Summer Tour 2015 FC Bayern München Guangzhou Evergrande

Testspiel: Guangzhou Evergrande – FC Bayern München 5:4 n.E. (0:0)

Jolle Trenner 23.07.2015

War Guangzhou Evergrande 2013 noch eine große Unbekannte, die im Halbfinale der Klub-WM in Agadir doch klar mit 0:3 besiegt werden konnte, traf man sich nun zum Abschluss der Asienreise zu einem Freundschaftsspiel und letzten Test in Fernost. Zuvor konnte sowohl gegen Valencia als auch gegen Inter Mailand gewonnen werden.

Trainiert wird Evergrande mittlerweile von Luiz Felipe Scolari, der noch während der Heim-WM Brasiliens im letzten Jahr an der Seitenlinie der Seleção stand. Damals verzichtete er auf die Offensivkraft Robinho, den er nun in China betreut und der seinerseits mittlerweile in die brasilianische Nationalmannschaft zurückgekehrt ist.

Guardiola schickte eine ausgewogene Mischung aus Stammkräften und Nachrückern in die erste Halbzeit und wechselte erst im Anschluss an diese dafür ums so gründlicher durch. Manuel Neuer hütete das Tor, David Alaba, Jérôme Boateng und Rafinha bildeten die letzte Verteidigungslinie, in die sich auch Juan Bernat, der linke Außenverteidiger, in der Rückwärtsbewegung eingliederte. Zunächst war Medhi Benatia statt Alaba angekündigt gewesen, doch setzte der nach einem Zwicken in der Muskulatur vorsichtshalber aus. Im zentralen Mittelfeld bekleidete Joshua Kimmich meist die Sechserposition, während Pierre-Emile Højbjerg links und Sebastian Rode rechts die Halbräume als Achter bearbeiteten. Sinan Kurt spielte meist auf dem linken, Mario Götze auf dem rechten Flügel und Robert Lewandowski in der Angriffszentrale.

Bayern mit flexiblem Positionsspiel

Wie gewohnt zeigten die Bayern ein äußerst flexibles Positionsspiel, das weniger von klaren Zuständigkeitsgebieten geprägt war als von flüssigen Ausgleichsbewegungen der Mitspieler. Bernat zeigte sich beispielsweise weniger vertikal an der Linie agierend, als es Rafinha auf der rechten Seite tat, sondern kippte regelmäßig in den linken Halbraum, um den Spielaufbau aus dem Sechserraum mit anzukurbeln. Das hielt ihn nicht davon ab, im Zusammenspiel auf dem Flügel Kurt zu hinterlaufen oder Dribblings in den Strafraum zu unternehmen. Højbjerg stach als klassischer Box-to-Box-Player hervor, der häufig bis auf eine Höhe mit Lewandowski aufrückte und Zielspieler erstaunlich vieler Flanken war, gleichzeitig aber auch immer wieder auf die Sechs zurückfiel. Nach hinten hatte sein Pendant Rode einen etwas kleineren Radius, aber nach vorne stieß auch er immer wieder konsequent in den Strafraum nach sowie auf den Flügel vor und kam darüber hinaus zu einigen Möglichkeiten aus der Distanz.

Die Offensivreihe der Bayern vermied es, sich gegen tief stehende Chinesen frühzeitig im Angriff zu positionieren. Eher ließ man das Offensivdrittel solange verwaist, bis man mit Dynamik kollektiv in die Defensivformation des Gegners vorstoßen konnte. So ergaben sich häufig 3-2-5-0- oder 3-4-4-0-Formationen, um Evergrandes Verteidigung rauszulocken. Vor allem Lewandowski wählte wiederholt das Mittel des Tempowechsels und sprintete, nachdem er sich gemächlich weit ins Mittelfeld hatte zurückfallen lassen, dynamisch und aggressiv nach vorne.

Guangzhou überließ dem FC Bayern Räume und Ball, kam aber vor allem in der ersten Hälfte der ersten Halbzeit selbst zu einigen hervorragenden Tormöglichkeiten durch schnelles Umschalten im Konterspiel. Bayern ging hier zuweilen ein hohes Risiko und nahm Eins-gegen-Eins-Duelle des jeweils letzten Mannes in Kauf, was auch hätte schief gehen können. Defensiv setzte Evergrande auf einen interessanten Mix aus Raumdeckung mit konsequenten Mannorientierungen. Bayerns Achter wurden nicht selten auch von den Innenverteidigern bis tief in die Spielfeldmitte verfolgt und so aufreißende Lücken von den Mitspielern im Kollektiv zugelaufen.

Wenig Arbeit für die Defensive

Bayern, das defensiv meist im 4-1-4-1 agierte, wenn es nicht im 4-3-3 presste (viele Gelegenheiten zum Üben der Defensivmechanismen hatte die Guardiola-Elf nicht), spielte sich dennoch vor allem in der ersten Halbzeit und in der Schlussphase des Spiels zahlreiche hochkarätige Torchancen heraus. Teilweise zogen die Münchner minutenlang ein Powerplay rund um und durch den gegnerischen Strafraum auf, brachten auch einige vielversprechende Anspiele zum Mitspieler, den Ball aber nicht im Kasten des chinesischen Nationaltorhüters Zeng Cheng unter, der sich besonders auszeichnen konnte.

In der zweiten Halbzeit wurde in beiden Teams großzügig durchgemischt. Zum Wiederanpfiff kamen Ivan Lučić für Neuer, Douglas Costa für Højbjerg, Philipp Lahm für Kurt, Thiago für Rode und Phillipp Steinhart für Bernat. Zehn Minuten später ersetzte Thomas Müller Götze und Xabi Alonso Kimmich. Eine gute Viertelstunde vor Schluss wurden Felix Pohl für Alaba und Gianluca Gaudino für Lewandowski eingesetzt. Auch Evergrande wechselte und ließ nun eine etwas klarere Formation erkennen. Mit dem Ball spielten sie im 4-2-3-1, gegen den Ball im 4-1-4-1, wieder mit massiven Mannorientierungen.

Ein paar Einzelaspekte:

  • Eine Eindeutige Bezifferung der Bayern-Formation fällt auch deshalb so schwer bzw. wäre absurd, weil die Rochaden im Positionsspiel diesmal besonders vertikal so flexibel waren. Häufig bildeten bis zu sieben Spieler eine Zickzacklinie des Angriffs, in der die vorderen mit den hinteren Spielern immer wieder die Positionen tauschten. Wäre dies nicht im zweiten, sondern im Angriffsdrittel geschehen, hätten die Bayern womöglich noch mehr Gefahr ausstrahlen können.
  • Dass Kimmich bereits viel Verantwortung in der Schaltzentrale im Herrenfußball übernommen hat — schließlich hat er viele wertvolle Zweitligaminuten auf der Sechs in den Beinen — sieht man besonders in seiner körperbetonten Zweikampfführung. Nicht nur sein Pass- und Positionsspiel ist ordentlich, auch sein Timing stimmt. Hierbei zieht er es vor, tatsächlich in den Zweikampf mit Tuchfühlung zu kommen, wobei er seinen Körper meist geschickt und erfolgreich gegen seine Gegner einzusetzen weiß. Zu diesen Situationen sollte es im Guardiola-Fußball zwar eigentlich gar nicht erst kommen, dass die Bayern robuste Zweikämpfer in ihren Reihen gut gebrauchen können, steht aber außer Frage. Hierbei ist Kimmich erstaunlich weit in seiner Entwicklung.
  • Kurt zeigte eine gute Mischung aus Laufwegen hinter die Abwehr und anschließender Flanke sowie Diagonaldribblings in den Strafraum. Selbiges lässt sich eigentlich auch über Mario Götze sagen — beide erspielten so einige Chancen und holten Eckbälle heraus. Allerdings sollte man von Götze mehr erwarten können als von Kurt. Während Costa im Vergleich wesentlich mehr Tempo und Zielstrebigkeit in seinen Aktionen aufblitzen lässt, ohne dafür auf ein paar Kabinettstückchen am Ball zu verzichten, musste man die Übersteiger Götzes eher als brotlose Kunst bewerten, die allein den Nutzen hatten, Zeit auf dem Flügel in Ballbesitz zu gewinnen, so dass der Rest der Offensive nachstoßen konnte. Den Gegner im Eins-gegen-Eins zu schlagen, schien meist nicht Ziel des Unterfangens zu sein.
  • Auch Thiago bearbeitete den linken Halbraum gewohnt passsicher und kreativ, auch spielte er sich immer wieder bis in den Strafraum vor, brandheiße Gefahr konnte er allerdings ebenfalls nicht ausstrahlen. Ähnlich verhielt es sich mit Lahm, der allerdings erneut durch die Qualität bestach, immer die für den Gegner unangenehmeren Räume zu attackieren und seine Kollegen so gut freizuspielen.
  • Lučić zeigte anfangs große Nervosität und machte bereits nach 30 Sekunden klar, dass man ihn nicht so ins Spiel mit einbauen kann, wie Manuel Neuer. Das Team und vor allem Boateng baute ihn aber aktiv in die Passstafetten ein, so dass er sich integrieren und an Sicherheit gewinnen konnte. Vielleicht gab das ja den Ausschlag für die eine Szene, in der er einen Konter des Gastgebers im Eins-gegen-Eins gerade noch mit dem Hauch einer Berührung entschärfen konnte.
  • Mit der Hereinnahme von Pohl für Alaba übernahm Rafinha eine zentrale Verteidigungsposition. Pohl sicherte hinten rechts ab, zeigte aber auch gute Diagonalläufe sowie vertikale Vorstöße ins Angriffsdrittel. Steinhart übernahm die Aufgaben von Bernat weniger offensiv, so dass sich in der Summe eher eine Viererkette in der Verteidigung der Bayern ergab.
  • Alonso nahm nach seiner Einwechslung seine angestammte Position als alleiniger Sechser ein. Der weiträumigere Ballverteiler war jedoch Gaudino auf der Acht.
  • Ausgerechnet Müller verschoss den einzigen Elfmeter, was zur Niederlage führte. Das war insofern des Schicksals Ironie, als dass er von der Sekunde seiner Hereinnahme zusammen mit Costa für die ganz gefährlichen Situationen sorgte. Wie hochklassig und schnell er auch unangenehme Bälle vor dem Tor annehmen und aufs Tor bringen kann, zeigte er erneut nach einem grandiosen Zusammenspiel mit Lahm — eine Kombination, die auf dieser Reise schon mehrfach zum Erfolg geführt hatte. Die Gelegenheiten, zum Matchwinner zu avancieren, ließ er mit etwas Pech verstreichen.

So verlieren die Bayern das Finale des kleinen Werbecups aufgrund mangelnder Chancenverwertung und fehlender letzter Konsequenz, was aber bei Weitem kein Beinbruch ist. Das Positionsspiel sieht gut aus. Die Neuen und Jungen wurden gut integriert und das Trainerteam kann die gewonnenen Erkenntnisse nutzen, die vorhandenen Skillsets zu erweitern und in das für dieses Team ideale System zu gießen. Nachdem der Wechsel von Vidal nun so gut wie fix ist, werden sich die nächsten Erkenntnisse schon im Supercup gegen den VfL Wolfsburg am 1.8. ergeben.

GUANGZHOU EVERGRANDE – FC BAYERN 5:4 n.E. (0:0)
Guangzhou Evergrande Zeng Cheng – Mei Fang, Feng Xiaoting, Zheng Zhi, Ricardo Goulart Pereira, Liu Jian, Zou Zheng, Zheng Long, Gao Lin, Jose Paulo Bezerra Maciel Junior, Robinho
Bank Zhang Jiaqi, Wang Shangyuan, Fang Jingqi, Dong Xuesheng, Yu Hanchao, Zhao Xuri, Li Shuai, Liang Xueming, Kim Young Gwon, Hu Ruibao, Wang Junhui
FC Bayern Neuer (46. Lučić) – Alaba (73. Pohl), Boateng, Rafinha – Bernat (46. Steinhart), Kimmich (57. Alonso), Højbjerg (46. Costa), Rode (46. Thiago) – Kurt (46. Lahm), Götze (57. Müller), Lewandowski (73. Gaudino)
Bank Starke, Ulreich, Green, Benko
Elfmeterschießen Müller verschießt, Paulinho 1:0, Alonso 1:1, Kim Young Gwon 2:1, Boateng 2:2, Yu Hanchao 3:2, Costa 3:3, Zhao Yuri 4:3, Thiago 4:4, Feng Xiaoting 5:4