Miasanrot Roundtable: Fünf Fragen zum Rückspiel gegen Real Madrid

Justin Trenner 17.04.2017

Teil der Runde sind Felix, Chris, Tobi und Steffen. Sie diskutieren das Problem in der Innenverteidigung und analysieren die größten Faktoren für ein Weiterkommen gegen die Königlichen.

Der FC Bayern hat in der Innenverteidigung riesige Probleme. Martínez ist gesperrt, Boateng und Hummels sind äußerst fraglich. Wer sollte spielen, falls die beiden ausfallen und wie kann man den Nachteil gegen Real kompensieren?

Tobi: David Alaba darf man in dieser Konstellation wohl als gesetzt sehen. Für die zweite Innenverteidigerposition würde es so auf einen Zweikampf zwischen Xabi Alonso und Joshua Kimmich hinauslaufen. Persönlich würde ich aufgrund der Mobilitätsvorteile zu Kimmich tendieren, aber eine Entscheidung pro Alonso wäre keinesfalls überraschend.

Neben der individuellen Zweikampfstärke, die verloren geht, ist der größte Nachteil wohl die Unterlegenheit in der Luft. Gegen Ronaldo, Benzema und Ramos besteht dort immer ein Risiko, welches ohne gelernte Innenverteidiger noch multipliziert wird. Letztendlich kann diese Gefahr nur durch zwei Dinge verringert werden: eine gute Strafraumbesetzung in der Defensive und das Vermeiden von unnötigen Fouls im eigenen Spieldrittel. Wenn diese zwei Faktoren so suboptimal umgesetzt werden wie im Hinspiel, dann sind Gegentore garantiert.

Chris: Ich stimme Tobi in fast allen Punkten zu, wobei ich denke, dass das Duo Kimmich und Alaba spielen wird, sollten Boateng und Hummels nicht zur Verfügung stehen. Sie haben zumindest schon ein paar Mal in dieser Rolle agiert. Alonso dürfte zu langsam sein, um in der letzten Reihe zu agieren. Hier machen die “schnelleren” Alaba und Kimmich schon mehr Sinn.

Ich sehe diese Konstellation im übrigen nicht als kompletten Nachteil. Boateng war/ist nach seiner Verletzung noch nicht eingespielt. Dies zeigte sich in vielen kleinen Fehlern sowohl beim Spiel gegen den BVB als auch beim Hinspiel. Einen Vorteil dürfte der Spielaufbau erleben. Hier hatte Martínez 0% langer Bälle am Mittwoch angebracht. Boateng auch nur jeden zweiten Versuch. Auf der Nachteil-Seite steht natürlich das Problem des Kopfballspiels. Hier muss der FC Bayern hoffen, dass zumindest Lewandowski fit wird. Ansonsten wird jede Real Standardsituation extrem gefährlich.

Felix: Ganz unabhängig davon, dass ich immer noch darauf hoffe bzw. damit rechne, dass Boateng oder Hummels spielen wird, sehe ich die Innenverteidigerpaarung Kimmich/Alaba nicht als Hauptproblematik. Die Lösung für das Gegentor-nach-Flanke-Problem liegt meines Erachtens ohnehin nicht in der Zentrale, sondern auf den Außen. Solange Flanken verhindert werden können, haben wir gute Chancen. Letzte Saison gegen Juventus Turin hatten wir ähnliche Sorgen – und haben gegen Chiellini, Bonucci, Mandzukic und Co. auch überlebt.

Steffen: Es wird niemals passieren, aber ich würde wenn alle ausfallen am liebsten Vidal dort hinstellen. Er ist der beste Zweikämpfer aller Kandidaten, ist allein durch seine Wucht gut im Kopfballspiel und würde sich in so eine Aufgabe reinfressen. Wenn die Wahl zwischen Kimmich und Alonso ausfällt bin ich ganz klar für Kimmich. Alle Varianten ohne Boateng und Hummels machen mir Bauchschmerzen, aber Kimmich und Vidal sind agiler und auch schneller als Alonso. Wichtiger ist mir am Dienstag aber das Offensivspiel. Wir werden in Madrid mit fast jeder personellen Kombination drei oder vier Tore fürs Weiterkommen benötigen.

Die Münchner verloren auch in Gleichzahl irgendwann die Kontrolle im Mittelfeld, obwohl es zu Beginn ganz gut aussah. Was kann Ancelotti tun, um dem über 90 Minuten oder mehr entgegenzuwirken?

Felix: “Was kann Ancelotti tun” ist zwar die richtige Frage, ich befürchte aber er wird sehr wenig tun. Carlo wird darauf vertrauen, worauf er bislang vertraut hat, weshalb es umso wichtiger sein wird, dass Thiago, Vidal und Alonso ihr absolut höchstes Level abrufen. Immer dann, wenn das der Fall war, hat Ancelottis vergleichsweise simple taktische Struktur wegen der Extraklasse der Einzelspieler perfekt funktioniert.

Chris: Sehr gute Frage, auf die ich ehrlich gesagt keine richtige Antwort habe. Die einfachste und zugleich simpelste Lösung ist das Abstellen der eigenen Fehler. Ribéry und Robben wirkten ab der 50. – 55. Minute schon sehr müde und verzettelten sich in individuellen Aktionen. Auch Alonso hat einfache Fehlpässe eingestreut. Diese müssen abgestellt werden. Das hört sich trivial an, wird aber gerade im Bernabeu essentiell sein. Jeder Ballverlust im Aufbau könnte den KO bedeuten. Hier wird es auch darauf ankommen, die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive zu finden.

Tobi: Gegen sowas helfen nur eine präzise Vorbereitung und rechtzeitiges Anpassen während des Spiels. Die Mannschaft muss auf eventuell eintretende Dynamiken eingestellt sein und, falls sie nicht eigenständig reagieren kann, dementsprechend durch Umstellungen oder Wechsel verändert werden. Auch wichtig ist die mentale Einstellung, dass man solche Partien als Herausforderung auf dem Weg zum Erfolg sieht und nicht als Möglichkeit des Scheiterns. Ähnlich wie im letzten Jahr, konnte ein vergebener Elfmeter mental nicht verarbeitet werden.

Steffen: Ich hoffe, dass Bayern nicht so völlig übermotiviert aus der Kabine kommt wie beim 0:4 in München oder in einigen Auswärtsspielen in Madrid in der späten Kahn-Phase. Gerade mit dem veränderten Spielaufbau in der Innenverteidigung wird es darum gehen, Kontrolle und Geduld zu entwickeln und dann bei guten Gelegenheiten schnell in die vorderen Bereiche zu spielen. Zu hohes Risiko durch extrem hohe Positionierungen würde ich zu Beginn um jeden Preis vermeiden.

Wichtig ist auch das Zusammenspiel von Kroos und Modric zu erschweren, ohne dafür zu hohes Risiko zu gehen. 2013 hat Thomas Müller gegen Juventus mal Andrea Pirlo alleine aus dem Spiel genommen. Ich würde ihn mit der Sonderaufgabe Kroos betrauen. Er muss in tiefe Positionen gedrängt und ins Laufen gebracht werden. Dann ist er weniger effektiv und kann das Mittelfeld nicht so schnell überbrücken wie Real es gewohnt ist.

Die beiden Teams im Champions-League-Vergleich.

Worauf wird es für den FC Bayern noch ankommen, wenn man am Dienstag den Rückstand drehen möchte?

Chris: Der FC Bayern muss Robert Lewandowski in Abschluss-Positionen bringen. Zugleich muss er mehr Druck über das Zentrum entwickeln. Zidane wird wieder versuchen Ribéry und Robben aus dem Spiel zu nehmen, wie es ihm über weite Strecken im Hinspiel gelungen ist. Hier bedarf es mehr Druck aus dem Zentrum. Thomas Müller könnte eine Alternative sein. Das würde Thiago auf der 6er Position auch etwas mehr Raum zum Spielaufbau geben. In München wurde er doch gut von Modric und Casemiro aus dem Spiel genommen.

Einen weiteren Punkt habe ich oben schon genannt: Keine individuellen Fehler. Hier hatte die Mannschaft zu viele in der gesamten Saison. Auch bei den guten Spielen wie unlängst gegen den BVB, aber auch gegen Arsenal und selbst gegen Leipzig boten die Bayern allen Teams was an. Real ist zu clever und zu stark besetzt, solche Fehler nicht auszunutzen. Ein Weiterkommen ist eigentlich nur mit einem “zu Null” möglich.

Tobi: Kluges Agieren – man muss das Ergebnis nicht innerhalb der ersten 15 Minuten drehen – und Glück. Insbesondere dank der Auswärtstorregelung werden Champions-League-Runden ständig durch kleine individuelle Fehler entschieden. Glück hat, wer diese menschlichen Fehler für sich nutzen kann.

Die eine oder andere taktische und personelle Änderung wäre auch wünschenswert, aber zu diesem Thema wurde in den vergangenen Tagen schon genug gesagt.

Felix: Wir haben uns von einer Mannschaft, die als Gesamtkonstrukt funktioniert hat zu einem Team aus Einzelspielern entwickelt – insofern ist klar, dass vieles davon abhängen wird, ob die Einzelspieler Robben, Lewandowski, Ribéry oder Costa ihr Top-Niveau an diesem Tag erreichen können. Sollte das der Fall sein, ist alles möglich. Real hat den FC Bayern 2014 mit diesem Konzept auswärts mit 4:0 besiegt.

Steffen: Alles was ihr sagt ist richtig. Ich würde noch ergänzen: Konzentration und Überzeugung vor dem Tor. Wie gesagt: Es braucht drei oder vier Tore. 10 Großchancen wird es nicht geben. Eher fünf. Davon muss ein Großteil sitzen. Zögern, wie am Samstag bei Müllers Großchance in Leverkusen, darf es nicht geben. Es muss das klare Bewusstsein geben, jede Strafraumsituation mit aller Ernsthaftigkeit zu Ende zu spielen.


Schon unter Guardiola war die Erwartungshaltung riesig. Nun steht Champions-League-Trainer Ancelotti kurz vor dem Aus.

Carlo Ancelotti wurde für die Champions League geholt und gilt nicht als Entwicklungstrainer. Wäre ein Ausscheiden gegen Real Madrid im Viertelfinale als Enttäuschung zu betrachten?

Steffen: Ich hätte nicht gedacht, dass die Narrativschwankungen in der öffentlichen Debatte bei Ancelotti genauso groß ausfallen werden wie bei Guardiola. Erst befreit er Bayern von Guardiolas Ketten, dann trainiert er zu lasch, dann ist er das Genie, das alles auf die Rückrunde ausgerichtet hat und jetzt ist er wieder eine Wurst? Mich nervt das massiv. Real ist stark. Sie führen in Spanien die Liga an. Natürlich wird er an den Topspielen gemessen.

Ein Ausscheiden wäre aber kein scheitern seiner bisher unspektakulären aber soliden Arbeit. Zumal die Mannschaft auch unter Ancelotti schon sehr guten Fußball gespielt hat (Leipzig, Arsenal, BVB-Rückspiel, 1. HZ gegen Madrid). Trotzdem muss man gewisse Simplifizierungen in Bayerns Spiel oder auch das Verhalten in Unterzahl im Hinspiel konkret kritisieren. So werde ich es weiter handhaben.

Tobi: Nein. Ob Achtelfinale oder Finale, gegen Real Madrid kann man immer ausscheiden. Der Zeitpunkt des Losglücks bzw. -pechs sollte bei der Beurteilung eines Trainers keine Rolle spielen.

Dass der Verein mit der Entscheidung pro Ancelotti bewusst ein Szenario geschaffen hat, welches eigentlich nur mit unmittelbarem Erfolg gelöst werden kann, dafür kann der Trainer nichts. Er macht das, wofür er geholt wurde. Die Berücksichtigung der mittel- und langfristigen Zukunft der Mannschaft ist eine Sache, die ein Trainer umsetzen kann, aber nicht muss. Die Pflicht liegt hier stets bei der sportlichen Vereinsführung.

Chris: Der Dauererfolg in der Bundesliga entwertet natürlich jeden nachfolgenden Titel und verstärkt die Erwartungshaltung in der Champions League. Wobei dies gerade paradox ist. Die Mannschaft spielt weitestgehend konstant und hat die Chance, weiter Bundesligageschichte zu schreiben. Jeder weitere Ligatitel ist aufgrund der Sättigung eigentlich etwas schwerer. Bisher ist davon aber nichts zu sehen. Auch unter Ancelotti wirken die Spieler motiviert. In der Champions League sind ca. acht bis zehn Mannschaften unterwegs, die aufgrund besonderer Umstände um den Titel mitspielen können. Das wird gerne vergessen. Ein Ausscheiden im Viertelfinale ist daher kein Erfolg, aber auch kein Misserfolg, sondern zeigt dann, wo die Mannschaft realistisch steht.

Felix: Pep Guardiola wurde an seinem Abschneiden in der Champions League gemessen und auch Carlo Ancelotti wird daran gemessen werden – in der Öffentlichkeit. Dass man sich diese Art der Erfolgsmessung nicht wünscht und sie hoffentlich auch vereinsintern nicht angewendet wird heißt nicht, dass die breite Masse den globalisierten und international orientierten FC Bayern immer an der Königsklasse messen wird und dabei nicht allzu viel wert auf Einzelschicksale legen wird.

Die Redaktion ist sich einig: Die Bewertung Ancelottis ist zu komplex, um sie nur an der Champions League festzumachen.
(Foto: Stuart Franklin / Bongarts / Getty Images)

Was für einen Spielverlauf erwartet ihr und wie geht das Rückspiel aus?

Tobi: Die ersten Minuten könnten denen des Rückspiels in 2014 ähnlich werden. Bayern im Angriffsmodus, Madrid holt sich Spielgefühl und Sicherheit in der Defensive. Der Verlauf der ersten 15 Minuten wird den Spielfluss wesentlich prägen. Für die Münchner ist es wichtig, die eigene Balance zu wahren und Motivation nicht in Handlungsdruck umzuwandeln. Bei den Gastgebern gilt es, sich nicht zu defensiv zu geben und stattdessen die berühmten Nadelstiche zu setzen.

Falls man mich zu einer Prognose zwingen will: Real Madrid gewinnt erneut 2:1.

Chris: Ich kann mir vorstellen, dass Ancelotti zunächst eine abwartende Haltung ausgibt und das Spiel über die Zeit drehen will. Es sind ja lediglich zwei Tore in 90 Minuten. Also ein Tor pro Halbzeit. Die Frage wird sein, ob die Mannschaft sich diese Zeit nehmen will. In den letzten Jahren haben viele Spieler in diesen Partien überdreht und das Risiko zu hoch geschraubt. Die Halbfinalspiele gegen Real und Barcelona sind sinnbildlich dafür. In beiden Partien wurde was versucht, was nicht ging.

Gefühlt könnte ich mir ein 2:2 durchaus als realistischen Tipp vorstellen. Ich wünschte, ich könnte mutiger tippen.

Felix: Ich liebe es, optimistisch zu tippen – deprimiert kann man nach dem Spiel immer noch sein. Ich glaube, das Spiel wird die ultimative Rache für 2014, Lahm, Alonso, Robben und Lewandowski brennen ein Feuerwerk ab und wir gewinnen mit 5:1.

Steffen: Ich hoffe, dass es lange 1:1 oder 1:0 für uns steht. Wenn wir ab der 70. Minute die Chance haben mit einem Tor weiter oder in die Verlängerung zu kommen, habe ich großes Vertrauen in die Mannschaft.