Wie sich Bayerns Transferpolitik verändern könnte

Steffen Trenner 22.07.2015

Wenn in der übernächsten Saison der neue TV-Deal in der Premier League greift und pro Saison 2,3 Milliarden Euro in die Liga schwemmt, wird das den Transfermarkt nachhaltig verändern. Die 70-prozentige Steigerung für die englischen Vereine bedeutet dabei auch, dass der Letzte aus der englischen Top-Liga doppelt so viel TV-Gelder erlösen könnte wie der deutsche Triple-Sieger von 2013. Der FC Bayern bleibt sicher ein starker Player auf dem Markt – das bestätigt auch die bevorstehende Verpflichtung von Arturo Vidal – aber er wird es trotz seiner sportlichen Ausnahmestellung noch schwerer als bisher haben, europäische Top-Spieler nach München zu locken.

Der Markt hat sich verändert

Deutlich wurde das auch schon in diesem Jahr, als es um mögliche Nachfolger für Arjen Robben und Franck Ribéry auf den offensiven Flügelpositionen ging. Top-5/Top-10-Spieler, die sich auf Augenhöhe mit Robben und Ribéry bewegen, sind für den FC Bayern trotz einer sportlichen Ausnahmesituation mit vier Champions League-Halbfinalteilnahmen in Folge so gut wie nicht zu bekommen. Nicht nur wegen der Ablösesummen, sondern vor allem auch wegen der Gehaltskonstellation, die für die Spieler ohnehin das entscheidende Argument sind. England ist hier für viele die attraktivere Option. Auch deshalb griffen die Verantwortlichen mit Douglas Costa zu einer 1b-Lösung mit Entwicklungspotenzial. So wie zuvor schon bei Juan Bernat und mit Abstrichen auch bei Medhi Benatia, Thiago und Javi Martínez. Wenn es stimmt, dass Bastian Schweinsteiger bei Manchester United bis zu 14 Millionen Euro Jahresgehalt kassiert, wird klar, wohin die Reise geht.

Auch in der Bundesliga hat sich die Gemengelage in den vergangenen Jahren verändert. Mit Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und selbst Schalke haben sich Mannschaften in der Spitze etabliert, die wirtschaftlich so stabil und sportlich auf so hohem Niveau sind, dass sie nicht zwangsläufig auf hohe Transfereinnahmen aus München angewiesen sind. Das war vor 10 Jahren noch anders, als Mannschaften wie Werder Bremen oder ein noch etwas anders ausgerichtetes Bayer Leverkusen die größten Konkurrenten der Münchner waren. Auffällig ist, wenn man die Transferströme der Münchner in der Bundesliga analysiert, dass teure Transfers von der direkten Konkurrenz eher die Ausnahme geworden sind. Manuel Neuer, der für 30 Millionen Euro aus Schalke kam und Mario Mandzukic, der eher ein Zufallstreffer war sind hier zu nennen. Ansonsten kamen teure nennenswerte Zugänge aus Hoffenheim (Luiz Gustavo) und Stuttgart (Mario Gomez). Darüber hinaus machten bei Spielern wie Mario Götze oder Dante Ausstiegsklauseln einen Wechsel möglich. Robert Lewandowski kam zuletzt ablösefrei.

Rund um den Wechsel von Arturo Vidal wurde zudem bekannt, dass Bayer Leverkusen seinen Wechsel zum FCB im Jahr 2011 verhindern wollte und dafür offenbar sogar in Kauf nahm, weniger Geld aus Turin zu kassieren, statt den direkten Konkurrenten sportlich zu stärken. Auch das passt ins Bild. Zwischen 2001 und 2004 überwiesen die Münchner fast 40 Millionen Euro für vier Spieler nach Leverkusen. Seit 2004 kam kein einziger Euro hinzu. Auch der VfL Wolfsburg ist heute in einer Situation, in der ein Verkauf von Kevin de Bruyne nach München wirtschaftlich nicht notwendig und sportlich nicht sinnvoll wäre. Wenn de Bruyne wechseln will, können die Wolfsburger am Markt zudem ähnliche Summen oder im Falle der Premier League Preise weit über Marktwert aufrufen. Für den FC Bayern wird es so zwangsläufig schwerer.

Gleichzeitig sind viele Vereine schlauer geworden. Ausstiegsklauseln gehören in Dortmund der Vergangenheit an. Vereine wie Bayer Leverkusen schaffen es zudem junge Spieler wie Julian Brandt (Vertrag bis 2019) frühzeitig und langfristig an den Verein zu binden. Selbst bei einem unfertigen Spieler wie Brandt stellt sich so die Frage, ob er für den nationalen Branchenprimus derzeit überhaupt zu bekommen ist. Warum sollte Leverkusen einen solchen Spieler ausgerechnet nach München verkaufen und damit die direkte Konkurrenz stärken? Natürlich gibt es immer einen Betrag, bei dem der wirtschaftliche Nutzen überwiegt, aber die Schmerzgrenze hat sich bei Clubs wie Wolfsburg, Leverkusen, Schalke, aber zukünftig auch Leipzig deutlich verschoben. Das alte Mantra: „Wen der FC Bayern will, den kriegt er auch“, scheint selbst in der Bundesliga nicht mehr uneingeschränkt gelten. So kommen zwei Tendenzen zusammen. Der gestiegene Anspruch der Münchner an das eigene Personal, das inzwischen auch europäischem Top-Niveau genügen muss und auf der anderen Seite eine national und vor allem international deutlich kompliziertere Situation am Markt.

Modell Kimmich hat Zukunft

Zwangsläufig steigt so der Bedarf, Spieler in der eigenen Jugend auszubilden und an den Profikader heran zu führen. Das war das Erfolgsgeheimnis der 2013er-Mannschaft, die mit Schweinsteiger, Lahm, Alaba, Müller und Kroos zahlreiche selbst aus- und weitergebildete Spieler in ihren Reihen hatte. Gleichzeitig wird aber auch das Modell Kimmich an Bedeutung gewinnen.

Es macht auf Grund der veränderten Marktsituation Sinn, dass der FC Bayern verstärkt darauf setzen könnte, hochveranlagte Spieler im Alterssegment von 17 bis 20 Jahren frühzeitig an den eigenen Verein zu binden und damit auch ein Stück weit auf ihre Entwicklung zu spekulieren. Entweder indem sie früh an die Mannschaft heran geführt werden oder bei anderen Vereinen Spielpraxis sammeln. Dass die Münchner dabei vor Ausleihgeschäften nicht zurückschrecken, zeigt die eigene Vergangenheit, aber auch das Vorgehen des heutigen technischen Direktors des FC Bayern Michael Reschke in Leverkusen, der als dortiger Kadermanager erfolgreich mit einer solchen Strategie verfuhr. Karim Bellarabi, Christoph Kramer und Levin Öztunali sind die jüngsten Beispiele einer langen Geschichte mit Leihgeschäften.

Der FC Bayern wird hier den richtigen Mittelweg finden müssen. Keinesfalls wird der Verein zu einer Talent-Drehscheibe wie der FC Chelsea verkommen wollen, der diese Form des Asset-Managements mit jungen Spielern in den vergangenen Jahren auf die Spitze trieb. Gleichwohl werden die Münchner nicht länger zuschauen, wie die deutschen Jugendnationalmannschaften bis hin zur U21 von der direkten Konkurrenz dominiert werden. Was nicht heißt, dass es nur um deutsche Talente gehen wird. Das lautstarke Werben um Supertalent Martin Odegaard vor einem Jahr ist in diesem Kontext zu sehen. Gleiches gilt für das kolportierte Interesse an Kingsley Coman von Juventus Turin.

Dass das Risiko dabei nicht besonders groß ist, zeigt schon jetzt das Beispiel Kimmich. Die knapp 8 Millionen Euro lagen zum Zeitpunkt des Transfers über Marktwert. Aber selbst wenn Kimmichs Entwicklung unter den Erwartungen bleibt und er sich in München nicht durchsetzt, dürfte der finanzielle Verlust zu verschmerzen sein. Hier zeigt sich dann doch wieder die finanzielle Stärke der Münchner, die Transfers und selbst mögliche Verluste in dieser Größenordnung locker stemmen könnten. Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass Kimmichs Marktwert steigt – selbst wenn er in drei oder vier Jahren nicht in der Lage ist eine zentrale Rolle beim FC Bayern zu übernehmen.

Realistische Perspektive auf Spielzeit

Sollten die Münchner diesen beschriebenen Strategiewechsel vollziehen, steigt der Bedarf das Kadermanagement zu professionalisieren. Dass in der Vergangenheit talentierte Spieler wie Emre Can oder zuletzt Mitchell Weiser beim FC Bayern auf ihren Positionen keinerlei Perspektive sahen, ist bedauerlich. Mit Pierre-Emile Hojbjerg steht aktuell der nächste junge Spieler vor einer etwas unklaren Zukunft. Wenn der FC Bayern sich stärker um junge Talente bemühen will, um sie selbst aus- und weiterzubilden, braucht es einen Plan für ihre Entwicklung. Dass Leihgeschäfte dabei kein Allheilmittel sind, zeigt die Situation von Julian Green. Auch hier geht es darum Abnehmer zu finden, die dem jeweiligen Spieler den nächsten Entwicklungsschritt ermöglichen. Es wäre in jedem Fall ein aufwändigerer Weg als in der Vergangenheit, die mit einer Mischung aus Eigengewächsen und hinzuaddierten fertigen Spielern relativ klar strukturiert war.

Ohnehin sind auch junge Spieler durch professionelle Beratung klüger geworden und entscheiden sich häufiger für einen sinnvollen Karriereaufbau mit einer realistischen Perspektive auf Spielzeit bei Vereinen wie Hoffenheim, Mönchengladbach oder eben Schalke, Leverkusen, Wolfsburg oder Dortmund. Gerade Dortmund hat in den vergangenen zwei Jahren beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit eine Reihe von jungen Top-Talenten wie Jacob Bruun Larsen oder Christian Pulisic verpflichtet. Die Konkurrenz schläft nicht. Im Gegenteil.

Es wird zu beobachten sein, wie die sportlich Verantwortlichen der Münchner die veränderte Marktsituation annehmen und lösen werden. Es spricht jedenfalls viel dafür, dass Kimmich der Vorbote für mehrere Transfers dieser Art sein wird. Klar ist, dass dieser Weg konzeptionell mehr erfordert, als das viel zitierte Festgeldkonto.