Die Schweinsteiger-Frage: Gehen oder bleiben?

Steffen Trenner 25.06.2015

Bastian Schweinsteiger ist für mich neben Oliver Kahn, dem ich als junger Torwart in den 90er Jahren immer nacheiferte, die mit Abstand größte sportliche Identifikationsperson in diesem Verein. Wenn ich an die zehn besten Bayern-Momente denke, die ich als Fan und Beobachter erleben durfte, ist er wahrscheinlich in sieben oder acht davon irgendwie involviert. Dass ich die Verkündung seiner Vertragsverlängerung im Dezember 2010 in der Allianz Arena zu diesen zehn besten Momenten dazu zählen würde, spricht dabei für sich. Es ist fast unwirklich, dass das Bundesliga-Debüt von Schweinsteiger bald 13 Jahre her ist. Kovac, Linke, Jeremies, Fink, Zickler, Ballack oder Elber hießen damals im Dezember 2002 seine Teamkollegen. Namen aus einer anderen Zeit. Seitdem hat Schweinsteiger zahlreiche Spieler kommen und gehen sehen. Hat hohe Höhen und tiefe Tiefen des FC Bayern in dieser Phase personifiziert und gelebt wie kein anderer.

Xavi, Gerrard, Totti, Schweinsteiger

Schweinsteigers Weg ist auch deshalb besonders, weil es um die Jahrtausendwende und vor allem in den Jahren zuvor absolut nicht üblich war, dass Spieler aus der eigenen Jugend den FC Bayern so maßgeblich prägten. Wenn es heute der Normalfall ist, dass mit Schweinsteiger, Lahm, Müller und Alaba Eigengewächse zur absoluten Weltspitze auf ihren Positionen gehören, wurde früher schon mit Stolz auf die Christian Nerlingers und Didi Hamanns dieser Welt verwiesen. Auch hier entstand eine gewisse Identifikation, aber das ist kaum zu vergleichen. Gerade weil Schweinsteiger anders als viele vor ihm trotz des Gegenwinds und einer zwischenzeitlich nicht zu leugnenden spielerischen Stagnation auf dem Flügel im Verein blieb und sich durchbiss.

Schweinsteiger steht gerade wegen dieser nicht immer geradlinig verlaufenen Karriere für mich auch einen Tick über Philipp Lahm, der quasi gleichzeitig mit Schweinsteiger die Bühne betrat. Lahm ist der talentiertere der beiden. Er spielte in den Jahren 2006-2014 nahe der Perfektion und war auf seiner Position fast konstant der beste der Welt. Lahm wird deshalb in hohem Maße respektiert. Schweinsteiger gerade auf Grund der Aufs und Abs und seiner Ecken und Kanten geliebt – ja vergöttert. Dass sich beide gemeinsam mit dem Triple 2013 und dem Weltmeistertitel 2014 nach über 10 Jahren gemeinsam krönten, gehört zu den besten Geschichten, die der deutsche Fußball je geschrieben hat.

Die einfache, emotionale Variante für die Zukunft von Bastian Schweinsteiger ist damit klar. Vertragsverlängerung bis 2018. Vielleicht noch ein Jahr mehr. Abschied mit 33/34 als ultimative Legende. Ehrenrunden und Choreos zu seinem Abschied. Der Weg also, den Spieler wie Del Piero, Xavi, Gerrard und Totti bei anderen Vereinen vor ihm gingen und gehen. Auch ich muss aber akzeptieren: Die Realität ist komplizierter.

Die Sport Bild heizte am Freitag die Gerüchte an, der FC Bayern wolle den bis 2016 laufenden Vertrag von Schweinsteiger nicht verlängern. Dieser denke deshalb über einen Abgang schon in diesem Sommer nach. Der Spin ist dabei klar: Guardiola plant mit jüngeren Spielern im zentralen Mittelfeld und sägt die Vereinslegende ab. Der Verein folgt ihm und unterwirft sich damit endgültig seinem katalanischen Angestellten. Auch hier ist die Realität jedoch komplizierter.

Schweinsteiger gibt die Richtung vor

Schweinsteiger muss eine Entscheidung treffen, die zwei Zeithorizonte betrifft. Die Zeit bis zur EM 2016 und die Zeit danach. Er will die deutsche Nationalmannschaft als unumstrittener Kapitän zur EM in Frankreich führen. Dafür muss er im Verein regelmäßig spielen. Die Konkurrenz im zentralen Mittelfeld beim FC Bayern ist extrem hoch. Stammplatzgarantien gibt es ohnehin schon lange nicht mehr. Denkbar ist, dass Guardiola bei seinen drei Ü30-Kräften Lahm, Schweinsteiger und Alonso und vor allem bei den letztgenannten ein Time-Sharing anstrebt. Dies hätte auch den Vorteil, dass alle unter der Saison Kräfte sparen könnten, um im Frühling 2016 topfit zu sein. In der Vorsaison schleppte sich Schweinsteiger spät in die Saison und kam nur langsam in Tritt, während Alonso am Ende sichtbar die Luft ausging. Ein Job-Sharing könnte also für beide Seiten Sinn machen, zumal die Vergangenheit auch gezeigt hat, dass sich beide Spieler auf dem Platz in guten wie in schlechten Eigenschaften eher addieren als ergänzen. Ob Schweinsteiger das mit Blick auf die EM 2016 ausreicht, ist fraglich. Vor allem dann, wenn ein Verein wie Manchester United ihn als Eckpfeiler holen möchte und damit quasi Einsatzzeiten garantiert.

Auch über 2016 hinaus geht es für Schweinsteiger um eine Grundsatzentscheidung. Will er als Nationalspieler zur WM 2018? Will er die Gelegenheit nutzen, zum Abschluss seiner Karriere Erfahrungen im Ausland zu sammeln oder wäre er damit zufrieden, seine Karriere in München mit wohl zunehmend reduzierter Spielzeit ausklingen zu lassen? Vielleicht als echter Leitwolf für Kimmich, Højbjerg, Rode und auch Götze, die auf und neben dem Platz viel von ihm lernen können. Aber reicht das einem zum Saisonstart 2016/2017 31-Jährigen? All das spielt in die Entscheidung in diesem Sommer mit hinein.

Völlig unglaubwürdig ist es dabei, dass der FCB seinem Vize-Kapitän keinen neuen Vertrag über 2016 hinaus anbieten will, wie es nun kolportiert wurde. Die öffentlichen Aussagen von Karl-Heinz Rummenigge, der Schweinsteiger noch im März in hohen Tönen lobte und Gespräche ankündigte, decken sich dabei mit dem, was hinter vorgehaltener Hand aus dem Verein zu hören ist. Wenn es einen Dissens gibt, dann geht es mit Sicherheit eher um Laufzeiten, Rollenverteilungen und die eben beschriebene sportliche Perspektive bis 2016 und darüber hinaus. Auch die Vermutung, dass Guardiola den 33-jährigen Xabi Alonso, dem 30-jährigen Schweinsteiger vorziehen würde, wirkt ziemlich schräg. Erstens ist der Spanier 2016 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin weg. Zweitens war auch bei ihm zuletzt öffentlich über eine im Vergleich zum Vorjahr deutlich reduzierte Rolle gesprochen worden. Beide stehen in einem Konkurrenzkampf mit Alaba, Højbjerg, Kimmich, Rode, Martínez und wohl auch Thiago und Lahm für in der Regel drei Plätze im zentralen Mittelfeld. Die hochgehandelten Gianluca Gaudino und Fabian Benko aus der eigenen Jugend kommen in den nächsten Jahren noch oben drauf.

USA als Option?

Ich habe mich in den vergangenen Wochen auch gefragt, was ich Bastian Schweinsteiger raten würde, wenn ich sein Berater wäre. Mein Rat sähe wohl wie folgt aus: Bis 2016 noch einmal alles raushauen. Vielleicht noch einmal die Champions League holen. Vielleicht den EM-Titel angreifen. Und dann als Held gehen. Zum Beispiel in die USA, um den Horizont zu erweitern und vielleicht auch, um mit etwas weniger sportlichem Druck die Zeit nach der Karriere vorzubereiten. Vor allem deshalb, weil beim FC Bayern nach jedem Spiel auf der Bank oder jeder Verletzung die komplette „Schweinsteigers Zeit ist vorbei“-Maschine angeworfen wird. Muss er sich das wirklich noch 3-4 Jahre geben? Er, der niemandem mehr etwas beweisen muss?

Rein sportlich kann Schweinsteiger (wenn er fit ist) dem Verein in den kommenden 2-3 Jahren auch in reduzierter Rolle helfen. Er hat sein Spiel zuletzt noch einmal weiterentwickelt. Ist nicht „nur“ Stratege, sondern auch als nachstoßender Mittelfeldspieler deutlich torgefährlicher geworden, wovon seine Mannschaft eindeutig profitierte. Ein wenig erinnerte er dabei mit seinen Aktionen am und im Strafraum an Frank Lampard, den er lange Zeit ein fußballerisches Vorbild nannte. Klar ist aber auch, dass Schweinsteiger mit Spielern ergänzt werden muss, die seine Schwächen, beispielsweise in der Konterverteidigung und im Nadelspiel in den 8er-Räumen kaschieren. Fraglich war deshalb schon im Vorjahr, ob Schweinsteiger in einem möglichen Champions-League-Finale auf dem Platz gestanden hätte, wenn alle Spieler im Kaders fit gewesen wären. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Gleiches gilt für seine Verletzungsprobleme, die seine Einsatzzeit von der Triple-Saison (3.665 Minuten) auf 2.661 Minuten in der 13/14er Spielzeit und 1.939 Minuten in der 14/15er drückte. Sprunggelenksprobleme und eine Reizung der Patellasehne zwangen ihn zu längeren Pausen, die mit in die Gesamtbetrachtung gehören. Gerade im Hinblick auf die Frage, wie der FC Bayern sich mittelfristig im zentralen Mittelfeld aufstellt und ob weitere, zusätzliche Konkurrenz hinzu geholt wird.

All das zeigt: Es gibt eine emotionale, einfache Sicht und es gibt eine komplizierte, realistische Sicht auf die Diskussion um die Zukunft von Bastian Schweinsteiger, der hier die Richtung vorgeben muss. Letztlich wird es darauf ankommen, dass sich Vereinsführung und Spieler sehr tief in die Augen schauen, um einen gemeinsamen Weg zu finden, der am Ende auch Trennung heißen kann. Auch wenn es schwer fällt. An Schweinsteigers Bedeutung für diesen Verein würde das ohnehin nichts ändern.