Sport und Politik: Besuche des FC Bayern in Katar und Saudi-Arabien

Jolle Trenner 24.01.2015

Worum geht es?

Der FC Bayern hält seit der Winterpause 2009/10 seine Trainingslager zur Rückrundenvorbereitung auf der arabischen Halbinsel ab. In zwei Jahren gastierte man in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, seit 2010/11 reist man nach Doha, Katar. In der vergangenen Woche trat man auf der Heimreise an jenem Tag zu einem Testspiel in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad an, an dem der wegen „Beleidigung des Islam“ zu zehn Jahren Haft und 1.000 Stockhieben verurteilte Blogger Raif Badawi den zweiten Satz von 50 Stockhieben erhalten sollte. Bei allen drei Ländern handelt es sich um Monarchien, in deren Gefängnissen nachweislich gefoltert wird, die Todesstrafe Teil des Justizsystems ist, in denen Frauen und ausländische Arbeiter als Menschen zweiter Klasse misshandelt und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Kritik an der Praxis des Vereins wurde vor allem aus den Reihen der Fans des FC Bayern München laut.

@agitpopblog wandte sich in einem öffentlichen Brief direkt an den Verein. @stadtneurotikr stellte bereits im November fest: „Es ist Politik“ und sammelt seither die unterschiedlichsten Veröffentlichungen zum Thema.

So sah sich Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge mittlerweile zu einer Stellungnahme gezwungen, die argumentativ wenig angreifbar, aber auch enttäuschend blutleer und nichtssagend ist. Von der Strategie des sturen Aussitzens ist der Verein also dazu übergegangen, die aufkeimende Debatte mit minimalstem Kommunikationsaufwand abzumoderieren, ohne das eigene Handeln dabei infrage zu stellen. Dabei ist in dem Text durchaus ein schlauer Satz zu finden. Ein Chef-Diplomat hätte ihn nicht besser zu formulieren vermocht. Die Crux dabei wäre es nun, diese zwei Satzteile ins richtige Verhältnis zu setzen:

„Wir sind ein Fußballverein und keine politischen Entscheidungsträger, aber natürlich tragen am Ende alle, also auch wir, dafür Verantwortung, dass Menschenrechte eingehalten werden.“

Dass Fußballvereine global agierende Wirtschaftsunternehmen und Teil der Unterhaltungsindustrie sind, bei denen so genannte „Sachzwänge“ stetig eine Entwicklung weg von der alten Fußballromantik à la Bratwurst, Bier und ewige Treue vorantreiben, daran habe ich mich gewöhnt. Und so finde ich mich damit ab, dass völlig überspielte Profis nach langer Champions-League- und WM-Saison noch zu Marketingreisen in die USA gekarrt werden, dass sich die Spieler in Fanspielen beim Sponsoren-Cup verletzen, dass Investorenclubs wie Hoffenheim und RB Leipzig die Traditionsvereine überflügeln, es sein denn, letztere verausgaben ihrerseits Anteile an namhafte Gesellschafter aus der Wirtschaft auf Kosten der Mitsprache der Vereinsmitglieder, dass fußballdesinteressierte Wirtschaftsentscheider mit der Währung Logenplatz ihre Netzwerke bespaßen auf Kosten der Stimmung aber zugunsten der Südkurvenpreise im Stadion. Ich habe lange geglaubt, sowohl Verein als auch Fans arrangierten sich mit diesen Themen, nähmen sie als notwendige Übel hin und versuchten, einen guten Kompromiss zwischen professioneller Fußballarbeit, Nähe zu den Fans, Wirtschaftlichkeit inkl. dem Erschließen neuer Märkte zu finden.

Doch wenn diese Gewöhnung auf Seiten des Vereins zum völligen Realitätsverlust führt. Wenn unser Ehrenpräsident Beckenbauer in einem Anflug von grotesker Hardcore-Naivität behaupten darf, er hätte in Katar noch nie einen Sklaven gesehen. Wenn Spieler wie Bastian Schweinsteiger im Film „Die Mannschaft“ Dankesworte an den Chef der absurd korrupten FIFA Sepp Blatter richtet. Wenn Arjen Robben sich über die fabelhaften Trainingsbedingungen in Katar auslässt — und darüber hinaus über nichts sonst. Wenn anonymen Dummschwätzern à la „Säbener Sigi“ auf der Club-Homepage ein Forum geboten wird. Wenn sich die eigenen Fans dann im ach so aufgeklärten abendländischen Deutschland jegliche Kritik am Vereinsgebaren als Angriff auf ihre Lebensliebe missverstehen, als hätte man es mit bockigen Teenagern zu tun, die inmitten der Pubertät ihren „Schwarm“ verteidigen — wogegen auch immer…

… dann ist für mich der Punkt erreicht, an dem ich kurz mal einhaken muss, um zu fragen: Ähm, alles klar?

Ganz offenbar gibt es hier großen Bedarf, den moralischen Kompass nochmal einzunorden.

Die moralisch gute Handlung hat mit Gesetzestreue in etwa so viel zu tun wie eine Taschenlampe mit Tageslicht. Sind die gangbaren Wege gut ausgeleuchtet, sind die Spielregeln hell und klar, dann brauche ich zur Orientierung selbst keine künstliche Beleuchtung. Dienst nach Vorschrift und ich stehe auf der richtigen Seite. Alles richtig gemacht. Gegen keine Regel verstoßen. Ethik, also die Frage nach dem richtigen Handeln, kommt aber immer dann ins Spiel, wenn ich entweder Böses will und ich die Chance habe, in der Dunkelheit unerkannt zu bleiben oder aber, wenn die Regeln selbst keine Auskunft über die Richtigkeit meiner Tat mehr geben. Dann ist es eine Frage des Charakters, gut von schlecht unterscheiden zu können. Das hat mit Haltung zu tun.

Sport und Politik: Wo ziehe ich die Grenzen

Ich unterstelle dem FC Bayern deshalb ethisches Versagen, weil er sich auf den Standpunkt zurückzieht, es sei schließlich nicht verboten, nach Katar und Saudi-Arabien zu reisen. Und überhaupt, auch in den USA, wo die Bayern-Frauen gerade weilen, leisten sich Bundesstaaten noch die Todesstrafe, wo soll man da die Grenze ziehen? So kann man argumentieren… Schließlich unterhält die Bundesrepublik Deutschland freundschaftliche Beziehungen zu diesen Ländern, wie sich auf den Seiten des Auswärtigen Amtes nachlesen lässt. Das ist richtig. Gerade weil es nicht verboten ist, sollte sich der FC Bayern den Luxus erlauben, eine eigene moralische Haltung zu entwickeln und die Augen vor den massiven Menschenrechtsverletzungen seiner Gastgeber nicht zu verschließen. Sonst helfen all die schönen Kinderhilfs- und Dominik-Brunner-Stiftungen nichts, um den Persilschein einzulösen. Ob das bedeuten muss, dort nicht mehr hinzufahren oder seinen Status als Global Player mit Millionenpublikum zumindest dafür zu nutzen, auf Missstände hinzuweisen statt sie als irrelevant hinzunehmen, darüber muss man sich auseinandersetzen. Das ist das Mindeste.

Generell bin ich der Auffassung, dass Austausch und Begegnung, dass der Dialog der bessere Weg ist, Verständigung herzustellen als Ausgrenzung und Isolation. Auch in der Politik stellt sich oft die Frage, ob man Handelsbeziehungen gegen Völkerrechtsbrecher per Sanktionen abbricht, ob man Diplomaten ausweist und von Gesprächen ausgrenzt, um Druck auszuüben — oder ob das im Gespräch bleiben der bessere Weg ist. Häufig verfolgt man dann beide Strategien: öffentliches Anprangern nach außen, Geheimverhandlungen hinter den Kulissen. Auch die Politik hat für den Sport also keine Konfektionslösung auf der Stange baumeln. Deshalb tue ich mich schwer, pauschal Vereine in die Pflicht zu nehmen, ganze Erdteile nicht zu bereisen. Daher finde ich es auch nicht verwerflich, wenn ein Mike Hanke zum Ausklang seiner Karriere in China kickt oder ein Guardiola in Katar. Zudem stellt sich ähnlich wie bei Sanktionen die Frage, wann man eher dem Regime und wann man eher der Bevölkerung schadet. Finden sich aber in den Testspielstadien vor allem Prinzen der Elite statt Fanclubs und Familien samt Frauen, dann lässt sich der FC Bayern nur noch als Gaukler und Hofnarr des Königshauses instrumentalisieren. Ein pauschales „Wir Sport, Politiker Politik“ ist der Gegensatz einer differenzierten Auseinandersetzung. Das ist zu wenig. Gerade der FC Bayern inszeniert sich gern als „Verein mit Herz“, „Familie“, „Verein mit sozialem Gewissen“. Wenn das nicht nur Teil des Marketingimages, sondern der Identität sein soll, dann trägt der Verein die gesellschaftliche Verantwortung und kann sie nicht an die Politik outsourcen.

In meinen milden Momenten verstehe ich Olympioniken, die ihr Leben lang auf ein großes Ziel hintrainieren, nur wenige Jahre in ihrem absoluten Leistungsmaximum zur Verfügung haben, auf die korrupte Vergabe der Spiele keinen Einfluss haben, dann aber von schnappatmigen Empörten zum Boykott aufgefordert werden. Das ist von einem einzelnen Sportler nicht zu verlangen. Auch verlange ich von Fußballprofis nicht das Grundstudium der Landeskunde eines jeden seiner zweiwöchentlich wechselnden Gastgeber. Aber völlig auf Durchzug stellen — das darf nicht sein. Auch einen Schalker mit Gazprom-Logo auf der Brust stärker zur Verantwortung zu ziehen als die ganze UEFA, die sich die Champions League vom selben Sponsor bezuschussen lässt, ist wohl ein scheinheiliger Ansatz. Der Verein darf sich aber schon Gedanken darüber machen, mit welchen Firmen er gemeinsame Sache macht. Es stellt sich also die Frage:

Warum machen die das?

Ohne über eine Innenperspektive zu verfügen, kann ich mir folgende Argumente vorstellen:

  • Sport – Ausgezeichnete Trainingsbedingungen sowohl klimatisch als auch von der Ausstattung und Unterbringung her.
  • Finanzen I – Ich habe keine Ahnung, ob man für ein Trainingslager direkt Geld bekommt (vermutlich nicht) oder weniger Ausgaben hat, weil z.B. Sponsoren Kosten übernehmen oder im Gegenzug für Namensmarketing und Bandenwerbung Gelder fließen. Vermutlich aber ist eine solche Reise für den Verein kein Verlustgeschäft.
  • Finanzen II – Erschließung neuer Märkte: Wachstumspotentiale befinden sich vor allem an Orten, an denen im Vergleich zum gesättigten und wirtschaftlich stagnierenden europäischen Markt die Fußballkultur und der Fußballkommerz noch nicht ausgereizt sind und zudem die Wirtschaft wächst. Mit dem Bekanntheitsgrad steigen Trikotverkäufe, Social-Media-Reichweiten, Fernsehgelder und Sponsorendeals. Der finanzielle Vorsprung der Premier League durch ein frühes Engagement im asiatischen Raum vor 10-20 Jahren steht für den Erfolg dieses Ansatzes.
  • Finanzen III – nicht nur der Verein hat finanzielle Interessen, auch die Sponsoren. Auch VW möchte die boomenden Märkte erschließen. Und dann liest man „Katar […] hält u.a. Beteiligungen an Volkswagen, Hochtief und Siemens.“ tja.

Ich hab gehört, an anderen Orten der Welt scheint die Sonne auch manchmal im Januar. Gute Trainingsbedingungen bietet Doha nicht exklusiv. Wie fehl in der Annahme gehe ich, wenn ich unterstelle, dass die sportlichen Gründe nicht die ausschlaggebenden sind in der Entscheidungsfindung des FC Bayern München? Diese Kosten-Nutzen-Analyse gilt es zu kippen:

Als Fan muss man sich fragen lassen, ob das zusammengeht, auf der Jahreshauptversammlung die finanziellen Rekorde zu beklatschen und zeitgleich die Kommerzialisierung anzuprangern. Den moralischen Anstand an der Pforte abzugeben, ist aber keine Option. Für keine Seite. Es wäre schade, würde es sich am Ende für den Verein „lohnen“, nur noch auf die Absatzpotentiale der Boygroupiefans zu setzen und sich gegenüber der Kritik zu verschließen. Die Stimmung in der Kurve ist gerade besser geworden. Machen wir da weiter.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 24. Januar 2015 in Jolles privatem Blog Kopfkompost.de.