Tor des Jahres: Thomas Müllers 2:0 im Pokalfinale

Felix Trenner 30.12.2014

Thomas Müllers Tor des Jahres

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Thomas Müllers Schienbeinschoner hingen nur noch lose an seinen Beinen. Nach der letzten Krampfbehandlung hatte er die Stutzen nicht mehr darüber gezogen, vermutlich hätte das Bücken zu viel Kraft gekostet. Seit Ende der regulären Spielzeit war das Pokalfinale 2014 endgültig zum Kampf zweier wankender Boxer geworden und nach dem Führungstreffer durch Arjen Robben hatten fast nur noch die Dortmunder den Ball. Für Müller, Robben und den eingewechselten Pizarro hieß das: Anlaufen, wenden, mit zurück laufen. Kraftraubende Abwehrarbeit an der Mittellinie. In der zweiten Minute der Nachspielzeit eroberte Rafinha an der linken Außenlinie den Ball. Normalerweise ist die Marschroute in solch einer Situation klar. Ball möglichst lange halten und im Optimalfall Richtung Eckfahne ziehen. Rafinha passte auf Höhe der Mittellinie zu Arjen Robben, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und in die Mitte zu Claudio Pizarro abgab. Die Dortmunder Abwehrreihe war weit aufgerückt – eine perfekte Kontersituation, bloß: Keiner konnte mehr in den freien Raum laufen. Keiner? Weit gefehlt. Thomas Müller sah die Gelegenheit und sprintete los – Marcel Schmelzer versuchte ihn noch zu erreichen, konnte gegen den perfekten Laufweg allerdings nichts ausrichten, ohne einen Elfmeter zu produzieren. Und anstatt einfach abzuschließen, machte Müller das, womit keiner gerechnet hatte, vor allem nicht Roman Weidenfeller: Er legte den Ball am Torwart vorbei und schob mit letzter Kraft ein.

Im Jahr 2014 erzielte der FCB sicherlich jede Menge schöner Tore. Thiagos Seitfallzieher in der 92. Minute beim 2:1-Sieg gegen den VFB Stuttgart war ein Highlight zu Jahresbeginn, dem der Kreuzeck-Treffer von Toni Kroos gegen den FC Arsenal folgte. Bastian Schweinsteiger traf insgesamt zweimal wunderschön per direktem Freistoß, gegen den 1. FC Nürnberg in der vergangenen und gegen Mainz 05 in der aktuellen Saison. Während Schweinsteiger zirkelte, schob Xabi Alonso seine ruhenden Bälle unter der Mauer durch (gegen Werder Bremen), bzw. ins Torwarteck gegen Manchester City. Emotionaler Höhepunkt war sicherlich auch der brachiale Vollspannschuss von Jerome Boateng im ersten Gruppenspiel der diesjährigen CL-Saison. Für einen der wenigen Treffer aus der Distanz sorgte Mario Götze im November. Neben diesen herausragenden Einzelleistungen entstand eine Vielzahl von wunderbar herausgespielten Treffern, die wir natürlich nicht alle berücksichtigen konnten.

Mehr als nur ein Tor

Warum wir den Miasanrot-Award für das „Tor des Jahres“ dennoch an Thomas Müller und seinen Treffer im Pokalfinale vergeben? Weil kaum ein anderes Tor das, was die Mannschaft des FC Bayern unter Pep Guardiola so stark macht, besser widerspiegelt. Der entscheidende Faktor ist in vielen Spielen der unbändige Willen, das letzte aus sich herauszuholen, um zu gewinnen. Diese Bereitschaft, sich komplett aufzuopfern, in Verbindung mit einem einzigartigen Spielkonzept und einer Menge individueller Klasse – man könnte von Guardiolas Erfolgsformel sprechen. In dieser speziellen Situation im Pokalfinale, in dem sich Philipp Lahm früh verletzte, Hummels‘ Tor aberkannt wurde und schließlich ausgerechnet Robben das 1:0 erzielte, wäre es nur zu verständlich gewesen, knapp zwei Minuten vor Schluss den Ball zu sichern und zu versuchen, die gegnerische Eckfahne zu erreichen. Dass der abgekämpfte Müller sich allerdings noch aufmacht das 2:0 zu erzielen spiegelt eine Mentalität wider, die es in München lange nicht gegeben hat. Die „Duselbayern“ hätten das Spiel über die Zeit gerettet, die heutigen Bayern akzeptieren sogar, wie Manuel Neuer, das Risiko, die WM zu verpassen, um weiterspielen zu können.

Beinahe jeder Spieler im Kader hat diese Mentalität, jedoch hat es schon einen Grund, dass Thomas Müller diese Auszeichnung erhält. Speziell Müller schafft es, Siegermentalität, Witz und seine bayrische Identität zu einem Gesamtbild zusammenzubringen, dass auf den FC Bayern zugeschnitten ist. Während jedoch andere „innige“ Spieler-Vereins-Beziehungen oft aufgrund schlechter spielerischer Leistungen enden, ist bei Müller das Gegenteil der Fall. 20 Tore erzielte der Pähler wettbewerbsübergreifend im Jahr 2014 – eine starke Quote. Und vielleicht gab die Energieleistung im Pokalfinale den Verantwortlichen den entscheidenden Push, den Vertrag mit Müller um jeden Preis zu verlängern. Für uns war diese Kombination aus Konter, Sprint und überragendem Abschluss das Tor des Jahres.