Vorschau: SV Darmstadt – FC Bayern München

Justin Trenner 16.12.2016

Matthias, Blogger und Fan des SV Darmstadt, erzählt uns im Interview, weshalb er mit der Entwicklung der Lilien unzufrieden ist und was sich in nur einem Jahr verändert hat.

Grafik: Michael Böck

Hallo Matthias, stell dich zunächst bitte kurz unseren Lesern vor und erzähle uns kurz, was dich mit dem SV Darmstadt verbindet.

Servus zusammen. Ich bin von Haus aus Historiker, arbeite aber seit vielen Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit. Das Studium verschlug mich um die Jahrtausendwende nach Darmstadt und damit war der Grundstein gelegt, um irgendwann am Böllenfalltor zu landen. Die Lilien waren für mich lange Jahre ein typischer Traditionsverein, der irgendwann abgehängt worden war. Deshalb ist der Aufschwung der letzten Jahre fast schon irritierend. Kamen noch vor sechs bis acht Jahren phasenweise nur um die 2.000 Fans zu den Heimspielen, so fuhren letztes Jahr 8.000 nach Dortmund. Da sieht man, welches Potential der Erfolg entfesseln kann. Ich begleite die Lilien seit einiger Zeit mit meinem Kickschuh-Blog. Daneben habe ich letztes Jahr das Lilien-Buch für die 111-Gründe-Reihe geschrieben. Seit kurzem tausche ich mich mit vier Mitstreitern wöchentlich im “Hoch & weit”-Podcast über die 98er aus. Da sieht man mal, was die richtige Wahl seines Studienortes alles nach sich ziehen kann ;-)

Vor ungefähr zehn Monaten haben wir an anderer Stelle bereits miteinander gesprochen. Damals hatten die Lilien vier Punkte Vorsprung, jetzt sind es zwei Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz. Grund zur Sorge?

Definitiv. Beim bisherigen Schneckenrennen gegen den Abstieg hatte der SVD einige gute Möglichkeiten gehabt, sich ein wenig abzusetzen. Stattdessen verlor er seine Heimpartien gegen die zuvor sieglose Konkurrenz aus Ingolstadt und Hamburg. Sollten die 98er jetzt gegen Bayern und in Berlin nicht punkten, könnte eine kleine Lücke entstehen und das wäre eine ordentliche Hypothek für die zweite Halbserie.

Was hat sich seit damals verändert?

Allerhand. Mit Dirk Schuster ging der Vater des Erfolgs von Bord. Ein immenser Verlust! Der Verein war darauf offenkundig nicht vorbereitet und installierte Holger Fach als Manager, der diese Position allerdings noch nirgendwo bekleidet hatte. Der holte dann Norbert Meier als Coach, bei dem sich viele fragten, ob das so ein kluger Schachzug sei. Der Verein erhoffte sich womöglich von den alten Kämpen so viel Erfahrung und Kontakte, dass sie das Kind schon schaukeln würden. Ein Trugschluss! Beide Personalien gingen überhaupt nicht auf. Zudem verlor das Team einige wichtige Stützen. Mit Caldirola und Rajkovic zwei Abwehrrecken und mit Sandro Wagner 14 Tore. Das konnte bislang nicht ansatzweise kompensiert werden.

Die letzten sechs Spiele in der Bundesliga wurden verloren. Davor gab es Siege gegen Frankfurt und Wolfsburg sowie Unentschieden gegen Werder und Hoffenheim. Wieso konnte man auf diese Leistungen nicht aufbauen?

Der Sieg gegen die Eintracht tat zwar der Fanseele gut, war aber äußerst schmeichelhaft. Richtig überzeugend waren nur der Sieg gegen ein dezimiertes Wolfsburg und das Remis gegen Hoffenheim. Der Rest war Stückwerk. Meier hat bis zum Schluss keine durchweg funktionierende Elf gefunden. Er probierte immer neue Kombinationen, auf Kosten der Sicherheit. Selbst Aytac Sulu agierte nicht mehr sattelfest. Zudem degradierte er Niemeyer und Gondorf, die in der vergangenen Saison für das Gleichgewicht im Lilien-Spiel verantwortlich waren. Ich glaube, dass die Mannschaft selbst nicht so recht wusste, was Meier spielen will und wenn sie es wusste, dann konnte sie es nicht umsetzen. Für mich hat Meier den Lilien-Fußball (gefühlt) entkernt. Dass wir auswärts noch überhaupt keinen Punkt geholt haben, während wir dort letzte Saison die Freibeuter der Liga waren, zeigt, dass der Mannschaft neben den Automatismen auch ein wenig die Überzeugung abhanden kam.

Norbert Meier hat es nicht geschafft, den Erfolg von Schuster zu bestätigen.
(Foto: Alex Grimm / Bongarts / Getty Images)

Bist Du zufrieden mit der Entwicklung des Vereins oder beobachtest Du nach der starken letzten Saison eher einen Rückschritt?

Definitiv unzufrieden. Dass es schwer würde, war jedem bewusst. Die Klubführung verließ sich nachvollziehbarerweise auf erfahrene Leute, setzte dabei aber leider auf die Falschen. Nun soll die Lilien-DNA wiederbelebt werden und das klappte in Freiburg hervorragend. Dort standen in der Startelf acht Feldspieler aus der Ära Schuster und prompt wurden Erinnerungen an die vergangene Saison wach. Die Mannschaft hatte Feuer und die alten Säulen Sulu, Niemeyer und Gondorf waren wieder in ihrem Element. Ärgerlich blieben lediglich die mangelnde Chancenverwertung und das Elfmeter-Gegentor kurz vor Schluss.

Wie muss Darmstadt gegen Bayern auftreten, um am Ende etwas Zählbares zu holen?

An etwas Zählbares wage ich ja kaum zu glauben, ich will es dennoch versuchen. Sie müssten genauso auftreten wie bei den letzten beiden Partien in München. Kompakt stehen, gut verschieben, doppeln, die Räume verdichten, fighten und ein wenig auf eine fahrlässige Chancenverwertung der Bayern hoffen. Das klingt ernüchternd, ich weiß. Es sollte sich aber jeder vor Augen führen, wo die Lilien vor noch gar nicht allzu langer Zeit standen. Kurz vor Weihnachten 2012 kassierten sie eine ziemlich ernüchternde 0:3-Niederlage bei Preußen Münster und überwinterten als Tabellenletzter in Liga 3. Der SVD ist so unverhofft und schnell durch die Ligen marschiert, dass er nur über das Kollektiv und den Kampf kommen kann. Mehr bietet der Kader nicht, und deshalb sind wir Lilien-Fans damit auch sehr einverstanden. Das was die Lilien lange Zeit ausmachte, erinnert so ein wenig an euer „Mia san mia“. Dieses spezielle Wir-Gefühl, dieser Aufstand des Underdogs, das sollten die Lilien fortan wieder auf den Platz bringen und kultivieren.

Wie geht das Spiel aus?

Ich bleibe dabei. Bayern spielt das souverän runter und gewinnt 3:1.

Du darfst einen Spieler vom FCB zu den Lilien transferieren. Wer passt am besten zu Darmstadts Fußball und wieso?

Natürlich Arturo Vidal. Er marschiert vorneweg und würde hier mit seiner Physis und Galligkeit perfekt reinpassen. Wenn er dann noch seine Verletzungsanfälligkeit in den Griff bekäme und ein bisschen was von der Torquote Robert Lewandowskis mitbrächte, wäre das wie ein Sechser im Lotto.

Darmstadt eint in der Bundesliga den niedrigsten Ballbesitzwert, die niedrigste Passquote und die wenigsten Abschlüsse. Hinzu kommt ein letzter Tabellenplatz, der wenig überrascht.

Gegnervorschau

Der Tabellenletzte empfängt den Spitzenreiter. Das sieht man auch im Statistik-Vergleich.
(Grafik: Lukas)

Der Fußball, den Dirk Schuster in Darmstadt etablierte und der sich vor allem über Leidenschaft definierte, ist nicht bei jedem Fan beliebt. Dennoch hatte er Konzept. So schwierig das für alle Anhänger des aktiven, ansehnlichen Spiels zu akzeptieren ist, es steckt eine Idee dahinter.

Meist war diese Idee, aggressiv, kompakt und sehr tief zu verteidigen. Bei Ballgewinnen setzten die Lilien nicht auf eine gute Ballzirkulation, sondern viel mehr auf weite Schläge.

Vorne lauerten schnelle Flügelspieler wie Heller oder Rausch, die schließlich entweder gute Standardsituationen herausholen konnten oder Zielspieler Sandro Wagner bedienten.

Das Konzept funktionierte eine Saison recht ordentlich. Darmstadt machte sich nicht zum beliebtesten, aber zu einem hartnäckigen Bundesligisten.

Jetzt hat sich jedoch vieles verändert. Das fehlende spielerische Element macht sich auch deshalb bemerkbar, weil neben Dirk Schuster weitere Schlüsselfiguren wie Rausch oder Wagner den Verein verlassen haben.

Im 4-4-2, das sich durch vereinzelte Mannorientierungen auch mal in ein massiveres 5-3-2 oder gar 6-3-1 wandelt, verteidigt die Mannschaft extrem tief. Trotzdem entstehen speziell aufgrund schlechterer Abstände immer wieder Lücken.

Während Gegner des FC Bayern im Schnitt nur 20 Pässe spielen dürfen, bis eine Defensivaktion erfolgt, sind es bei den Kontrahenten von Darmstadt in etwa 46.
(Grafik: Lukas)

Darmstadt ist äußerst anfällig (27 Gegentore) und nicht mehr so gefährlich nach Standards wie in der jüngeren Vergangenheit. Lediglich drei Treffer fielen nach Ecken oder Freistößen, zwei Elfmetertore kommen noch hinzu. Vier Erfolgserlebnisse resultierten aus dem Spiel heraus und zwei Kontertore komplettieren die mageren 11 Treffer der Lilien.

In der gesamten vergangenen Saison erzielte man immerhin 18 Tore nach Standards (zwei davon Elfmeter). Allein dieses Element könnte am Ende den Unterschied machen. Jetzt sind die Darmstädter jedoch nicht mehr so effektiv. Ohnehin ist ihr Offensivspiel sehr vertikal und auf Risiko ausgelegt, was vor allem an den langen Bällen liegt. Weit über 50% der Pässe werden vorwärts gespielt (Höchstwert der Liga). Die Passquote von nur 63% unterstreicht die Ideenlosigkeit in der Ballzirkulation, um die sich nicht mal bemüht wird.

Für die Bayern ergibt sich aus dieser Konstellation eine absolute Pflichtaufgabe am Sonntag. Dortmund legt bereits am Freitag in Hoffenheim vor und Leipzig hat mit Hertha eine ebenso schwierige Aufgabe zu lösen. Gewinnen die Münchner in Darmstadt, steht einer Herbstmeisterschaft vermutlich wenig im Weg.

Dafür braucht es auch am Böllenfalltor, das nicht gerade für Champions-League-Rasen bekannt ist, eine sehr gute Ballzirkulation. Die tiefstehenden Darmstädter müssen in ständiger Bewegung sein.

Bayern wird sich einem ähnlichen Gebilde entgegenstellen, wie in den beiden Begegnungen mit Schusters Augsburg. Mannorientierungen auf dem Flügel und somit eine situative Sechserkette in der gegnerischen Abwehr.

Es wird ein Geduldsspiel für den Rekordmeister, aber sollte ein relativ früher Treffer gelingen, sollten die zuletzt stark schwächelnden Darmstädter kein Problem darstellen.

Fünf Thesen zum Spiel

  1. Robert Lewandowski erzielt mindestens zwei Tore.
  2. Thomas Müller wird an wenigstens einem Treffer direkt beteiligt sein.
  3. Darmstadt bleibt ohne Erfolgserlebnis.
  4. Die Bayern erzielen mindestens vier Tore.
  5. Der Schiedsrichter wird wenigstens vier Karten verteilen.

Vier Thesen aus der Wolfsburg-Vorschau waren richtig. Gesamt: 50/95