Adventskalender: Unsere Wunschtransfers – Türchen 19

Daniel Trenner 19.12.2020

Situation beim Verein

“Ja, das lief jetzt ganz gut, aber was passiert denn dann, wenn mit Ribéry und Robben nun bald doch Schluss sein wird?”

Wie oft hat man diesen Satz in direkter oder abgewandelter Form im Laufe des letzten Jahrzehnts gehört? Zunächst wurde dem FC Bayern fast sehnsüchtig eine Krise reingeredet, wenn “Robbery” aus dem Verein scheiden würden, später wurde der Ton fast vorwurfsvoll. Man hätte sich zu lange auf die beiden größten Flügelspieler der Vereinsgeschichte verlassen und bräuchte eigentlich schon lange echten Ersatz. Gerade im Boulevard klang auch immer wieder ein Stück Hoffnung mit, der FC Bayern würde mit viel Geld echte Granaten in die Liga holen, Spieler wie Coman oder Gnabry würden ja wohl kaum ausreichen, um den großen Franck und spektakulären Arjen ersetzen zu können.

Zum ersten Mal fiel der Terminus “Nachfolger” als die Bayern 2012 im Zuge der Kaderverbreiterung den schweizer Würfel Xherdan Shaqiri verpflichteten. Shaqiri kam immer wieder rein und brachte frische Impulse, wusste aber auch um seine Rolle im Kader, in späteren Saisons musste er aber erkennen, dass er für sich genommen womöglich zu früh zu den Bayern gestoßen ist.

Ribérys beste Saison stand kurz bevor und endete mit dem ersten Triple der Vereinsgeschichte, Robben sollte 2014 an seine absolute Leistungsspitze ankommen. Der eine Nachfolger brach also vorzeitig seine Zelte ab, über die nächsten sprechen wir auch heute tagesaktuell noch: Kingsley Coman und Douglas Costa.

Die Geschichte der beiden ist bekannt, wichtiger ist, dass auch sie, sowie der spätere Neuzugang Serge Gnabry, immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hatten, die Suche nach dem oder den ominösen “Robbery-Nachfolgern” war also noch nicht vorbei.

Situation beim Spieler

Franck Ribéry: Der Spielmacher auf Linksaußen

Um zu begreifen, was Eden Hazard von den zahlreichen Außenstürmern der Welt so unterscheidet und gerade für Bayern so interessant gemacht hätte, muss man einen Schritt zurück gehen und sich die Besonderheiten Franck Ribérys vor Augen führen.
Ribéry ist zwar im Namen und Positionsspiel ein Linksaußen, da facto war er aber schon immer, seine gesamte Karriere über, ein auf dem linken Flügel spielender Spielmacher.

War Philipp Lahms Bedeutung für seine Mannschaften vielleicht schon lange vor seiner Versetzung, so etwas wie ein als Außenverteidiger getarnter Sechser, war Ribéry die Zehn auf dem Flügel. Er startete an der Seitenlinie und zog in die Mitte um die Angriffe seiner Mannschaft nach bestem Vorbild legendärer französischer Spielmacher im letzten Drittel zu koordinieren, tödliche Pässe zu spielen und Assists zu sammeln.

So ungelenk Ribéry sich außerhalb des Platzes (und in hitzigen Situation mitunter nicht nur dort) auch gab, auf dem Spielfeld war er einer der spielintelligentesten Flügelstürmer seiner Generation, sein Spielstil war weitestgehend einzigartig. Höchstens Messi könnte man von den Fähigkeiten her hier nennen, doch der verbrachte die meiste Zeit von Ribérys besten Jahren zentral.

Im Vergleich ist Arjen Robben etwa ein ziemlich klassischer Flügelstürmer gewesen. Ähnlich dribbelstark, aber viel mehr abschlussorientiert. Das macht ihn nicht schwächer, ganz und gar nicht, aber im größeren Kontext der Fußballhistorie fällt Robben mehr qualitativ, denn vom vom Spielstil her auf. Der Umstand, dass seine legitimen Nachfolger Serge Gnabry und Leroy Sané schon jetzt gut ein halbes dutzend Tore in bester Robben-Manier geschossen haben, verdeutlicht das nur.

Messi wie gesagt mal ausgenommen, gab es unter den vielen, vielen Flügelstürmern immer nur einen Spieler, der diese verkappte Zehnerrolle Ribérys mit ähnlichem Leben füllte: Eden Hazard.

Eden Hazard: Einer wie Franck Ribéry.
Hier führt er sein Land zu seinem besten WM-Ergebnis.

(Foto: Giuseppe Cacace/AFP via Getty Images)

Jeder Angriff Chelseas ging über ihn. Er dribbelte und scorte nach Belieben, ein gut spielender Hazard riss das Spiel stets an sich, was ihn als Spielertypen fundamental von seiner ligaweiten Konkurrenz auf den Flügeln abhob. Im Gegensatz zu seinem französischen Vorbild war Hazard etwas mehr abschlussorientiert, schoss stets etwas mehr Tore als er Vorlagen gab, doch in der Einbindung ins Offensivspiel, was etwa die Ballaktionen anging, glich er Ribéry auf frappierende Art und Weise.

Dazu gesellten sich mit der Zeit genuine Führungsspielerqualitäten. Hatte er bei der EM 2016 noch sichtlich mit seiner neuen Rolle als Kapitän zu kämpfen, schien er bei der WM in Russland der geborene Leader zu sein. Mit breiter Brust führte er als mit Abstand bester Spieler seiner Mannschaft Belgiens goldene Generation zu einem sehr guten dritten Platz. Diese endgültige Transformation zum klaren Führungsspieler schaffte so nicht einmal Franck Ribéry.

Hypothetische Rolle im Team

Als jemand, der nie erpicht darauf war, die Vereinskassen für große Weltstars zu plündern, war Eden Hazard für mich jahrelang die große Ausnahme. Der eine Spieler, bei dem ich den Wahnsinn auf dem Transfermarkt mitgegangen wäre, bei dem ich es verstanden hätte, hätte man in den sauren Apfel gebissen, und eine dreistellige Millionenzahl auf den Tisch gelegt.

Das hat natürlich viel mit den (Fehl-)Entwicklungen zwischen der Ära Guardiola und der heutigen unter Hansi Flick zu tun, nachdem der Katalane gegangen war, war Bayerns Spiel bloß noch Stückwerk, getragen von individuellen Säulen wie Thiago, Kimmich oder Lewandowski. Zu dieser Zeit brauchte es diese Individualkünstler, die das Team auf ein höheres Level brachten und dem ganzen Bund Struktur verliehen.

Eine Frage des richtigen Zeitpunkts

Eine gute Frage ist, wann Hazard denn nun eigentlich hätte kommen sollen. Parallel zu Xherdan Shaqiri wechselte Hazard im Sommer 2012  für 35 Millionen Euro zum FC Chelsea, ihn damals anstelle Shaqiris zu holen, dürfte unrealistisch gewesen sein. Der FC Bayern stellte sich schon lange um Javi Martínez’ Rekordablöse von 40 Millionen Euro quer, kaum vorstellbar, dass man dazu fast noch einmal so viel, für einen jungen Backup bezahlt hätte. Dazu stellt sich die Frage, in wie weit ein junger Hazard sich im Schatten eines sich auf dem Zenit befindenden Ribérys hätte entwickeln können.

Am realistischsten erscheint mir der Sommer 2016 oder 2017. Hazard spielte 2014/15 noch seine bis dahin beste Saison seiner Karriere, steuerte zu Chelseas erster Meisterschaft in fünf Jahren 24 Scorerpunkte bei und wurde dabei zum besten Spieler der Liga gekürt. In der nächsten Saison allerdings brachen er und sein Verein völlig ein. Der älteste der Gebrüder Hazard blieb in der Liga über 2000 Minuten torlos, landete am Saisonende nur bei acht Scorern. Im Dezember musste Trainer Mourinho weichen, am Ende wurde man bloß Zehnter.

Hier hätte man aktiv werden können, ja, Hazard mochte eine fürchterliche Saison gespielt haben, doch Talent und Klasse waren unverkennbar. Die Preise am Transfermarkt waren zwar schon gestiegen, aber noch nicht völlig eskaliert. Chelsea hatte zudem die Champions League verpasst, bot also sportlich ein schwächeres Paket als der Rekordmeister an. Natürlich ist Roman Abramovich nicht gerade auf Geld angewiesen, aber ein Transfer im hohen zweistelligen Bereich, wären für den 25-jährigen Hazard durchaus nicht unrealistisch gewesen.

Doch Ribéry und Robben waren noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt und noch hatte man Hoffnungen, Douglas Costas dürftige Rückrunde wäre nur die Ausnahme gewesen. Hazard blieb also in London und schwor Wiedergutmachung.

Und die gelang auch, mit Trainer Conte setzte man sich in der Meisterschaft gegen Pochettinos Tottenham, Guardiolas City und Klopps Liverpool durch, Hazard fand zu alter Form und lieferte wieder Torbeteiligungen am Fließband, am Ende waren es 21.

Hätten auch beide im selben Verein landen können.
(Foto: Gabriel Bouys/AFP via Getty Images)

Erneut kann man über einen Transfer spekulieren. Auch wenn er schlussendlich noch zwei Saisons bei Chelsea bleiben sollte, Hazards Weg beim Oligarchenklub war mit zwei Meisterschaften vollendet, Transferspekulationen rissen nun nicht mehr ab.

Auch Bayern erkannte die Notwendigkeit nach offensiver Verstärkung, Real Madrid zeigte in der Königsklasse, dass es individuell eng wurde, gerade Ribéry hatte mittlerweile mit seinen athletischen Defiziten zu kämpfen. Douglas Costa wurde mit Pauken und Trompeten vom Hof gejagt (wovon man heute nichts mehr hören möchte), Coman nur nach einer ewig währenden Bedenkzeit verpflichtet.

Eden Hazard wäre ein perfekter Nachfolger gewesen, mit 26 eine sofortige Verstärkung, doch bei der Ablöse landen wir schnell in utopischen Bereichen. Die Eskalation am Transfermarkt war vollendet, im Laufe des Sommers sollte Neymar für 222 Millionen wechseln, was wiederum die Marktwerte anderer explodieren ließ. Möglicherweise wäre man trotzdem noch unter den 146 Millionen gelandet, die schlussendlich 2019 Real Madrid für Hazard zahlen sollte, doch im dreistelligen Bereich hätten wir uns mit Sicherheit bewegt.

Was wäre wenn?

Hätten die Bayern zugeschlagen, hätten sie Ribérys Rolle 1:1 ersetzen können. Zusammen mit Coman, Robben und etwas später Gnabry, hätten sie dann eine individuell erstklassige Offensive; an den taktischen Defiziten, zuerst unter Ancelotti, später unter Kovač, hätte das indes nichts geändert. Doch für den damaligen Heldenfußball, wären so wenigstens die benötigten Helden beisammen gewesen. Gut möglich, dass diverse Trainer so länger ihren Job behalten hätten, gut möglich, dass der Cheftrainer Hansi Flick so verhindert worden wäre.

Schlussendlich wurden Ribéry und Robben ersetzt, indem das Herz des Teams verlagert wurde. Beim zweiten Triple der Vereinsgeschichte überzeugten zwar auch die Außenspieler, doch die Achse der wichtigsten Spieler spielte nun im Zentrum, sei es Alaba, Thiago, Lewandowski oder meistens auch Kimmich.

Eden Hazard wäre jedoch die offensichtliche, gewissermaßen unkreative, mordsteure, gleichzeitig aber auch spektakuläre Antwort auf die Suche nach dem Erben von Kaiser Franck Ribéry gewesen. Eine Antwort, die sogar der Regent selbst so gab.

Hinweis: Hinter dem nächsten Türchen finden wir einen der heißesten Flirts Bayerns moderner Transferpolitik. Ein Flirt, der noch lange nachhallte und gerade in den Medien lange Zeit nicht an Präsenz verlor.