Die Posse um Sinan Kurt

Christopher Trenner 31.07.2014

Zuletzt zogen sich die Verhandlungen aber wie Kaugummi. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Gladbacher sichtlich unzufrieden mit dem heimlichen Abwerben ihres potenziellen Stars. Kurz vor dem Bekenntnis von Kurt zum FC Bayern gab es ein Gespräch mit Trainer Lucien Favre und Sportvorstand Max Eberl. Dabei wurden dem Spieler Perspektiven für die Saison klar aufgezeigt. Die Berufung in die 1. Mannschaft stand bevor, Sinan Kurt sollte die komplette Vorbereitung durchlaufen und fester Bestandteil des Bundesligateams werden. Durch die „Doppelbelastung“ mit der Euro League wären für den Offensivspieler sicherlich einige Bundesligaminuten möglich gewesen.

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Darüber hinaus ärgert Gladbach, dass sie mehrfach mit Matthias Sammer über Alessandro Schöpf gesprochen haben, dieser allerdings nicht das Interesse an Sinan Kurt ‚öffentlich‘ machte. Dass Schöpf dann nach Nürnberg ziehen durfte, anstatt nach Mönchengladbach, wird die Beziehung zur sportlichen Führung der Fohlenelf nicht verbessert haben.

Der Sportdirektor, der übrigens in der FC Bayern Jugend groß geworden ist, trägt als mögliche Retourkutsche die komplette Verhandlung in die Öffentlichkeit. So ließ er verlautbaren, dass nur ein Tausch mit Pierre Emile Højbjerg eine Option für ihn sei. Später setzte er die öffentliche Ablöseforderung auf 5. Mio Euro, eine Menge Geld für einen Spieler der bisher keine Bundesligaminuten auf dem Konto hat. Zuletzt ließen die Gladbacher durchsickern, dass der FC Bayern beim Telekom Cup nicht während des Spiels im VIP-Bereich über Kurt verhandelt habe, sondern erst bei der Abreise mit einem Briefkuvert. Es entsteht der Eindruck, dass sich Max Eberl etwas zu deutlich auf Kosten des FC Bayern profilieren will – und so mögliche Fehler bei der Vertrags- und Zukunftsplanung von Sinan Kurt kaschieren möchte. Letztendlich wird der Spieler wohl wechseln, es ist nur noch die Frage des „wann“ und nicht des „ob“.

Die sportliche Perspektive von Sinan Kurt

Für den Spieler indes ist diese Situation alles andere als glücklich. Es mag verständlich sein, dass der FC Bayern die Mondpreise von Borussia Mönchengladbach nicht zahlen möchte, aber der Spieler ist in dieser Situation alleine gelassen. Aktuell darf er nicht, wie angedacht, mit den Gladbacher Profis trainieren, sondern ‚lediglich‘ mit der zweiten Mannschaft. Eine Vorbereitung unter Pep Guardiola hätte Kurt sicherlich gut getan, wurde bzw. konnte aber aus den genannten Gründen nicht realisiert werden. Würde der Wechsel jetzt zustande kommen, so müsste sich Kurt wohl erst einmal hinten anstellen. Nicht zuletzt weil die eigenen A-Jugenspieler Scholl und Gaudino in der Vorbereitung durchaus punkten konnten.

Sinan Kurt wird beim FC Bayern die gleiche Rolle einnehmen wie ein Julian Green oder Mitchell Weiser in der letzten Saison. Somit kann er sicherlich die ein oder andere Bundesliga- oder Europapokalminute sammeln, allerdings zumindest im ersten Jahr noch nicht einen Kaderplatz 12-15 einnehmen. Vornehmlich soll Sinan Kurt aufgrund seiner Fähigkeiten auf einer der offensiven Außenbahnen eingesetzt werden. Allerdings ist der FC Bayern auf der Außenbahn auch in der zweiten Reihe gut besetzt. Sollten Ribery & Robben einmal nicht spielen, so stehen mit Thomas Müller, Xherdan Shaqiri, Juan Bernat oder Jugendspieler Julian Green etliche Alternativen im Kader. In den Gladbacher Jugendmannschaften hat Kurt des Öfteren auch ganz vorne im Sturm gespielt. In einem möglichen 3-5-2 System könnte er neben dem Stürmer Lewandowksi oder Pizarro als ‚hängende Variante‘ agieren und das Spiel gestalten. Diese Variante ist wohl gegenwärtig die wahrscheinlichste. Hierfür müsste Kurt aber körperlich noch deutlich zulegen, um sich gegen die kantigen Innenverteidiger bzw. defensiven Zerstörer im Mittelfeld zu behaupten.

Der sportliche Mehrwert – eine Annäherung

Indes bleibt die Frage, welchen sportlichen Mehrwert eine Verpflichtung hat. Hierbei kann Goalimpact.com helfen. Der Goalimpact besagt, wie groß der Einfluss eines Spielers auf die Tordifferenz seiner Mannschaft war. Je höher der Wert, desto besser. Durchschnitt ist 100, darunter mangelt es einem Spieler (noch) an Bundesliganiveau. Ein Wert über 150 ist Weltklasse. Das eröffnet die Möglichkeit, Spieler über die Grenzen von Position, Liga, ja sogar Generationen hinweg zu vergleichen. Taktische Empfehlungen kann man daraus aber nicht ableiten, denn der Goalimpact besagt nicht, wie der Spieler die Tordifferenz verändert.

Goalimpact von Sinan Kurt
Goalimpact von Sinan Kurt

Sinan Kurt hat derzeit einen Goalimpact von 67. Sein Peak – also bestmöglicher Wert wird aktuell mit 123 berechnet. Dies reicht für die Bundesliga, aber wohl nicht für einen Stammplatz beim FC Bayern. Zum Vergleich: Julian Green liegt aktuell bei 98 (Peak 140), Julian Bernat bei 103 (Peak 123), Ylli Sallahi ebenfalls bei 98 (Peak: 127) und Lukas Scholl bei 62 (Peak 118).

Kurzum: Alle besagten Spieler haben Perspektive, müssen sich aber noch deutlich weiter entwickeln, um beim FC Bayern dauerhaft Fuß zu fassen. Die besten Chancen hat gegenwärtig Julian Green, nicht zuletzt aufgrund seines Erfahrungsvorsprunges durch die Weltmeisterschaft. Wäre er nicht zum größten Teil während der Rückrunde verletzt gewesen, so hätte er wohl schon deutlich mehr Minuten auf dem Konto. Schließlich hat es gerade in der Offensiv-Reihe einige Ausfälle zum Saisonende gegeben. Mit Sinan Kurt kommt jetzt zeitnah ein Spieler, der viele gute Anlagen mitbringt, aber zunächst wohl zwischen Profi- und Amateurmannschaft pendeln muss. Auch im Angesicht seines Goalimpacts wird er sich noch deutlich steigern müssen, um eine Chance bzw. Perspektive beim FC Bayern zu haben. Gerade weil der FC Bayern sich den Luxus leistet auf seiner Position einige Jungspieler im Kader zu haben.

Sinan Kurt wird den Verein wechseln, aber seine Zukunft ist beim FC Bayern nicht sicherer als zuletzt bei Borussia Mönchengladbach.