Miasanrot Roundtable: Fünf Fragen vor dem Spiel gegen Juventus Turin

Steffen Trenner 15.03.2016

Neben Jolle, Jan und Steffen aus der Miasanrot-Redaktion ist auch Taktikexperte Danial Montazeri von Spiegel Online mit dabei. Sie diskutieren über Turins Ausrichtung, Münchner Personalentscheidungen und eine Konzentrationsaufgabe.

Die zweite Halbzeit in Turin hat gezeigt warum Juventus Turin so gefährlich ist. Worauf muss der FC Bayern am Mittwoch besonders achten?

Jolle: Wenn es Bayern schafft, die Konzentrationsleistung aus dem Dortmundspiel auf den Platz zu bringen, sollte sich so etwas wie die zweite Juve-Halbzeit nicht wiederholen. Das wird der Schlüssel sein, denn Bayern ist sowohl Favorit als auch in der besseren Ausgangslage.

Steffen: Der FC Bayern sollte sich darauf konzentrieren, sein Spiel aus der ersten Halbzeit im Hinspiel durchzuziehen. Guardiola kann gar nicht auf 0:0 spielen und das wäre gegen Turin auch gefährlich. Natürlich kommt es darauf an, wie Jolle sagt, die Konzentration hoch zu halten. Risiko im Gegenpressing bedeutet auch immer das Potenzial für Räume im Rücken, wenn das Timing nicht zu hundert Prozent stimmt. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn der FCB zwei oder drei Tore schießt, kommt er sicher weiter.

Jan: Der schmale Grat wird darin liegen, dass der FC Bayern annehmen muss, was Juventus in München zeigen möchte. Entwickelt sich ein offener Schlagabtausch, müssen Turins Bemühungen möglichst früh erstickt werden, um die FCB-Spielkontrolle zu ermöglichen. Hierfür hat das Gegenpressing im Hinspiel über weite Strecken hervorragend funktioniert. Da der Kader in den letzten Wochen wieder breiter geworden ist und sich Probleme nur mehr auf die Position des Innenverteidigers konzentrieren, kann Guardiola beinahe aus dem Vollen schöpfen und auch während der Partie korrigierend eingreifen.

Danial: Bayern täte gut daran, selbst den Spielrhythmus zu bestimmen. Im Hinspiel ließ man sich in der zweiten Halbzeit von Juve zu überhasteten Kontern verführen, die wiederum zulasten der Spielkontrolle gingen. Guardiola dürfte seinen Spielern mitgeben, dass sie einfach das tun sollen, was sie immer tun: Ball und Gegner solange laufen lassen, bis alle Räume korrekt besetzt sind. Und dann zuschlagen. Achten muss man zudem auf Pogba und, wenn er denn spielt, Hernanes, weil die beiden mit Einzelaktionen am ehesten Bayerns Gegenpressing überwinden können.

Mandžukić hat am Wochenende gegen Sassuolo gespielt, Pogba wurde geschont. Mit welcher taktischen Ausrichtung erwartet ihr die Bianconeri?

Jolle: Ich glaube nicht, dass Allegri etwas am System verändern wird. Im Hinspiel ist Juve mit Hernanes für Marchisio wesentlich besser ins Spiel gekommen. Marchisio scheint verletzt auszufallen, von daher wird man Hernanes wohl von Beginn an sehen. Auch bei Mandžukić ist unklar, ob er fit ist, aber er hat mit München und Guardiola noch eine Rechnung offen. Wenn er spielen kann und den Italienern noch ein oder zwei Tore zum Weiterkommen fehlen, kann man getrost auf seinen Biss setzen und ihn als Joker einwechseln.

Steffen: Ich erwarte trotz der Ausfälle keine großen Überraschungen. Juves Stärke ist ja eine gewisse Variabilität im Spiel ohne taktisch oder formativ dafür allzu viel zu verändern. Spieler wie Cuadrado sind schnell im Umschalten. Mandžukić ist einer der besten Kopfballspieler der Welt und Pogba ist ein Schweizer Taschenmesser, wenn es nach vorne geht. Ohnehin ist das Matchup Pogba-Lahm eines, das mir ein wenig Sorgen bereitet. Physisch wird es da schwer für den Bayern-Kapitän. Auch hier geht es wieder um das optimale Timing, um vor Pogba an den Ball zu kommen. Er darf kein Tempo aufnehmen. Juve hat im Hinspiel auch bewiesen, dass sie Pressing spielen können, wenn es darauf ankommt. Auch das werden wir phasenweise im Rückspiel sehen. Der Ausfall von Chiellini ist natürlich bitter für Allegri.

Danial: Vermutlich spielt Juve wieder im 442/4411 aus dem Hinspiel, auch wenn das 352 oder eine Mischung aus 4312/433 mögliche Alternativen wären. Wichtiger als die Formation wird aber deren Interpretation. Juves Problem im Hinspiel bzw. Bayerns Stärke waren die Umschaltmomente, in denen Bayern durch fantastisches Gegenpressing lange alles weggeräumt hat, was wegzuräumen war. Für Juve stellt sich die Frage: Wie können wir das umgehen? Daher erwarte ich Turin zumindest phasenweise offensiver als im Hinspiel. Der bereits in der zweiten Halbzeit (zumindest situativ vollzogene) Wechsel vom Abwehr- zum Angriffspressing war entscheidend für die Leistungssteigerung. Das Tor zum 2:2 resultierte ja auch direkt aus dem hohen Zustellen eines Neuer-Abstoßes. So könnte man versuchen, Bayern gar nicht erst zu ihrem Spiel kommen zu lassen. Interessant wird auch die Ausrichtung von Juves Flügelspielern. Durch deren Mannorientierung auf die gegnerischen Außenverteidiger ließen sie sich oft in die Mitte ziehen, sodass die Bayern freie Passwege auf Douglas Costa und Robben fanden und konnten gleichzeitig das Zentrum gegen Konter absichern. Denkbar wäre, dass Allegri z.B. Cuadrado mal höher stehen lässt und damit entweder Bernat in der Defensive bindet oder die Gefahr nach Balleroberungen erhöht.

Wird Guardiola seine taktische Herangehensweise verändern müssen? Werden wir eine Vierer- oder die offensivere Dreierkette sehen?

Steffen: Guardiolas Zurückhaltung mit einer fast konservativen Viererkette zuletzt hat mich überrascht. Eine Dreierkette mit Kimmich, Alaba, Benatia oder Lahm würde sehr viel Sinn machen. Eine Dreierkette bietet mehr Kompaktheit bei Kontern als eine Viererkette mit hochaufgerückten Außenverteidigern. Außerdem kann Alaba so eine freiere Rolle einnehmen und das Spiel von hinten mit seinen Läufen antreiben. Zudem braucht es dann keinen umständlich abkippenden Secher. Das Aufbauspiel wird natürlicher und geradliniger. Guardiola braucht schon gute Argumente, wenn er erneut auf eine Viererkette mit dem zuletzt wechselhaften bis schwachen Bernat setzt.

Jolle: Über die offensive Herangehensweise in Turin war ich schon sehr überrascht und auch positiv überrascht. Das entsprach so gar nicht dem üblichen Auswärtsvorgehen von Guardiolas Bayern – und es hat zunächst hervorragend funktioniert. Zuhause sollten die Roten daher ebenfalls auf die Offensive als Mittel setzen, um den Ball vom eigenen Tor fernzuhalten. Auf der anderen Seite ist man in den letzten zwei Jahren blind in Konter gelaufen. Ich könnte mir daher sehr gut eine Dreierkette mit Benatia im Zentrum sowie Alaba und Kimmich auf den Halbpositionen vorstellen. Nach hinten könnten Bernat und Lahm mit einrücken, hätten aber auch genügend Absicherung, um Pogba und Cuadrado mannorientiert zu verfolgen. Auch für die Offensive hätte die Dreierkette Vorteile. Lahm ist in herausragender Form und bringt auch nach vorne viel Struktur. Auf der anderen Seite könnte Alaba vorstoßen, während Bernat mit Kimmich und Benatia absichert. Das hätte schon was. Allerdings fällt Bernat derzeit etwas ab. Für ihn in der vorderen Linie einen Thiago opfern zu müssen, wäre eine Schwächung.

Danial: Konsequent mit einer „richtigen“ Dreierkette zu verteidigen, würde auch bedeuten, dass in offensiven Phasen ein Mittelfeldspieler fehlt. Dabei wollen die Bayern eigentlich dominant spielen und so selten wie möglich in die Situation geraten, den eigenen Strafraum verteidigen zu müssen. Sondern, wie Jolle es beschrieben hat, Juve in dessen Hälfte festnageln. Grundsätzlich solle man sich aber auch hier ein wenig loslösen von den Zahlen. Bei eigenem Ballbesitz spielt Bayern hinten schließlich ohnehin meist in einer 2-1-Staffelung, also weder mit Dreier- noch Viererkette. Die Frage ist eher, wer spielt, und wie diejenigen dann ihre Rollen interpretieren. Ich vermute, dass Lahm erneut als hereinkippender Rechtsverteidiger aufläuft und Pogba stören soll. Kimmich ist wegen seiner strategischen Fähigkeiten im Spielaufbau und seiner Art, nach vorne zu verteidigen, extrem wichtig, um Juve gar nicht erst ins Bayern-Drittel kommen zu lassen. Bernat hat seine Sache als Raumöffner für Douglas Costa und Thiago zuletzt ordentlich gemacht und bringt zudem Tempo mit.

Auf der zweiten Seite wird Vidals Rolle eingeordnet und die Leistung von Mario Götze und Kingsley Coman gegen Werder Bremen unter Champions-League-Gesichtspunkten bewertet.