Leser-Roundtable: Wo steht der FC Bayern?

Jan Trenner 26.02.2017

Der FC Bayern scheint sich in einer Phase der Extreme zu befinden. Ingolstadt, Arsenal, Hertha und zuletzt ein 8:0 Heimsieg gegen Hamburg.

Wir haben nach dem Spiel gegen Arsenal viel diskutiert, uns in einem Kommentar geäußert, doch nun gehen wir einen Schritt weiter. Wir fragen diejenigen, die Miasanrot am wichtigsten sind: unsere Leser. Fünf von Ihnen haben die Chance wahrgenommen und unsere Fragen zur aktuellen Lage beim FC Bayern beantwortet.

Leipzig, Dortmund, Hoffenheim, Frankfurt, Hertha, Köln – Das sind die Bayern-Verfolger in diesem Jahr. Ein durchaus ungewohntes Bild. Was ist mit der Liga los?

Wipf1953: Ich sehe das nicht ausschließlich negativ. Wir waren doch alle gespannt auf Leipzig und jetzt sind die näher dran an Bayern als der Dritte, der BVB, an ihnen. Allerdings ist auffällig, dass die “üblichen Verdächtigen” der letzten Jahre durch die Bank schwächeln (BVB, Schalke, Gladbach, Leverkusen). Ich denke, das liegt (leider) an England. Die Premier League hat dem BVB Spieler weggekauft, ebenso Gladbach und Schalke. Bayern musste keine Leistungsträger abgeben, weil man geschickterweise die Verträge mit Leistungsträgern schon vorher langfristig verlängert hatte. Leipzig auch nicht (die wurden vielleicht noch nicht so wahrgenommen). Die “üblichen Verdächtigen” haben Leistungsträger abgegeben und müssen sich mal hinterfragen, was sie teilweise für Transfers gemacht haben. Wolfsburg und der BVB haben das große Geld in deutsche Nationalspieler investiert, die jedenfalls diese Saison noch nicht so eingeschlagen haben. Draxler ist sogar weg und sorgt in Paris für Furore. Da ist das Geld versackt, das “England” für de Bruyne, Gündogan und Mikhytarjan bezahlt hat.

Chicago_bastard: Für mich ist das die Spitze der bedauerlichen Entwicklung, dass in Deutschland die Vereine, die von ihren Möglichkeiten her prädestiniert wären, die Bayern herauszufordern, in den letzten Jahren mit Ausnahme des BVB schlecht gearbeitet haben. Hier wären allen voran der HSV und Schalke zu nennen. Kontinuierlich gute Arbeit wird dagegen bei kleinen Vereinen wie Mainz geleistet, aber die haben nicht die Voraussetzungen um sich dauerhaft oben zu etablieren. Da verwundert es nicht, dass das Konstrukt RB Leipzig, wo seltenerweise mal gute finanzielle Voraussetzungen und gute Arbeit Hand in Hand gehen, so schnell in die absurd große Lücke zwischen Bayern und dem Rest stoßen konnte. Wobei die natürlich in den nächsten Jahren nachweisen müssen, dass sie auch kontinuierlich einen so guten Job machen können wie bisher. Ansonsten haben eben Vereine mit hervorragenden Trainern wie Hoffenheim und Köln das Schwächeln der Großclubs ausgenutzt.

Rookie: Dass Dortmund etwas schwächelt, finde ich bei deren Abgängen normal. Ich finde sie schlagen sich dafür sogar erstaunlich gut. Ich finde, dass die BVB-Führung hier einen völlig überzogenen Anspruch an Tuchel hat. Wolfsburg hat nicht genug Potential als Fußball-Standort bzw. müsste diese mit einem hervorragenden Trainer/Konzept kompensieren. Leipzig und Hoffenheim haben einfach eine super Jugendarbeit und gute Trainer. Gladbach und Schalke zeigen, dass außer dem BVB und Bayern keine deutsche Mannschaft der Mehrfachbelastung gewachsen ist. Überrascht bin ich von Leverkusen, da habe ich keine Erklärung.

Marco05: Von Dortmund hätte ich viel mehr erwartet, da trotz prominenter Abgänge vor allem die Offensive sehr gut verstärkt wurde. Tuchel hat offenbar die richtige Balance noch nicht gefunden. Merkwürdige Formschwankungen kommen genauso hinzu wie interne Unstimmigkeiten. Leipzig kam nach dem Hinrunden-Sieg gegen den BVB in einen Lauf und ist bisher überraschend konstant. Ich glaube nicht, dass sie das so bis Saisonende durchhalten, aber wenn doch, wird es unter Umständen noch spannender als es uns womöglich lieb ist. Die restlichen Verfolger werden im Laufe der Rückrunde sicher noch etwas abbauen und ein paar Arrivierte (Schalke, Leverkusen, Gladbach) nachrücken, sodass es am Ende mit Ausnahme von Leipzig annähernd das gewohnte Bild gibt.

PitvonBonn: Der Aderlass in Dortmund und Wolfsburg, trotz der sinnvollen Neuverpflichtungen, die Dreifachbelastung in Gladbach, Leverkusen und Schalke verhindern Kontinuität über mehrere Jahre hinweg. Dafür rücken unverbrauchte, hungrige Teams nach, siehe Leipzig, Hoffenheim, Frankfurt, Hertha und Köln. Das sind aber auch die Teams, die ihren Trainern “vertrauen” und die eine sehr gute Nachwuchsarbeit betreiben.

Sind die Leistungen unter Ancelotti ein „back to normal“ oder performt die Mannschaft unter ihren Möglichkeiten?

Wipf1953: Die Frage unterstellt ein wenig, dass die letzten Jahre das Optimum gewesen wären und dieses Jahr Rückschritte eingetreten sind. Das sehe ich anders. Bayern mag nicht mehr die Top-Taktik für einzelne Spiele haben, aber sie haben eine Strategie für die komplette Saison. CL-K.O.-Spiele einerseits und der “Ligamodus” andererseits (= Bundesliga, CL-Gruppenphase) sind zwei komplett verschiedene Wettbewerbe. In der CL-K.O.-Phase besteht die Sondersituation, dass ein (doppelt zählendes) Auswärtstor ein überlegen geführtes Spiel auf einen Schlag zum Kippen bringen kann. Um in der CL das Finale zu erreichen, es gar zu gewinnen, braucht man eine Strategie über die gesamte Saison hinweg. Mentalität und Selbstbewusstsein müssen ab Februar, März top sein. Ich denke nicht, dass Bayern in der CL-K.O.-Phase die letzten drei Jahre das Optimum abgerufen hat. In einzelnen Spielen ja, über die gesamte Saison hinweg aber leider nicht. Insoweit könnte Bayern das Optimum erst noch erreichen. Was es diese Saison allerdings auch gab, waren enttäuschende, schlechte Spiele. Die gab es unter Pep allenfalls in der Saison 2014/2015. Wobei ich es immer noch positiv finde, dass Bayern selbst in den schlechten Spielen unter Ancelotti nie so abgeschossen wurde wie von Wolfsburg 2015. Ergebnis: Die Mannschaft “performt” anders als in den letzten drei Jahren, aber weder “schlechter” noch “back to normal”.

Chicago_bastard: Wenn ich die Frage richtig verstehe, impliziert “back to normal”, dass Bayern nun nach drei Jahren in höheren Sphären wieder eine gewöhnliche Mannschaft sei. Diese Untergangsstimmung teile ich nicht, schon allein deshalb weil ich bei der Glorifizierung der letzten drei Jahre, die bei genauerer Betrachtung ja nur drei großartige Halbjahre waren, nicht mitgehe. Große Mannschaften werden über die CL definiert. Erst Recht in Zeiten in denen es national keinen Gegner auf Augenhöhe gibt. Wer das anders sieht, sollte sich mal die Frage stellen, welche Elf gemeinhin als beste deutsche Vereinsmannschaft der Geschichte gilt. Ist es die Fohlen-Elf der 70er, die damals fünf Meistertitel einfuhr oder das Bayern-Team der 70er, das im gleichen Zeitraum nur vier Meisterschaften gewinnen konnte? Ich erlaube mir – entgegen der wahrscheinlichen Intention – “back to normal” einfach mal positiv zu interpretieren und zwar als eine Rückkehr zu dem, was die Bayern in der Vergangenheit oft ausgezeichnet hat: Der Liga-Alltag wird manchmal uninspiriert und schon mal mit dem sprichwörtlichen Bayern-Dusel abgehakt, aber zu den Highlight-Spielen in der CL ist die Mannschaft dann doch in der Lage ihre Top-Leistung abzurufen. In diesem Fall wäre ich über die Rückkehr zur Normalität hocherfreut.

Rookie: Ich halte das Gerede von der mentalen und körperlichen Belastung des Pep-Fußballs und das dies deswegen nicht immer so sein könne, für kompletten Blödsinn. In Barcelona hatte Pep kaum Verletzungsprobleme. Wir reden hier von Spitzensportlern, die Millionen verdienen. Was soll da das Problem sein, 2x die Woche 90 Minuten Vollgas zu geben und ebenso im Training. Das ist doch positiver Stress, der beflügelt. Allerdings braucht es dafür den Vollblutprofi wie Lahm, Neuer, Robben. Disziplinierte Spieler, denen klar ist, dass es das Gesamtpaket braucht: immer Vollgas, Ernährung, Lebensstil, Mentaltraining. Passend dazu gab es neulich einen Bericht, wonach es unter Ancelotti gerade Unzufriedenheit unter den Spielern gebe. Einige Spieler, die immer Vollgas wollen, würden sich über die “Laschheit” mancher Kollegen ärgern. Insofern: ja, die Mannschaft performt gerade unter ihren Möglichkeiten und zwar spielerisch, taktisch, kämpferisch und läuferisch. Ausnahmen sind die Spitzenspiele und die Champions League. In einem Punkt aber ist die Mannschaft gerade der Wahnsinn. Ancelotti hat ihnen so eine gewisse italienische “Killer”-Mentalität eingeimpft. Die Tore in den letzte Minuten sind natürlich kein Glück, sie entspringen einer neuen Effektivität und Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, die es unter Pep so nicht gab. Ancelotti geht es ums Gewinnen und um sonst nichts. Die Mannschaft wirkt total fokussiert aufs Tore schießen, es wird nicht mehr im Strafraum noch dreimal quergelegt und versucht den Ball ins Tor zu kombinieren. Ich bevorzuge das andere, kann aber verstehen, dass viele einfach gewinnen wollen.

Marco05: Womöglich etwas von beidem. Dass nach der Ära Pep das Spielerische etwas nachlässt war im Grunde zu erwarten. Das aktuelle Ausmaß des spielerischen Rückschritts und das noch immer nicht erkennbare System Ancelottis ist aber doch ungewöhnlich. Die Ergebnisse lassen aktuell noch keine intensivere (Trainer-)Debatte zu aber erfolgt keine spielerische Steigerung, wird es demnächst auch Niederlagen geben. Ob das dann dennoch zur Meisterschaft reicht ist sicher auch davon abhängig wie konstant Leipzig bleibt. In der Champions-League hat der gute Auftritt gegen Arsenal mitten zwischen sehr durchwachsenen Bundesliga Kicks durchaus überrascht. Aktuell kann man noch nicht sagen, ob das das wahre FCB-Gesicht ist oder nicht. Das wird sich erst in den nächsten Wochen bzw. ab dem Viertelfinale zeigen. Betrachtet man jedoch die Summe der Leistungen ab Heynckes, spielt die Mannschaft für mich derzeit zum Teil deutlich unter ihren Möglichkeiten.

PitvonBonn: Die ungewohnten Freiheiten führen nicht automatisch zu mehr Kreativität. Die Dreiecke früherer Jahre, in denen jeder auf Anhieb 2 freistehende Mitspieler fand, werden zur Zeit nur im “Ernstfall” abgerufen. Die Zeit der kreativen Individualisten blüht erst voll auf mit den bald genesenen Boateng und Ribery und den hoffentlich bald wieder erstarkten Müller und Alaba. Ebenso würde ich mich auf mehr defensive Stabilität freuen, durch einen Martinez auf der 6. Dann wäre sogar ein 4-1-4-1 den Versuch wert, vorausgesetzt alle sind genesen und in Form, mit Thiago auf der 8 und Müller auf der 10. Das wäre dann ein Spiel mit voller Offensivpower. Neuer – Lahm, Boateng, Hummels, Alaba – Martinez – Robben, Thiago, Müller, Ribery – Lewandowski. Wie wäre die Ära Guardiola ausgegangen ohne die Verletzten Misere des Spieljahres 14/15 und mit einem verwandelten Elfmeter von Müller im Halbfinale 15/16? Wäre dann, auch von den ewigen Guardiola Skeptikern, Guardiola als der super, super, super Trainer anerkannt worden. Die Ära Ancelotti wage ich heute noch nicht zu bewerten. Warten wir diese Saison ab.

Wie gestaltet sich die Saison des FC Bayern bisher? Wie sind die Auftritte in der Bundesliga, Pokal und Champions League zu bewerten?

Wipf1953: Ich bin sehr zufrieden. Was macht den “Mythos” Bayern München aus? Bayern ist erst besiegt, wenn der Gegner mindestens ein Tor mehr geschossen hat und wenn der Schiedsrichter abpfeift. Bayern hat diese Saison immer wieder gezeigt, dass sie zurückkommen können. Auch in der 96. Minute. Bestia negra. Dieser Mythos ist wieder da und ich haben ihn durchaus vermisst. Natürlich werden die Wochen der Wahrheit erst kommen. Sollten in den nächsten Wochen Spiele “hergeschenkt” werden, durch unnötige Elfmeter, durch zu offensives Spiel (wie 2016 im Rückspiel gegen Atletico) oder indem man sich in KO-Spielen auskontern lässt, kann die gesamte Saison kippen. Aber das sehe ich momentan nicht.

Chicago_bastard: Ich bin mit der Saison bisher zufrieden. Was mir besonders imponiert ist die Tatsache, dass man in fast jedem Spiel in der Lage war in der Schlussviertelstunde nochmal richtig zuzulegen, wenn es nötig war. Die Mannschaft hat also nicht nur den Willen, sondern ist auch in der körperlichen Verfassung um enge Spiele noch zu drehen. Überhaupt kann konstatiert werden, dass die Konstitution des Kaders in puncto Fitness momentan so gut ist wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Auch das ist ein Aspekt, für den der Trainer verantwortlich ist und hier macht Ancelotti bislang einen sehr guten Job.

Rookie: Ich hätte mir gewünscht, dass die taktische und spielerische Brillanz unter Pep beibehalten wird und noch ein paar taktische Varianten in KO-Spielen dazukommen. Dass man gegen Atletico das Spiel im Griff hat und Boateng so rausrückt, das darf nicht passieren. Da hätte ich mir mal eine abwartende Haltung gewünscht. Da hätte ich mir ein wenig mehr von der jetzigen Abgezocktheit gewünscht. Dass das spielerische und taktische so auf der Strecke bleibt, habe ich befürchtet und es hat sich leider bewahrheitet. Allerdings: die Kaltschnäuzigkeit, die die Mannschaft unter Ancelotti zeigt, dieses von mir früher so gehasste, italienische „irgendwie dann doch noch das Tor machen“, kann echt zum Champions-League-Titel führen. Allerdings nur, wenn Thiago gesund bleibt. Überhaupt ist sein Aufblühen vielleicht Ancelottis größter Verdienst, am Ende vielleicht der Entscheidende..

Marco05: In der Bundesliga waren bislang nur eine handvoll gute Spiele zu beobachten und nur ein wirklich restlos überzeugender Auftritt. Dass man dennoch mit Abstand vorne steht, gibt Mannschaft und Trainer zwar recht, ist aber nicht schön anzusehen. Gerade nachdem man spielerisch in den letzten Jahren sehr stark war, ist das schon etwas enttäuschend. In der Champions League allerdings hat man, als eine gute Leistung wirklich gefordert war, geliefert. Das unterstützt Anhänger der Theorie “ein gutes Pferd..”. Ich selbst würde mich mehr als über die reinen Ergebnisse, über schöne Spiele freuen. Ob das mit Ancelotti zu erwarten war, oder ob man tatsächlich wissentlich in Kauf genommen hat zum Effizienz-Monster zu mutieren, ist fraglich. Aber nochmal: aktuell hat die Mannschaft alle Argumente und wenn das so bleibt, wird man am Ende des Tages sagen: “alles richtig gemacht”.

PitvonBonn: Für die Spieler ist der Trainerwechsel gewöhnungsbedürftig, in der taktischen Spielanlage entwicklungsfähig und in der Effektivität steigerungsfähig. So lange wird von den Fans und der Vereinsführung Geduld erwartet. Mit der Hoffnung auf den 5. Titel in Folge, den deutschen Pokal und das CL-Finale in Cardiff – möglichst mit positivem Ausgang – müssen wir bis Juni leben. Dies wird uns in den nächsten Monate bewegen und unsere Standpunkte werden wir, besonders in diesem Forum, “überzeugend” darlegen.

Wieso sehen wir deutliche Leistungsunterschiede? Gibt es eine langfristige Entwicklung im Verein?

Später Sieg in Ingolstadt, Glanz Auftritt gegen Arsenal, zäh erkämpftes Unentschieden in Berlin. Worauf führst du die Leistungsunterschiede zurück?

Wipf1953: Ganz einfach: Je wichtiger die Partie, um so konzentrierter ging Bayern ans Werk. Wenn wir das beibehalten…

Chicago_bastard: Auf die unterschiedliche Intensität. Die bemerkenswerteste Statistik beim Arsenal-Spiel war für mich die Laufleistung, die war nämlich trotz 74% Ballbesitz bei den Bayern höher als bei Arsenal. In den Ligaspielen sieht das komplett anders aus, in Berlin waren es wieder zwei Kilometer weniger Laufleistung als bei den Hertha-Spielern. Diese paar Prozente an Intensität und Einsatzbereitschaft erklären für mich die Qualitätsunterschiede.

Rookie: Erstmal war es für mich gegen Arsenal nur mental ein Glanzauftritt. Arsenal verteidigte schlicht nicht so diszipliniert. Die letzte halbe Stunde sind die mit hängenden Schultern stehen geblieben. Ich muss sagen, ich habe lange nicht mehr eine angebliche Spitzenmannschaft so aufgeben sehen. Die Bayern konnten sich den Ball ja wie im Training zuschieben. Kein Anlaufen, nichts. Es gab insofern 3 sogenannte „Big Points“ der Bayern, die man als Härtetest ansehen kann: ein überzeugender Sieg gegen Atletico, für die es um nichts mehr ging, ein Sieg gegen einen Aufsteiger und Arsenal, zu denen schon alles gesagt wurde. Es könnte sein, dass in der Champions League noch andere Prüfungen bevorstehen. Wobei ich den Auftritt gegen Atletico fantastisch fand.

Marco05: Für mich stellt das aktuell ein Rätsel dar. Man kann nur vermuten, was die Hintergründe sind bzw. ob der Fokus wirklich derart auf der CL liegen soll und dort entsprechend vor allem mental deutlich mehr rausgeholt werden kann. Allerdings wäre es für mich ein schlechtes Zeichen, wenn man den “Glamour” dem “täglich Brot” so derart bevorzugt. Mangels Highlights in der Bundesliga könnte man dort somit kaum noch zufriedenstellende Auftritte erwarten und in der Königsklasse reicht ein schlechter Tag oder gar 1-2 unglückliche Aktionen und es ist vorbei. Dann bliebe im Wesentlichen eine spielerisch durchwachsene Saison in Erinnerung, selbst wenn es “nur” zur Meisterschaft oder zum Pokal reicht. Sollte das tatsächlich der Grund sein, ist das meiner Meinung nach ein sehr schmaler Grat auf dem man sich bewegt. Möglicherweise ist es aber auch tatsächlich ein mentales Loch nach 3 intensiven Jahren und einem Sommerturnier. Hätten wir einen eloquenten Sportdirektor, müsste man darüber möglicherweise nicht so viel Rätselraten, wie wir es aktuell tun.

PitvonBonn: Der in der BL üblich gewordene “Bus” (5er + 4er Kette) im Spiel des Jahres gegen Bayern, lässt das Bayern-Spiel zäh und taktisch nicht durchdacht erscheinen. Da hilft nur das “müdespielen” vergangener Spielzeiten und der “mia san mia”-Siegeswille. Wenn es sein muss, bis zum Abpfiff. Mannschaften wie Leipzig, Bremen und Arsenal versuchten offen “mitzuspielen”. Das öffnete die Räume für ein schnelles Bayernspiel und führte zu diesen torreichen FCB-Glanzleistungen.

Was ist wichtiger: Erfolg heute oder langfristige, spielerische Entwicklung?

Wipf1953: Bei diesem Kader – leider – der Erfolg heute. Neuer, Boateng, Martinez, Lahm, Alaba, Alonso, Robben, Ribery, Müller, Lewandowski – die sind alle am Zenit ihres Fußballerdaseins (durchaus ein Verdienst von Pep). “Hungrige” Youngsters, die die Altvorderen verdrängen wollen, hat Bayern leider im Moment zu wenige (Kimmich ja, Coman vielleicht, Sanches leider noch nicht ..). Und der absolute Überspieler Thiago fühlt sich heute zwar bei Bayern pudelwohl, aber wie wird es sein, wenn die heutigen Topspieler abgetreten sind und Lücken hinterlassen? Ancelotti soll mit diesem wunderbaren Kader nochmal CL-Finals spielen. Die Verantwortlichen haben einen sehr klaren, nüchternen Blick auf die Realität und wussten genau, warum sie gerade jetzt gerade diesen Trainer geholt haben. Es könnte sehr gut sein, dass wir in drei, vier Jahren international deutlich kleinere Brötchen backen müssen.

Chicago_bastard: Erfolg heute. Ich weiß nicht mal, was eine langfristige spielerische Entwicklung sein soll. Als van Gaal nach München kam, musste er komplett bei Null anfangen und es dauerte trotzdem nur vier Monate bis die Mannschaft schönen und erfolgreichen Fußball spielte. Wüsste also nicht wieso das, was Ancelotti macht, große Auswirkungen auf die Arbeit seines Nachfolgers haben sollte. Wenn der gut in seinem Job ist, bringt er die Mannschaft eh schnell dazu, seine Art von Fußball zu spielen. Egal was vorher war. Tuchel hat in Dortmund doch sogar eine über Jahre komplett auf Umschaltfußball gepolte Klopp-Elf binnen kürzester Zeit zu ansehnlichem Ballbesitzspiel erzogen. Sehe daher das Problem nicht, zumal bei Ancelotti nun alles andere als eine Abkehr vom Ballbesitzfußball zu erkennen ist. Lahm, Robben und Ribery: diese drei Bayern-Legenden haben mehr verdient, als in einer Reihe mit Zufallssiegern wie Inter 2010 und Chelsea 2012 zu stehen, daher ordne ich diese Saison alles einem zweiten CL-Titel für diese über Jahre grandiose Mannschaft unter.

Rookie: Erstmal muss es sich nicht ausschließen. Im ersten Jahr unter Pep gab es beides: eine spielerische Weiterentwicklung und sportlichen Erfolg. Ich würde dem FC Bayern aber den Mut wünschen, einen Trainer zu holen, der den Umbruch einleitet bzw. fortführt und vielleicht auch eine schwächere Saison erstmal einplant. Bayern braucht eine taktische Identität von der Jugendmannschaft bis zu den Profis, so wie Barcelona. Deswegen wäre Tuchel für mich der Richtige, um das Werk von van Gaal und Pep weiterzuführen. Bayern wird sonst schnell wieder im Mittelfeld versinken und das Dauerabo auf das Halbfinale der Champions League ist wieder Vergangenheit, denn finanziell wird die Premier League davonziehen.

Marco05: Eine durchaus schwierige Frage. Vor nicht allzu langer Zeit hat jemand sinngemäß gesagt, dass eine spielerische Entwicklung einen kurzfristigen Erfolg nicht ausschließen darf. Beim FCB ist man dafür bekannt immer alles zu wollen, deswegen muss auch in diesem Jahr der berühmte Briefkopf mindestens um eine Zahl ergänzt werden, damit es keine enttäuschende Saison wird. Man muss jedoch bei der Frage vielleicht auch die Gesamtkonstellation der Mannschaft sehen. Spätestens seit der Ankündigung von Lahms Abschied ist klar, dass ein Umbruch kommt. Ich könnte es der Truppe nicht verdenken, wenn sie in dieser Konstellation noch einmal das Augenmerk auf das ganz große Ding legt und vor allem bei den älteren Spielern die weitere Entwicklung nicht ganz so hohe Priorität hat. Einen Umbruch einzuläuten wäre auch nicht das Ding von Ancelotti. Da würde sich ein aktueller Konzepttrainer sicher besser eignen. Ich denke, die Mission ist insofern klar: Carlo soll sie zurück auf den europäischen Thron führen, dann kann ein neuer Trainer den Umbruch begleiten..

PitvonBonn: Die langfristige, spielerische- und personelle Entwicklung ist durch das bevorstehenden Karriereende von Lahm, Alonso, Robben und Ribery fast schon existenziell für unsere erfolgsverwöhnten Bayern. Schade, dass die deutschen Clubs ihre abwanderungswilligen Spieler lieber ins Ausland verkaufen und damit gleichzeitig auch die Bundesliga schwächen, als sie, wenn diese es wünschen, zu den Bayern ziehen lassen. Auch die nicht marktgerechten Ablösesummen aus England erschweren den Weg zu den Bayern. Gerne hätte ich Draxler, Sané, Werner und Can als Spieler in der Bayern-Zukunft erlebt. Bei Brandt, Havertz, Henrichs und Gnabry besteht noch die preiswertere Hoffnung im Sommer, Teil der “deutschen” Bayern-Zukunft zu werden. Mit Früchtl, Süle, Alaba, Bernat, Kimmich, Sanches, Rudy, Thiago, Costa und Coman ist die U25 schon gut vertreten und mit den langfristigen Verträgen der Stammelf, haben die Bayern vorausschauend und gut für die Zukunft vorgesorgt. Ebenso schafft das neue Jugendleistungszentrum die Voraussetzung, den Impuls und die Anziehungskraft für eine neue erfolgreiche “eigene” Nachwuchsgeneration unter Gerland und Sauer. Der kurzfristige Erfolg ist ein fast schon selbstverständliches “Nebenprodukt”. Dafür sorgen schon die überraschenden Punktverluste der immer wieder schwächelnden Konkurrenten aus Dortmund, Leverkusen, Schalke, Wolfsburg oder Mönchengladbach, gegen die “kleineren” Gegner in der Bundesliga.

Die Fragen wurden in einem offenen Dokument gestellt. Jeder konnte während des Schreibens die Antworten der Anderen lesen. Die Antworten wurden sprachlich überarbeitet, inhaltlich jedoch nicht verändert. Vielen Dank an unsere Leser. Wir freuen uns auf alle künftigen Diskussionen!