Statistik-Analyse – Badstuber und die Pässe

Tobi Trenner 02.07.2015

Über Holger Badstuber wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben, wobei es sich hierbei nahezu ausschließlich um Artikel zu seiner Gesundheit handelte – von Fitnesssorgen über Loblieder auf die mentale Stärke bis zu medizinischen Erklärungsversuchen war alles dabei. Auch wenn man gestehen muss, dass dies leider eine verständliche Entwicklung war, so drohte die spielerische Qualität von Badstuber trotz regelmäßiger Lobeshymnen Guardiolas mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten.

Von 0 auf 100

Schaut man zurück auf den Karriereverlauf, so kann die zweifelsohne ausgeprägte mentale Stärke schon zu Beginn seiner professionellen Laufbahn erkannt werden. Die Saisonvorbereitung im Sommer 2009 begann Badstuber ohne jegliche Bundesligaerfahrung, in der folgenden Bundesligasaison spielte er in 33 von 34 Partien für den Meister. Auch wenn er hierbei sicherlich vom Trainer Louis van Gaal profitierte, dem es an linksfüßigen Verteidigern moderner Prägung mangelte, so ist diese Belastungs- und Erwartungsexplosion für einen 21-Jährigen so selten wie sie extrem ist. Wer ohne Erfahrung in das Haifischbecken des FCB geworfen wird und im Debütjahr in 2.924 von 3.060 Bundesligaminuten auf dem Platz steht (und ganz nebenbei noch von Gruppenphase bis Finale keine Minute in der Champions League verpasst, wenn man von der Gelbsperre im Halbfinale absieht), der benötigt, frei nach Oliver Kahn, Eier.

Darüber hinaus gab es auch keine positionstechnische Sicherheit für Badstuber. Mehrfach in der Saison pendelte er zwischen Innen- und Außenverteidigung, wie man es auf diesem Niveau eher von Routiniers erwarten würde. Dies war auch der Hauptgrund für das erste Schockerlebnis seiner Profikarriere, denn als Linksverteidiger wurde der Memminger bei der WM 2010 geradezu verbrannt und musste völlig übertrieben zum Sündenbock der Nation herhalten, weil er isoliert mit dem trickreichen Milos Krasic große Probleme hatte. Dieser Schuss ging für Jogi Löw nur nicht nach hinten los, da mit Jerome Boateng eine ebenso anpassungsfähige Alternative bereitstand.

Der Ruf des Holger Badstuber war in Fußballdeutschland damit erstmal dahin. Zu langsam, zu behäbig – wie man es vom Stammtisch gewohnt ist, wurde ein ballsicherer Innenverteidiger dafür kritisiert, dass er kein athletischer Außenverteidiger ist. Selbst nach vermehrten Einsätzen im Zentrum blieb er national ein Verdächtiger, obwohl im damaligen Nationalmannschaftssystem praktisch kein Verteidiger gut aussah. Auf der anderen Seite wurde gerne ignoriert, dass Badstuber sich nie zum Stammspieler in der Bayernverteidigung entwickeln musste, weil er dies von Anfang an war und auch blieb. Bis zum bekannten Zusammenprall im Dezember 2012…

Die Rückkehr zur Spitze

Nun, fast drei Jahre später, ist ein großes Fragezeichen weiterhin vorhanden. Was hält der Körper von Holger Badstuber noch aus? Ob zwischen den Verletzungen ein Zusammenhang besteht, kann und möchte ich nicht einschätzen, dazu gibt es geeignetere Stimmen als meine. Mit Sicherheit sagen lässt sich nur, dass es nicht an der Einstellung des Spielers liegen wird, denn die ist makellos.

Jedoch gab es über lange Zeit ein zweites großes Fragezeichen. Inwieweit kann man nach einer solchen Verletzung noch sein altes Niveau erreichen? Hier gibt es eine sehr gute Nachricht, denn dieses Fragezeichen besteht inzwischen nicht mehr. Badstuber hat in der vergangenen Saison beeindruckend bewiesen, dass er sein altes Leistungsniveau weiter abrufen kann. Im Gegenteil, es schien fast so, als würden ihn nur Automatismen von einem weiteren Sprung nach vorne hindern.

Eine der größten Stärken von Holger Badstuber ist wohl das Aufbauspiel, weshalb er auch so gut in das Münchner System passt. Zwar besitzt er nicht das aggressive Zweikampfverhalten von Medhi Benatia oder die Fähigkeit eines Jerome Boateng, fast im Stile eines Quarterbacks mit einem Pass das gesamte gegnerische Mittelfeld zu überbrücken, aber im verlässlichen Verteilen von Bällen auch in Drucksituationen ist er ganz oben dabei.

Statistische Analyse

Ganz simpel könnte man dies damit beweisen, dass Badstuber letzte Saison mit 93,3% die höchste Passgenauigkeit der gesamten Bundesliga aufweisen konnte. Diese Argumentation wäre aber etwas dürftig, da verschiedene Spielsysteme andere Risiken beinhalten und vollkommen unterschiedliche Passquantitäten zu inflationären Tendenzen führen dürften.

Im Zuge dieser Analyse habe ich mir sämtliche Innenverteidiger der Bundesliga (laut Whoscored) angeschaut, die in der letzten Saison mehr als 8 Einsätze aufweisen konnten. Um extreme Wertabweichungen durch Kurzeinsätze zu vermeiden, benutzte ich wie üblich die Statistiken pro 90 Minuten. Zur weiteren Bereinigung wurden die Zahlen in Kurz- und Langpässe unterteilt.

Beginnen wir mit den Kurzpässen, die bei Bayern besonders ausgeprägt sind. Tatsächlich sind 89,5% der von Innenverteidigern gespielten Pässe beim FCB Kurzpässe, einen ähnlichen Wert kann nur die hoch angesehene Gladbacher Elf von Lucien Favre aufweisen (88,9%). Im Vergleich hierzu: der Ligadurchschnitt liegt bei 81,1%.

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Wenn man diese Zahlen nun von Spieler zu Spieler betrachtet, so verwundert es natürlich nicht, dass die Könige der Kurzpässe zumeist bei Bayern und Gladbach spielen. Dies gilt übrigens nicht nur für die Quantität der Pässe, sondern auch für die Passgenauigkeit, da zumindest ein gewisser Zusammenhang zwischen den beiden Werten zu erkennen ist (R²-Wert: 0,3434), was auch nicht überraschen sollte.

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Obwohl man schon eine gewisse teaminterne Tendenz sieht, die für Badstuber spricht, so kann man natürlich anführen, dass er ja auch vom System profitieren kann und im nationalen Vergleich nichts Besonderes ist. Deshalb habe ich nun die Durchschnittswerte innerhalb jeder Mannschaft gebildet und die Differenz der Spielerwerte zum Teamdurchschnitt in einer ähnlichen Grafik visualisiert.

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Hier fällt auf, dass Badstuber einer der besseren Werte der Liga aufweist, jedoch nicht ganz oben steht. Dies lässt sich jedoch recht leicht erklären. Statistische Abnormalitäten wie Alejandro Galvez und Rafa, übrigens beide Spanier, profitieren vom Gebolze der Kollegen, denn ein anständiges Kurzpassspiel fällt bei Bremen und Paderborn, die bevorzugt auf lange Bälle der Innenverteidiger setzen, ganz besonders auf. Wer eine sinnvolle Erklärung für die teamintern hohen Werte von Bamba Anderson hat, möge sich bitte melden.

Zudem müssen diese teaminternen Daten insofern relativiert werden, als dass die Qualitätsdichte bei Bayern natürlich wesentlich höher ist als bei anderen Vereinen. Es ist schlicht schwer, sich von anderen Weltklassespielern besonders abzuheben.

Nun könnte man anführen, dass das noch keine ausgezeichneten Pass- und Aufbaufähigkeiten des Holger Badstuber beweist. Vielleicht spielt er ja nur Sicherheitspässe über ein paar Meter? Eine verständliche Theorie, die jedoch völlig zerstört wird, wenn man sich die Daten bei langen Bällen anschaut.

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Auch hier sind vor allem Bayern und Gladbacher im grünen Bereich. Tatsächlich hat sich hierbei herausgestellt, dass eine geringere Quantität die Genauigkeit steigert. Wer weniger lange Bälle spielt, der spielt zumeist auch weniger sinnlose Bälle nach vorne, sondern konzentriert sich auf sichere Pässe in freie Räume oder Seitenverlagerungen.

Der Abstand Badstubers zum Rest der Liga ist unglaublich. Eine Passgenauigkeit bei langen Bällen von 71,6% ist definitiv Weltklasse, der Bundesligaschnitt liegt bei mageren 48,2%. Auffällig ist hier übrigens auch, wie selten Medhi Benatia lange Bälle spielt, was seine extrem geschützte Rolle im Aufbauspiel der Bayern demonstriert. Man darf gespannt sein, ob das Vertrauen in seine Passkünste nach einer gemeinsamen Saisonvorbereitung steigt.

Schaut man sich die Zahlen wieder im teaminternen Vergleich an, so wird die Qualität Badstubers erneut deutlich.

long_ball_rel

Die langen Bälle von Badstuber sind 11% genauer als die seiner Kollegen, ein beim Münchner Passvolumen bedeutender Unterschied.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Passzahlen die Pass- und Aufbauqualitäten des Holger Badstuber absolut bestätigen. Sowohl absolut als auch relativ gesehen war er vergangene Saison, nach der quälend langen Verletzungspause, stets im oberen Bereich der Liga.

So hat Badstuber mit 95,6% Kurzpassgenauigkeit den besten Wert der Liga und lag trotz der starken Mitspieler auch teamrelativ in den Top 10 (+2,1%). Noch beeindruckender sind die Zahlen bei langen Bällen, auch hier führte Badstuber die Liga mit einer Genauigkeit von 71,6% an (Platz 2: 64,3%) und lag teamrelativ mit +11% auf Rang 4 in der Liga. Holger Badstuber ist weiterhin einer der, wahrscheinlich sogar der sicherste Aufbau-Innenverteidiger der Bundesliga.