Von Fallhöhen und Erwartungshaltungen

Steffen Trenner 10.05.2015

Herausragende Entwicklung seit 2010

Der FC Bayern antwortete mit einer herausragenden Hinrunde, die Medien, Fans und vielleicht auch die Mannschaft selber in den tückischen Glauben versetzte, dass alles einfach so weiter laufen würde, wie in den beiden Jahren zuvor. Das Triple aus dem Jahr 2013, das die wohl beste Saison der Vereinsgeschichte krönte, schwebt dabei wie ein Damoklesschwert über dem Verein. Als Uli Hoeneß als Bayern-Präsident bei einer Jahreshauptversammlung 2010 mit den Worten „da müssen wir dabei sein“ auf das Champions League-Finale 2012 in München verwies erntete er in der Öffentlichkeit Hohn und Spott. Der FC Bayern war holprig in die Saison gestartet. Sogar der meist seriöse Kicker unkte, dass nicht ganz klar sei, ob Hoeneß wirklich das Finale oder vielleicht nur die Teilnahme an der Champions League meinte. Das ist gerade einmal fünf Jahre her. Der FC Bayern war zwar im Sommer 2010 zum ersten Mal nach 2001 ins Finale der Champions League eingezogen – allgemein wurde das jedoch als Zufallstreffer gewertet. Mit Mühe hatte die von van Gaal Elf zuvor Florenz im Achtelfinale geschlagen, lag im Viertelfinale bei Manchester United nach 40 Minuten hoffnungslos mit 0:3 zurück und schaffte durch einen absurden Spielverlauf mit Traumtor von Robben noch ein 2:3 und war im Finale gegen Inter Mailand deutlich unterlegen. In den Jahren zuvor waren die Münchner ohnehin extrem weit von der europäischen Spitze entfernt und schieden regelmäßig frühzeitig aus. Gerade die Duelle gegen den AC Mailand unter Magath und das 0:4 in Barcelona unter Klinsmann unterstrichen dabei wie groß die Lücke zur absoluten Spitze war.

Bayern schaffte es ins Finale in München 2012. Über Basel und Marseille und durch eine Willensleistung im Estadio Bernabeu mit abschließendem Sieg im Elfmeterschießen. Der bitteren Final-Niederlage gegen Chelsea folgte das beschriebene Triple-Jahr. Die Mannschaft war über die Jahre gewachsen. Leistungsträger wie Robben, Ribéry, Schweinsteiger und Lahm standen im Zenit ihrer Leistungsfähigkeit. Andere wie Neuer, Alaba, Boateng und Kroos waren auf dem Weg dahin. Es passte alles. Die Mannschaft wirkte spielerisch austariert und gleichzeitig durch die Niederlagen der Vergangenheit gefräßig wie nie zuvor. Einzig Kroos und Badstuber waren in der entscheidenden Saisonphase verletzt. Das kumulierte 7:0 gegen Barcelona wurde zum Sinnbild dieser Saison. Im Finale gewannen die Münchner knapp, aber verdient mit 2:1 gegen Dortmund und war damit an Europas Spitze angekommen.

In der Spitze entscheiden Kleinigkeiten

Das Finale gegen Dortmund, das Halbfinale gegen Madrid im Jahr 2012 und das Viertelfinale gegen Manchester im Jahr 2010 zeigten dabei auch wie sehr es in der absoluten Spitze auf Kleinigkeiten ankommt. Ribéry hätte genau wie Dante im Champions League-Finale vom Platz fliegen können. Gegen Madrid und Manchester war Bayern eigentlich bereits draußen und schaffte mit viel Glück, Disziplin und Willen den Turnaround. Selbst beim beschriebenen 7:0 gegen Barcelona brauchte es neben der herausragenden Mannschaftsleistung eine Ecke zum 1:0, eine nicht geahndete Abseitsstellung vor dem 2:0 und ein ebenso nicht geahndetes klares Foul von Müller vor dem 3:0, um auf die Siegerstraße zu kommen. Dass Messi verletzt und außer Form war, kam begünstigend oben drauf.

All diese Beispiele zeigen wie volatil Erfolg gerade in K.o.-Wettbewerben wie dem DFB-Pokal und der Champions League sind. Wie sähe die Bilanz der aktuellen Saison aus, wenn Schiedsrichter Gagelmann im Pokal-Halbfinale gegen Dortmund beim Handspiel von Schmelzer oder dem Foul von Langerak an Lewandowski auf Elfmeter entschieden hätte. Wie sähe sie aus wenn Messi und Neymar statt Robben und Ribéry im direkten Duell gegen Barcelona gefehlt hätten? Der Einzug in ein Champions League-Finale ist nicht einfach planbar und schon gar kein Automatismus. Real Madrid erreichte zwischen 2002 und 2014 trotz aller finanzieller Eskapaden kein einziges Champions League-Finale. Europäische Top-Clubs wie Paris, Manchester City und Juventus Turin waren jahrelang weit davon entfernt. Auch das zeigt wie ungesund eine Erwartungshaltung ist, die wie selbstverständlich vom Triple als Saisonziel ausgeht.

Das Triple ist das was Guardiola in diesen Tagen immer wieder vorgehalten bekommt. Von Journalisten einerseits, aber auch von Teilen der Anhängerschaft, wie viele Kommentare hier im Blog im vergangenen und auch in diesem Jahr zeigten. Bayern habe sich unter Guardiola eher zurückentwickelt. Schließlich seien die zwei Titel im Vorjahr und voraussichtlich nur einer in der laufenden Saison schon rein mathematisch ein Rückschritt zu den drei Titeln unter Heynckes. Natürlich hat diese Erwartungshaltung neben der Triple-Referenz auch viel mit der Person Guardiola zu tun. Beinahe mythisch wurde er schon vor seiner Ankunft beschrieben. Jede Pose, jede Geste wurde zu etwas Besonderem überhöht. Ein Magier, sei Guardiola. Wie sehr diese Haltung anhält zeigt ein Kommentar des allgemein durchaus respektierten Fußballchefs der WELT Lars Wallrodt nach dem 0:3 gegen Barca. „Gegen Barcelona wäre ein mittleres Wunder vonnöten gewesen, um zumindest mit guten Chancen in das Rückspiel gehen zu können. Doch Guardiola ist auch geholt worden, um Wunder zu vollbringen“, so Wallrodt. Es ist der vielleicht absurdeste Satz in der Diskussion um Bayerns Coach in den vergangenen Tagen.

Insgesamt positive Bilanz

Guardiola ist kein Magier. Er ist einfach nur ein sehr guter Fußballtrainer. Wahrscheinlich der beste, der 2013 auf dem Markt war. Er stand vor der Herausforderung mit einer nur punktuell veränderten Mannschaft das Niveau der Triple-Saison zu halten und den FC Bayern in der absoluten Weltspitze zu festigen. Das ist ihm gelungen. Er hat nach zwei Jahren in Bundesliga und Champions League exakt den gleichen Punkteschnitt wie Heynckes (2,3 Punkte pro Partie). Zwei extrem souveräne Meistertitel und zwei Champions League-Halbfinals sind ein weiterer Beleg. Dass es Guardiola nicht gelungen ist seine individuell unterlegene Mannschaft gegen Madrid 2014 und wohl auch Barcelona 2015 ins Finale zu coachen ist ein Fakt mit dem man sich kritisch auseinandersetzen kann. Das Abwinken der Saison nach gewonnener Meisterschaft, die Auswechslungen von Müller, das Festhalten an Xabi Alonso, das zu hohe Risiko im Heimspiel und die mangelnde Konterabsicherung gegen Madrid im Jahr zuvor. All das ist Kritik im Detail, die sich Guardiola gefallen lassen muss. Vom Scheitern einer Mission oder Entzauberung eines Trainer kann dabei nur der sprechen, der vorher die Fallhöhe durch eine Überzeichnung Guardiolas als Wundertrainer und Unbesiegbaren selbst definiert hat.

Für die Verantwortlichen des FC Bayern sollten die beiden Saisons unter Guardiola deshalb eine Lehre sein aktiv die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und der Anhängerschaft mitzudefinieren. Wenn sich Journalisten in diesen Tagen darauf beziehen, dass Guardiola die Erwartungen des Vorstands nicht erfüllt hat, weil nur das Triple für die Verantwortlichen zählt, bleibt das bisher unwidersprochen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass dies wirklich das Saisonziel der sportlichen Führung war, aber die Diskussion wird zur Zeit laufen gelassen. Auf Dauer ist das für den gesamten Verein ungesund. Nicht nur für den jeweiligen Trainer, der eine solche Erwartungshaltung nur schwer erfüllen kann und ständig auf Abruf steht. Die Konsequenz wäre auch, dass der Verein noch brutaler an Gehalts- und Transferschrauben drehen müsste, statt eine Mannschaft von innen heraus wachsen zu lassen und punktuell mit Top-Stars zu verstärken wie es in den vergangenen fünf-sieben Jahren gelang.

Wenn der FC Bayern an einem Punkt ankommt, an dem eine Deutsche Meisterschaft, ein Pokalhalbfinale und ein Champions League-Halbfinale als verlorene Saison definiert wird, verliert er am Ende selbst. Der gern ausgesprochene Satz, wonach die Meisterschaft der ehrlichste Titel der Saison ist, ist alles andere als eine Phrase. Er ist wahr. Drei Meisterschaften in Folge mit so großem Vorsprung sind eine absolute Ausnahme und beileibe keine Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für einen möglichen historischen vierten Titel in Folge im kommenden Jahr. Zumal mit Mönchengladbach, Wolfsburg, Leverkusen und sicherlich wiedererstarkten Dortmundern mehrere Teams lautstark anklopfen werden. Aber dieser Satz muss mit Leben gefüllt werden, wenn er ernst gemeint ist. Niemand erwartet nach einer Meisterschaft am 31. Spieltag Autokolonnen durch München, aber wie leicht sich die sportlich Verantwortlichen die Deutungshoheit über diese Saison aus der Hand nehmen lassen und damit auch die Stimmung im Umfeld negativ beeinflussen, erstaunt dann doch.

Auch wenn es sich im Moment nicht so anfühlt: Die Saison 2014/2015  war besser und erfolgreicher, als ich und wohl auch viele andere es vor der Saison erwartet hätten. Und das völlig unabhängig davon, ob im Rückspiel gegen Barcelona noch eine erneute Wende gelingt oder nicht. Pep Guardiola hat einen großen Anteil daran, dass sich die Mannschaft trotz des Triples, der gewonnen Weltmeisterschaft und unglaublich vielen Verletzungen auf sehr hohem Niveau stabilisiert hat und nebenbei taktisch deutlich variabler geworden ist. Sie hat mit dem Pokalfinale 2014, dem 7:1-Erfolg gegen Rom, dem knappen Weiterkommen gegen Manchester United im Vorjahr und dem FC Porto in der aktuellen Spielzeit auch jenseits der Meisterschaft Glanzpunkte gesetzt. Der ganz, ganz große Moment auf europäischer Ebene blieb mit Ausnahme des Supercups in Prag gegen Chelsea (wieder ein Elfmeterschießen) bisher aus. Die Niederlagen gegen Madrid und im Hinspiel gegen Barca waren dabei höher als notwendig.

Bei nüchterner Betrachtung ist das die gute Bilanz eines guten Trainers mit einer guten Mannschaft. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.