Das leise Comeback des Javi Martínez

Steffen Trenner 09.10.2015

Gerade einmal 30 Pflichtspielminuten verbuchte Martínez in einer für ihn persönlich schrecklich verlaufenen Saison 2014/2015. Nach einer enttäuschenden WM mit dem Vorrunden-Aus der Spanier war Martínez mit großen Hoffnungen in die Vorbereitung gestartet. Ein kompliziertes erstes Jahr unter Guardiola, der seine Position im zentralen Mittelfeld mehr oder weniger abgeschafft hatte, lag zu diesem Zeitpunkt hinter ihm. Nun plante der Bayern-Coach auch und vor allem wegen der außergewöhnlichen Fähigkeiten von Martínez häufiger auf eine Dreierkette zu setzen.

Im Supercup 2014, also beim unwichtigsten Pflichtspiel der Saison, kollidierte Martínez bei einem Torschussversuch mit Dortmunds Marcel Schmelzer. Der diagnostizierte Kreuzbandriss stellte sich später als Totalschaden im Knie heraus. Neben dem Kreuzband waren auch das Außenband, der Innenmeniskus und die Kapsel im linken Knie schwer beschädigt worden. Das erklärte auch, warum Martínez so lange brauchte, um den Weg zurück aufs Spielfeld zu finden. Vereinzelt tauchten sogar Fragen auf, ob Martínez überhaupt noch einmal auf hohem Niveau zurückkehren kann.

Beim FC Bayern war man extra vorsichtig mit dem Mann, der im Sommer 2012 für 40 Millionen Euro aus Bilbao nach München gewechselt war. Obwohl Martínez in der Endphase der 2014/2015er Saison bereits wieder zu zwei Kurzeinsätzen kam, dauerte es bis zum fünften Spieltag der laufenden Saison, ehe er gegen Darmstadt als vollwertiger Teil der Mannschaft zurückkehrte. Der FC Bayern entschied sich bewusst dafür, dem 27-Jährigen eine Extra-Runde in der Rehabilitation zu verordnen, um Muskulatur und Stabilität im Knie weiter zu stärken und mögliche Belastungsstörungen zu minimieren.

Rückkehr in neuer Rolle

Nun ist Martínez zurück. Fünf Einsätze, davon zwei von Anfang an stehen inzwischen in der Statistik. Gegen Dortmund spielte er zum ersten Mal seit 16 Monaten durch. Es ist so etwas wie fußballerischer Alltag eingekehrt. Genau das also, wofür er so lange weit weg vom Fußballplatz gearbeitet hat.

Für den Verein kommt sein Comeback auch deshalb zur rechten Zeit, weil mit Holger Badstuber und Medhi Benatia die einzig verbliebenen gelernten Alternativen zu Jerome Boateng wochenlang fehlen. Martínez nähere Zukunft dürfte, zumindest so lange der Coach Pep Guardiola heißt, ohnehin in der Innenverteidigung liegen. Grundsätzlich ist es zwar denkbar, dass Martínez als unterstützender Zweikämpfer wieder in die Mittelfeldzentrale rückt, doch sein Trainer scheint sich auf spielstärkere (Alonso, Thiago, Kimmich, Lahm) oder torgefährlichere (Götze, Vidal) Spieler in den zentraleren Positionen festgelegt zu haben. Es muss sich noch herausstellen, ob Martínez in der Verteidigung eine ebenso tragende Rolle übernehmen kann, wie in seiner besten Saison 2012/2013 im zentralen Mittelfeld.

Martínez Anteil an der historischen Triple-Saison kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Er war wahrscheinlich der MVP dieser Saison, weil er wie ansonsten nur Philipp Lahm ein extrem hohes Leistungsniveau über eine komplette Saison durchhielt. Er spielte in allen Champions League-Spielen von Beginn an. Er bewies, dass es möglich ist, das Mittelfeldzentrum zu dominieren ohne dafür den Ball zu haben. Er terrorisierte Xavi und Iniesta im Champions League Halbfinale und er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Münchner gegen Dortmund im Verlauf des Finals die Mittelfeldhoheit erlangten und damit letztlich auch das Spiel gewannen. Martínez ergänzte das ohnehin leistungsstarke Gefüge der Mannschaft um eine besondere Komponente im zentralen Mittelfeld. Er balancierte die Mannschaft von Jupp Heynckes endgültig aus. Er war das fehlende Puzzlestück. Mit seiner Zweikampfstärke, seinem Kopfballspiel und seinen balancegebenden Fähigkeiten im Kombinationsspiel ergänzte er Bastian Schweinsteiger und/oder Toni Kroos in der Münchner Zentrale perfekt.

Auch Guardiola weiß, um diese außergewöhnlichen Fähigkeiten. Er experimentierte in seiner ersten Saison viel herum mit dem spanischen Nationalspieler, der mit seinem Tor in der 120. Minute im europäischen Supercup gegen Chelsea für ein Highlight der Saison sorgte. Er stellte ihn auf die 6, auf die 8, in die Viererkette und schließlich im DFB-Pokalfinale 2014 ins Zentrum einer Dreierkette.

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Im Zentrum begann er auch am Wochenende gegen Dortmund, ehe Guardiola nach 15 Minuten umstellte und Martínez und Boateng die Rollen tauschen ließ. Bis dato hatte der Baske große Anteile im Spielaufbau und war ansonsten eher in einer absichernden Rolle für seine beiden Nebenmänner Boateng und Alaba aktiv. Weil Mkhitaryan konsequent Boateng zustellte war dieser im Spielaufbau zunächst stark eingeschränkt.

Durch den Tausch rückte Boateng in die freiere Rolle im Zentrum und bereitete am Ende mehr Torchancen vor als jeder andere Feldspieler. Boateng spielte in dieser Saison pro 90 Minuten fast doppelt so viel lange Bälle wie Martínez, der eher mit kurzen Pässen agiert. Nach der Umstellung gegen Dortmund musste Martínez deutlich mannorientierter verteidigen und traf häufig auf Mkhitaryan oder Aubameyang. Martínez, der in 271 Pflichtspielminuten noch nicht ein einziges Mal ausgedribbelt wurde und nur eines seiner 20 Kopfballduelle verlor, machte seine Sache über weite Strecken ordentlich. Beim Gegentor, als die Münchner durch die Dortmunder Umstellung auf 4-2-3-1 für einen kurzen Moment in Unterzahl gerieten, ließ er Aubameyang jedoch im Rücken weglaufen. Es war der erste kleinere Fehler in einem ansonsten sehr soliden Saisonstart von Martínez.

Martínez muss Zweifel beseitigen

Auf Grund der starken Form der Mannschaft hat er nun die Zeit nach der Verletzung in neuer Rolle anzukommen. Nach Monaten des Wartens ist jetzt das Zeitfenster da, um sich festzuspielen. Egal ob in Vierer- oder Dreierkette. Wenn es gut läuft, kann er dabei wieder eine Konstante im Bayern-Spiel werden. Seit der Ankunft von Guardiola wird ein verlässlicher Partner für Jerome Boateng gesucht. Dante genügte allerhöchsten Ansprüchen zuletzt nicht mehr. Badstuber und Benatia standen Verletzungen im Wege. Der Spanier hat ohne Zweifel das Potenzial diese Lücke zu füllen.

Martínez muss dafür das Risiko im Aufbauspiel sukzessive erhöhen. Er wird sein Repertoire um die in dieser Saison stilbildenden präzisen Diagonalbälle auf den Flügel erweitern müssen. Er muss zudem Restzweifel ausräumen, dass er auch gegen konterstarke Teams mit schnellen Angreifern in letzter Linie bestehen kann. Mit Arsenal, Köln und Stuttgart stehen in dieser Hinsicht in den nächsten Wochen ein paar interessante Aufgaben an.

All das klingt nach Alltag im immer grauer werdenden Herbst des Jahres 2015. Es war aber sicher auch die Aussicht auf eben diesen Alltag, die Martínez durch die quälend lange Rehabilitation nach der schweren Verletzung getragen hat. Javi Martìnez, der vielleicht wertvollste Spieler der wohl besten Saison in der Geschichte des FC Bayern, ist wieder wichtig in München. Jeder, der es mit dem FC Bayern hält, darf sich darüber freuen. Für den Verein, aber auch für ihn ganz persönlich.

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