Rezension: »Kurvenrebellen« von Christoph Ruf

Jan Trenner 21.02.2014

Christoph Ruf Kurvenrebellen Cover

Ich habe Christoph in München bei einer Lesung mit anschließender Podiumsdiskussion im »Stadion an der Schleißheimer Straße« kennengelernt, mir sein Buch gekauft, gelesen und möchte einige Eindrücke wiedergeben. So fühlt sich der ein oder andere vielleicht in seinem Interesse geweckt und möchte eventuell auch 12,90€ investieren, um die Publikation aus dem Verlag »Die Werkstatt« lesen zu können.

Ohne Frage: Der Autor ist sich seiner Bildwahl auf dem Cover bewusst und versteht die damit verbundenen Reaktionen. Bei seiner Lesung wurde genau das thematisiert und an dieser Stelle, sowie im Kennenlernen des Gesichts hinter dem Text, wurde mir klar, dass jemand schreibt, der die Szene wirklich verstehen und kennenlernen will. Eine Seltenheit, wie wir alle in den letzten Monaten kennenlernen durften, als populistische Äußerungen, Vorurteile und Pauschalverurteilungen durch die Medienkanäle flogen. Spannend ist also, dass sich die anwesenden Vertreter der Münchner Schickeria und Karlsruher Phönix Sons bereiterklärt haben am Buch mitzuwirken, Gesprächspartner zu sein – am Ende waren sie sogar zufrieden über das Ergebnis. Auch wenn Passagen über ihre Gruppen hart sind, Vorfälle verurteilen und von Problemen berichten, sind sie einverstanden und tragen so als zwei Beispiele zur guten Basis des Buchs bei. Christoph ist quer durch die Republik gereist, hat sich mit Fans, Ultras, Vereinsverantwortlichen und Sicherheitskräften getroffen, sowie den Ursprung der Bewegung gesucht und in 20 Kapiteln ihre Geschichten erzählt, um so ein Bild der Szene zu schaffen.

Wir erfahren von den Problemen der Münchner Ultras mit der Vereinsführung des FC Bayern und ihrer Arbeit für die Erhaltung des Erbes von Kurt Landauer. Weiter geht die Reise ins Frankenland, wo die Fürther Ultras und ihre unbequemen Nachbarn aus Nürnberg das Thema sind. Aber auch über die Coloniacs, die Kohorte Duisburg, das Commando Cannstatt, die Münster Deviants, Dortmund, Cottbus, Aachen und Erfurt wird ausführlich berichtet. Dazwischen Kapitel, welche das mit vielen Gräben durchzogene Verhältnis zur Polizei wiedergeben, rechte Tendenzen und Hools umfassen oder das »Transparent«-Magazin behandeln. In den zu Kapiteln zusammengefassten Gesprächen lernt der Leser die jeweilige Gruppe kennen und inwiefern sie für das Bild »Ultra« im deutschen Fußball steht. Ein durchaus gelungener Blick über den Tellerrand des eigenen Vereins hinaus, der mir im Vorfeld gefehlt hat und worin die meiste Hoffnung beim Kauf des Buchs lag. Dieser Wunsch wurde mir erfüllt.

Christoph Ruf zeichnet ein ausgewogenes Bild der deutschen Fußballszene bzw. Jugendkultur und versteht von dort zu berichten wo Dinge passieren. Aus Stadien, von Gesprächen oder Treffpunkten der Ultras. Definitiv eine Lektüre für diejenigen, die sich mit dem Thema befassen möchten und über die oft schnell verurteilende Tagespresse hinausblicken wollen.

Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass auf 187 Seiten nur ein Einblick und keinesfalls ein umfassendes Bild gegeben werden kann. Das ist gut, wenn man einen Überblick bekommen will, aber wird aufmerksame Beobachter nicht oft zu Neuem führen. Besonders die Szene des eigenen Vereins dürften viele – zumindest aufmerksame Leser unserer Kategorie »Südkurve« – in Ansätzen kennen und einen Blick auf die handelnden Personen geworfen haben. Natürlich nicht sehr intensiv oder bis zum Verstehen, aber das Spannende bleiben die Kapitel über andere Städte. Mitglieder der Szene werden vermutlich wenig Unbekanntes erfahren, aber das sollte auch nicht das Ziel von »Kurvenrebellen« sein. An Aktualität mangelt es im Buch nicht, aber wer versteht wie lange es vom Schreiben bis zum Veröffentlichen dauert, weiß auch, dass zum Beispiel das Kapitel über die Schickeria und der Zwist mit dem Vorstand des FC Bayern inzwischen auf dem Weg der Besserung ist. Christoph Ruf berichtet noch von diesen Problemen. Es ist eher als ein Buch mit der Mission mehr Verständnis in die Köpfe der (un)regelmäßigen Stadiongänger oder Fernsehzuschauer zu bekommen. Das kann es, indem positive wie negative Aspekte, farbenfrohe Choreos wie rechte Probleme, lautstarke Gesänge und Banner sowie Pyrotechnik geschildert, kritisch hinterfragt und um die Meinung der Szene angereichert wird. Letztendlich muss jeder selbst mit dem Wissen um »die Ultras«, falls es diesen Begriff überhaupt als eine Definition gibt, sein eigenes Bild formen und entscheiden wie er ihr begegnet. Dieser Mission hat sich Christoph Ruf angenommen und einen wichtigen Grundstein für mehr Verständnis und Kommunikation gelegt.

Wer Ultras kritisiert, findet natürlich jede Menge Ansatzpunkte. Doch unter Garantie findet er keinen, den die erstaunlich selbstkritische Szene nicht auch schon intern diskutiert hätte – nicht der einzige Punkt, an dem sich Ultras wohltuend von vielen ihrer Altersgenossen unterscheiden

Eine Leseempfehlung für alle mit Interesse, die den Blick über den Tellerrand des Steh- oder Sitzplatzes hinaus auf den aktivsten Teil des Stadions werfen wollen, um im Anschluss ihre eventuell vorurteilbehaftete Position zu überdenken oder Ansatzpunkte für sich anschließende Diskussionen bekommen wollen. Wer Christoph Ruf auf einer Lesung oder Podiumsdiskussion in seiner Nähe kennenlernen kann, sollte das unbedingt tun.