetzung der Räume. Das aktuelle Positionsspiel wird Ancelotti sehr helfen und seine Arbeit vereinfachen. Sprachlich dürfte es keine Probleme geben. Der FC Bayern ist ohnehin sehr international besetzt und Ancelotti spricht vier Sprachen. In einem Interview im Februar sagte er mal scherzhaft: „Wenn es Giovanni Trapattoni gelernt hat (deutsch zu sprechen), kann ich das auch.“ Nach einem mental sehr fordernden Trainer wie Pep Guardiola ist Ancelotti vielleicht genau der richtige Mann für den Rekordmeister. Der Pragmatiker kann mit Stars umgehen und ist bekannt dafür, dass seine Mannschaften in den entscheidenden Spielen eine gute Formkurve haben.

Allerdings ist „Carletto“ nicht gerade ein Trainer der Rotation gewesen. Hier muss er sich vielleicht dem FC Bayern anpassen. Speziell auf den Kaderpositionen 12 bis 18 sind die Münchner sehr stark besetzt und sollte nicht genügend rotiert werden, könnte das zu Problemen führen. Spannend wird zudem die Entwicklung der jungen Spieler. Zwar hatte beispielsweise Kaká mit jungen Jahren eine großartige Zeit unter Ancelotti, doch viele Talente hat er in seiner Laufbahn nicht groß herausgebracht. Kimmich sowie Coman haben bereits bewiesen dass sie die Klasse besitzen und mit Sanches kommt ein weiterer junger Spieler, der sich in München durchsetzen möchte. Wie der Italiener mit ihnen umgeht wird interessant. Man könnte eigentlich davon sprechen, dass Guardiola den Verein mitten im Umbruch verlässt. Ob das zu einem Loch führt oder der neue Trainer dort direkt anknüpfen kann, wird eine weitere große Frage sein.

Ancelotti und Guardiola verstehen sich gut. Kann der Italiener an die Erfolge des Katalanen anknüpfen?(Foto: Gerard Julien / AFP / Getty Images)
Ancelotti und Guardiola verstehen sich gut. Kann der Italiener an die Erfolge des Katalanen anknüpfen?
(Foto: Gerard Julien / AFP / Getty Images)

Taktisch wäre sein Hybrid aus 4-4-2 und 4-3-3 eine Möglichkeit. Vielleicht orientiert er sich aber auch etwas an Pep Guardiola und wird die Dreierkette in sein Repertoire aufnehmen. Er war in der Vergangenheit sehr flexibel und so lässt sich noch nicht absehen was Ancelotti vor hat. Ein 4-4-2 und die damit verbundene Rückkehr in den Liga-Mainstream gilt jedoch als die wahrscheinlichste Option. Das Sturm-Duo Müller und Lewandowski wird er kaum trennen wollen. Auf den Flügeln könnte Arjen Robben in seiner Normalform wohl einen Stammplatz bekommen. Um die andere Position streiten sich dann Costa, Ribéry und Coman. Im Zentrum gäbe es nur noch zwei weitere Positionen zu verteilen. Neuzugang Sanches, Arturo Vidal, Xabi Alonso und Thiago sind die Favoriten. Auch Joshua Kimmich sowie Javi Martínez sind gelernte Mittelfeldspieler. Ersterer könnte aber auch eine Rolle auf der Rechtsverteidiger-Position bekleiden, wenn Lahm eine Pause bekommt. Bei Martínez ist noch nicht klar wo Ancelotti ihn sieht. Auch der Spanier ist sehr flexibel und kann sowohl in der Innenverteidigung als auch auf der Sechs spielen. Für Rode wird wohl nur ein neuer Verein in Frage kommen. Bei Mario Götze ist die Zukunft ebenfalls noch nicht geklärt. Rafinha ist ein weiterer Akteur, der den FC Bayern verlassen könnte. Durch die Verpflichtung von Mats Hummels wird es zudem sehr eng für Medhi Benatia. Der Berater des Marokkaners deutete zwar einen Verbleib an, doch ein Transfer scheint nicht ausgeschlossen. Ein weiterer Stürmer sowie ein Akteur für die rechte Abwehrseite werden Gerüchten zufolge noch gesucht.

Den FC Bayern erwartet eine zumindest interessante Phase. Ancelotti kommt in einen Umbruch hinein und hat damit keine leichte Aufgabe. Guardiola wurde in der Rückrunde so pragmatisch wie vielleicht noch nie zuvor. Große Überraschungen gab es nur selten. An diese Bayern kann man sich schon mal gewöhnen. Der neue Bayern-Trainer wird über seine gesamte Zeit wahrscheinlich deutlich weniger experimentieren und voraussehbarer agieren. Vermutlich können sich die Gegner der Münchner in Zukunft wieder einfacher auf den Rekordmeister einstellen, doch die individuelle Qualität bleibt ja dennoch vorhanden.

Ancelottis Hauptaufgabe wird es sein den Umbruch erfolgreich zu beenden und die Abhängigkeit von älteren Spielern sukzessive abzubauen. In seiner Zeit wird er Lösungen finden müssen um Ribéry, Robben und Lahm zu ersetzen sowie junge Spieler wie Coman, Kimmich und Sanches zu entwickeln. Nach vier Meisterschaften in Folge wird es immer schwerer für die Bayern. Alle warten auf eine kleine Pause und genau in diesen Übergang könnte sie fallen. Das zu verhindern und direkt erfolgreich zu sein wird eine weitere Aufgabe des Italieners sein. Zu diesen wichtigen Baustellen kommen auch weitere kleine dazu. In den letzten Jahren war der Flügelfokus der Bayern ein wichtiges Mittel zum Erfolg. Diesen zu entschärfen und wieder bessere Lösungen für Durchbrüche aus dem Zentrum oder den Halbräumen zu kreieren wäre ebenfalls wünschenswert. Ancelotti steht in München vor einer sehr schweren Aufgabe, doch er hat das Rüstzeug um die erfolgreichen letzten Jahre fortzuführen.