Der Bayern-Spieler der Hinrunde – oder: Die Rückkehr des Raumdeuters

Steffen Trenner 23.12.2012

Die Rückkehr des Raumdeuters

http://www.youtube.com/watch?v=PN23o7JpguI

Nicht wenige stellten in den vergangenen Jahren die These auf, dass Thomas Müller seinen Leistungshöhepunkt im Jahr 2010, inklusive einer herausragenden WM als Torschützenkönig, bereits erreicht hat. Es ist der Fluch eines jeden Fußballers, der schon in jungen Jahren auf internationaler Bühne glänzt und fortan an diesen Auftritten gemessen wird. So ein Turnier weckt Erwartungen, die schwer zu erfüllen sind – Spieler wie Salvatore „Toto“ Schillaci können ein Lied davon singen. Auch aus Müller, dem lange Zeit scheinbar alles gelang, schien nach der WM 2010 ein Suchender zu werden. Ein Suchender, der die richtige Balance zwischen Erwartungen und realistischer Leistungsfähigkeit finden musste. Ein Suchender, der mit zunehmender Konkurrenz bei Bayern und in der Nationalelf plötzlich um seinen Platz kämpfen musste. Viele machten die zwei titellosen Jahre der Bayern auch an ihm fest. Dabei traf Müller für einen Mittelfeldspieler weiter auf ordentlichem Niveau. In der Saison 2010/2011 traf er 12 mal und bereitete 12 Treffer vor. In der Saison 2011/2012 waren es dann nur noch 7 Treffer, aber immer noch 10 Assists. Der einstmals für seine Kaltschnäuzigkeit gelobte Müller traf in der Hinrunde der Vorsaison gerade zwei Mal das Tor und vergab dabei Großchancen en masse. Seine Interviews kippten in dieser Phasen häufig von frech zu ruppig. Auf dem Platz geriet er körperlich mit Arjen Robben und Jerome Boateng aneinander. Im Training schrie er sich Holger Badstuber an. Dazu kokettierte er öffentlich mit einem Wechsel ins Ausland. Man merkte: Hier kämpft einer mit dem ersten richtigen Gegenwind seiner noch jungen Karriere.

Es sind diese Phasen im Leben eines Fußballers, die darüber entscheiden können, wie eine gesamte Karriere weiter verläuft. Es ist die Weggabelung zwischen ewigem Talent und langjährigem Leistungsträger. Bastian Schweinsteiger war in den Jahren 2007-2009 in der gleichen Situation. Schaut man sich die Hinrunde der Saison 2012/2013 an, spricht vieles dafür, dass Müller genau wie Schweinsteiger die richtigen Lehren aus dieser Phase gezogen hat.

Alte Effektivität durch neue Freiheiten

Thomas Müller litt in den vergangenen Jahren auch ein wenig darunter, dass er meist auf dem rechten Flügel spielen musste und nicht wie in seiner Coming-Out-Saison 2009/2010 als freier offensiver Mittelfeldspieler hinter der einzigen Spitze irrlichtern konnte. Es war diese Position, die ihm zum Durchbruch verhalf, weil er dort seine Torgefahr und sein Gespür für den richtigen Raum nah am Tor perfekt nutzen konnte. Mit der Rückkehr von Toni Kroos zum FC Bayern, den langwierigen Verletzungen von Arjen Robben und Franck Ribery und den Irrungen und Wirrungen auf dem Trainerstuhl rückte Müller in der Folge zunehmend auf die Außenbahn. Zwar spielte er dort formell auch bei der WM 2010 für Deutschland, doch die Systeme (besser die Systemtreue) von Löw und den van Gaal-Bayern sind nicht unbedingt zu vergleichen. Während van Gaal von seinen Außenbahnen erwartete konsequent ihre Positionen zu halten und das Spiel breit zu machen, nutzte Löw Müllers große Stärke und ließ ihm offensiv, ähnlich wie Podolski auf der anderen Seite, mehr Freiheiten sich die Räume im Offensivspiel selbst zu suchen. Außerdem boten Mannschaften wie England oder Argentinien den Deutschen bei der WM viel mehr Platz als es die meisten defensiv eingestellten Bundesliga-Mannschaften gegen den FC Bayern tun.

Das van Gaal-System, das auch noch im Jahr 2011/2012 unter Heynckes nachwirkte,  zwingt die offensiven Außen in viele 1:1 oder besser 1:2-Duelle. Für Tempodribbler wie Ribery und Robben ist dies wie gemacht, da sie eine Verteidigung durch ein erfolgreiches Dribbling auseinanderreißen können. Gerade dann wenn die gegnerische Defensive durch Doppeln oder Trippeln auf den Außen Räume im Zentrum freigibt. Thomas Müller ist kein solcher Tempodribbler. Er kann zudem als Rechtsfuß anders als die inversen Robben und Ribery nicht ohne weiteres mit dem Ball in die Mitte und damit in Richtung Tor ziehen. Müller wurde in einem solchen disziplinierten System fast all seiner Stärken beraubt.

Auch in dieser Hinrunde spielt Müller meist auf der rechten Außenbahn, aber er profitiert wie kaum ein Zweiter von den neuen Freiheiten und der Fluidität im System von Jupp Heynckes. Müller, Kroos und Ribery tauschen häufig die Positionen und sind frei sich ihre Räume in der Offensive situationsabhängig selbst zu erarbeiten. Müller kann so häufiger ins Zentrum ziehen und taucht auch immer wieder auf dem halblinken Flügel auf. Es ist die Rückkehr des Raumdeuters, wie sich Müller einmal selbst genannt hat. Es ist eine präzise Beschreibung seiner Fähigkeiten. Müller ist nicht der Schnellste, nicht der Zweikampfstärkste, nicht der Dribbelstärkste, nicht der Kombinationssicherste und keine echte Gefahr im Kopfball-Spiel. Aber er hat ein unglaubliches Gespür für die Situation. Für den richtigen Laufweg, den richtigen Pass oder den richtigen Moment für den Torabschluss. Sein Tor zum 2:0 gegen den HSV am 10. Spieltag war der Kulminationspunkt seines Spiels und das Sinnbild des Spielertypus Thomas Müller:

http://www.youtube.com/watch?v=VfgNj7wH2VA

Mit 9 Toren und 9 Vorlagen führt er die Scorer-Liste der Bundesliga an. Hinzu kommen drei Treffer in der Champions League und eine Vorlage im Pokal. 9 Mal war er dabei mit einem Tor oder einer Vorlage am 1:0 beteiligt. Außerdem hat er die Schwächephase der Bayern beim Elfmeter beendet und traf drei Mal vom Punkt. Thomas Müller hat seinen Vertrag bis zum Jahr 2017 verlängert. Er ist der Bayern-Spieler der Hinrunde 2012/2013.

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