It’s not the possession, stupid

Steffen Trenner 30.04.2014

Bayern war auch schon in der Triple-Saison 2012/2013 eine Ballbesitz-Mannschaft. Schon unter Heynckes lagen die Ballbesitz-Werte der Bayern-Elf regelmäßig jenseits der 60 Prozent. Echte Ausnahmen waren nur die beiden Halbfinal-Spiele gegen den FC Barcelona in denen Bayern den Katalanen den Ball etwas mehr überließ und aus einer stabilen Ausgangsposition agierte. Eine klassische Kontermannschaft waren sie aber auch da nicht wirklich. Unter Guardiola hat sich der Ballbesitz-Wert im Schnitt etwas, nicht dramatisch, erhöht. Bayern machte seine besten Saisonspiele in dieser Saison zum Beispiel beim 3:1-Sieg bei Manchester City mit Ballbesitzwerten über 65 Prozent. Die Ballbesitz-Ausrichtung selbst kann also nicht das Problem der Münchener sein. Es geht vielmehr um Details.

Ballbesitz ist die Grundlage nicht das Erfolgskriterium

Ballbesitz allein bedeutet nichts, das hat Guardiola selbst immer wieder betont. Es ist eine Binsenweisheit. Ballbesitzwerte gerade auf Champions League-Niveau sagen wenig darüber aus, ob eine Mannschaft eine größere Chance hat das Spiel zu gewinnen oder nicht. Ein Champions League Halbfinale ist mit 70 Prozent Ballbesitz oder mit 20 Prozent zu gewinnen. Ballbesitzwerte sagen meist lediglich etwas über die Spielphilosophie einer Mannschaft aus. Guardiolas grundsätzliche Ausrichtung ist klar. Er möchte den Ball beherrschen – nicht nur, weil er Torchancen kreieren möchte, sondern weil Ballbesitz aus seiner Sicht auch gleichzeitig die beste Verteidigungsstrategie ist. Hoher Ballbesitz ist die Grundlage des Bayern-Spiels nicht dessen Erfolgskriterium.

Der Vorwurf Guardiola würde Ballbesitz so hoch bewerten, dass Fernschüsse oder generell Abschlüsse nicht zwingend gewünscht seien, weil so der Ball potenziell verloren gehe, hält einer Überprüfung im Übrigen nicht stand. Bayern schoss in dieser Bundesliga-Saison im Schnitt 18,5 Mal pro Spiel aufs Tor. Unter Heynckes im Vorjahr 17,1 Mal. In der Champions League schoss Bayern im Schnitt 20 Mal pro Spiel aufs Tor. Unter Heynckes im Vorjahr 16,7 Mal. Bayern hat in 12 Champions League Spielen in dieser Saison 50 Mal mehr aufs gegnerische Tor geschossen als Real Madrid (239 Mal). Real Madrid ist Zweiter in dieser Statistik. Dass Bayern insgesamt trotzdem 13 Tore weniger schoss, spricht höchstens dafür, dass die Qualität der Abschlüsse etwas geringer ist oder Konzentrationsfehler zu einer schwächeren Chancenverwertung geführt haben. Auch der häufig geäußerte Vorwurf Guardiola würde im Prinzip den gleichen Fußball wie in Barcelona spielen lassen und damit System über die individuellen Stärken seiner Spieler stellen, ist nicht wirklich richtig. Guardiola hielt, anders als einige vor der Saison vorausgesagt haben sowohl an einem klassischen 9er (Mandzukic) fest und integrierte auch Individualisten und potenzielle Ballzirkulationsstopper wie Arjen Robben konsequent in sein System. Guardiola lässt anders als in Barcelona den Großteil der Standardsituationen hoch in den Strafraum schlagen und wechselte im Verlauf der Saison sogar wieder stärker auf das von Heynckes und van Gaal geprägte 4-2-3-1. Es ist nicht so, dass er alles beim Rekordmeister verändert hat.

Was Guardiola lösen muss

Guardiola sollte und wird in Zukunft trotz des Ausscheidens und der Schwächephase zum Ende der Saison an seiner grundsätzlichen Ballbesitz-Philosophie festhalten. Sie passt zum Spielermaterial. Sie passt zum FC Bayern. Er wird sich um Details kümmern müssen. Guardiola ist ein Meister des spacings, der Abstände, der Räume. Er arbeitet penibel wie kaum ein Anderer daran seinen Spielern Automatismen für bestmögliche Raumnutzung durch Passmuster und individuelle Bewegungen zu vermitteln. Er muss seinen Spielern einen Plan an die Hand geben welche Bewegungen, welche Passmuster hilfreich sind, wenn Bayern in Strafraumnähe den Ball hat und der Weg zum Tor von 6-8 dicht gestaffelten Spielern versperrt wird. Es geht um die Automatisierung von Ausstiegen aus Phasen des Ballbesitzes oder die Provokation von Isolationen in torgefährlichen Räumen. Das gilt gerade für einen Spielstand von 0:0, denn nichts tut dem Bayern-Spiel so gut wie eine 1:0-Führung. Seit 2010 hat der Rekordmeister nach einer 1:0-Führung nur drei von weit über 100 Pflichtspielen verloren. Bayerns Spiel wird nach einer Führung einfacher, selbstverständlicher, kraftsparender, erfolgreicher.

Guardiola wird auch das unter ihm deutlich verbesserte Gegenpressing besser nutzen müssen. Es ist nachvollziehbar, dass er kein auf- und ab von Strafraum zu Strafraum will. Gegen Real zeigte sich im Rückspiel in Phasen wie das enden kann. Aber die Jagd nach der schnellen Ballrückeroberung kann in bestimmten Momenten auch durch ein schnelles Umschalten nach Vorn gekrönt werden.

Auch defensiv wird Guardiola einige Entscheidungen treffen müssen. Wählt er in Zukunft wieder häufig, das offensiv bessere, aber defensiv riskantere 4-1-4-1 oder bleibt er mittelfristig beim 4-2-3-1. Und wenn ja, wählt er hier eher eine stabilere Variante mit einem Spielertypen wie Martínez, dessen Joker-Rolle Bayern in den Spielen gegen Real fraglos ein Fehler Guardiolas war oder eher eine spielerische Kombination mit Lahm, Schweinsteiger, Kroos und/oder Thiago. Auch die Wirkung der immer aufrückendenden und häufig einrückenden Außenverteidiger ist in bestimmten Spielen zu hinterfragen, da im Rücken der Außenverteidiger gefährliche Räume für Konter entstehen. Die Spiele gegen Real Madrid sind dafür das beste Beispiel.

Wie gesagt: All das sind Anpassungen im Detail. Keine Grundsätzlichen.

Jeder der eine klare Spielphilosophie verfolgt, läuft Gefahr, dass ihm genau diese bei jedem Misserfolg um die Ohren gehauen wird. Noch dazu, wenn sie so balldominant ausgerichtet ist, wie die von Pep Guardiola. Vier Torchancen bei 70 Prozent sehen nach Wenig aus. Vier Chancen bei 30 Prozent Ballbesitz nach Viel. Zu viel Tiki Taka könnte deshalb dauerhaft zur Überschrift jeder Bayern-Niederlage unter Guardiola werden. Im Februar war es Guardiola, der Bayerns Spielsystem geradezu ultimativ veredelt hatte. Nun ist seine Spielidee für viele Kommentatoren langweilig, leicht zu durchschauen und einfach auszukontern. Beide Urteile sind Überhöhungen und werden der Komplexität des Bayern-Spiels und des heutigen Fußballs insgesamt nicht gerecht. Es geht um Details. Bei den Problemen und den Problemlösungen im Bayern-Spiel.

It’s not the possession, stupid.