Arturo Vidal: Kein typischer Guardiola-Spieler

Justin Trenner 25.03.2016

Es lässt sich nur spekulieren ob Pep Guardiola bereits damals wusste, was er ab Sommer 2016 tun würde, oder ob er diesen Transfer tatsächlich wollte. Arturo Vidal ist kein Spieler der in das typische Anforderungsprofil des Katalanen passt. Der Chilene ist auch niemand der für strategisch kluge Entscheidungen auf dem Platz steht. „Der Krieger“, wie er in Italien genannt wurde, symbolisiert Tugenden wie Zweikampfhärte, Kampfgeist und den unbedingten Willen Spiele zu gewinnen. Eigenschaften die in Pep Guardiolas Spielidee eigentlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vidal bringt dennoch auch technische Grundfähigkeiten mit. Wenn man nach Argumenten für eine Verpflichtung gesucht hat, dann war es durchaus naheliegend, dass der 28-Jährige eine Lücke schließen sollte, die in beiden vorherigen Guardiola-Jahren speziell von stärkeren Teams offenbart wurde. Die Rede ist vom Gegenpressing der Münchner und der damit verbundenen Konteranfälligkeit. Pep Guardiola liebt Kontrolle und Dominanz. Um Konter zu vermeiden, so die Idee des Katalanen, muss die Mannschaft schon mit dem Ball klug verteidigen. Eine der größten Fähigkeiten Vidals liegt genau in diesem Bereich. Bei Ballverlusten ist er oft der erste Spieler der den Gegner aggressiv attackiert und einen Konter vermeidet. Doch ging die Verpflichtung von Arturo Vidal auf? Wie hat sich der Chilene entwickelt und ist er die hohe Ablösesumme wert?

Der Neuzugang von Juventus hat sich schnell in die Mannschaft gespielt. In der Hinrunde absolvierte er 1.716 Pflichtspielminuten für die Bayern. Dennoch gab es immer wieder berechtigte Kritikpunkte am Chilenen. So wirkte er oft nicht handlungsschnell genug, verlor viele einfache Bälle durch technische Fehler oder blieb schlicht zu unauffällig. Besonders wenn Vidal auf der Sechser-Position agierte, blieb er häufig zu behäbig und ideenlos. Die wichtige Ballzirkulation des FC Bayern sollte einige Male an ihm hängen bleiben. Das alles waren jedoch Probleme mit denen man rechnen konnte, wenn man bedenkt, dass der ehemalige Leverkusener kein Thiago oder Xabi Alonso ist. Deshalb war es wenig überraschend, dass Vidal am Anfang in einigen Spielen nicht die Leistung abrufen konnte, die man aus seiner Zeit bei Juventus Turin gewohnt war.

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Im Video sieht man eines seiner anfänglichen Probleme recht deutlich. Arturo Vidal bewegt sich erst nicht schnell genug auf die linke Seite um Bernat eine weitere Anspielstation zu verschaffen und entscheidet sich schließlich trotz viel Platz für einen Rückpass, statt die vertikale Lösung zu suchen. Pep Guardiola gefiel das gar nicht, wie man seiner Reaktion entnehmen kann. Neben einer für Vidal anstrengenden Copa América ist also auch die Eingewöhnung an das System vom Katalanen ein berechtigtes Argument für die durchwachsene Hinrunde.

Doch wie durchwachsen war die Hinrunde wirklich? Wie bereits erläutert, hatte Vidal seine größten Probleme mit dem Positionsspiel der Münchner. In den wichtigsten Begegnungen spielte er aufgrund seiner Defizite zunächst keine größere Rolle, wenngleich er fast in jedem Spiel auf dem Feld stand. Gegen Dortmund bekam Vidal im Hinspiel lediglich 22 Minuten und auch im Rückspiel gegen Arsenal sowie dem Pokal-Spiel in Wolfsburg sammelte er seine Minuten nur von der Bank. Die Wichtigkeit des Chilenen sollte sich im Laufe der Saison aber steigern. Betrachtet man seine Statistiken, fällt besonders in engen Spielen auf, dass Vidal jemand ist der Verantwortung übernimmt. So hatte er auf Schalke, wo es lange Zeit Unentschieden stand, zum Beispiel 11 Defensiv-Aktionen, vier Torschussvorlagen, zwei eigene Abschlüsse und 139 Ballkontakte. Auch in Bremen (vier Tacklings, 98 Ballkontakte), gegen Hertha (fünf Defensiv-Aktionen, zwei Torschussvorlagen, vier Abschlüsse, 124 Ballkontakte) und in Hannover (sieben Defensiv-Aktionen, zwei Torschussvorlagen, vier Abschlüsse, 122 Ballkontakte) machte er jeweils gute Spiele in Begegnungen, die im Ergebnis vielleicht deutlicher wirken als sie waren. In anderen Spielen, wo der FC Bayern klar überlegen war, fiel er jedoch häufig ab. So hatte er beim 5:1 gegen den VfL Wolfsburg nur vier Defensiv-Aktionen, zwei Torabschlüsse und lag mit 85 Ballkontakten unter seinem Durchschnitt von 100,27 pro Hinrunden-Spiel.

Man könnte also sagen, dass Vidal zwar in der Hinrunde schon oft sehr gut war, dies aber zu inkonstant auf den Platz brachte. Der Chilene war auch im letzten Jahr bereits in vielen Spielen sehr präsent. Lediglich die Probleme im Stellungsspiel und Kombinationsspiel des FC Bayern fielen immer wieder auf. Gerade wenn Xabi Alonso auf dem Platz stand, tauchte Vidal häufig ab. Der Spielaufbau zählt nicht zu seinen am stärksten ausgeprägten Grundfähigkeiten. Neben Alonso wirkt er zudem etwas verschwendet, weil er dem Spanier zu häufig auf den Füßen steht. Wenn Vidal höher positioniert war, wurde sein Spiel deutlich auffälliger und besser. Dennoch machte er auch zwischen den Abwehrreihen des Gegners nicht immer eine glückliche Figur. Er ist nämlich kein Achter wie Thiago, der zwischen den Linien die richtigen Räume erkennt und anschließend unter Druck gute Entscheidungen trifft. Vidal ist eher ein sogenannter „Box-to-Box“-Mittelfeldspieler. Das bedeutet, dass er versucht immer am aktuellen Ort des Geschehens präsent zu sein und viel zwischen den Strafräumen arbeitet. Genau das macht ihn bei Ballverlusten so wertvoll für den Rekordmeister. Schon in der Hinrunde hat er durch seine Fähigkeiten im Gegenpressing viele Konter verhindert. Ein Vergleich zwischen den Statistiken aus der Hinrunde (in Bundesliga und Champions League) und den Werten aus der Rückrunde unterstreicht den Eindruck, dass er auch im Jahr 2015 schon vieles richtig gemacht hat.

Statistiken/90 MinHinrundeRückrunde
Tacklings3,42,96
Interceptions1,872,69
Klärende Aktionen0,621,35
Zweikampfquote47,14%58,1%
Torabschlüsse2,12,42
Torschussvorlagen2,21,88
Ballaktionen100,27108,57
Ballverluste1,361,35

Es sind Kleinigkeiten die Vidal in der Rückrunde noch wertvoller für den FC Bayern machen. Beispielsweise durfte er im Kalenderjahr 2016 viele Spiele alleine auf der Sechs bestreiten, was ihn im Spielaufbau dominanter erschienen ließ. Zwar kann er nicht so präzise und vertikale Pässe spielen wie Xabi Alonso, doch war Vidal deutlich Pressingresistenter und auch deshalb in einigen Begegnungen die erste Wahl von Pep Guardiola. „Der Krieger“ hat sich in dieser Saison auch in seinem Stellungsspiel weiterentwickelt. Man darf natürlich nicht erwarten, dass der 28-Jährige sich innerhalb von einer Saison zu einem kompletten Aufbau- und Kreativspieler entwickelt, aber die Fortschritte sind erkennbar. Seine Passquote steht in der Bundesliga bei 90%, in der Champions League sogar bei 93%. Mit 108,57 Ballkontakten pro 90 Minuten hat Vidal sogar nochmal acht mehr als in der Hinrunde. In beiden Spielen gegen Juventus war er jeweils deutlich über 100-mal am Ball.

Ein recht großer Unterschied ist zudem in der Zweikampfstärke festzumachen. Aktuell gewinnt Vidal im Schnitt 58,1% seiner Zweikämpfe in Liga und Champions League. In der Hinrunde war er von diesem Wert noch weit entfernt (47,14%). Auffällig ist zudem der Sprung bei den Interceptions. Kam er in der Hinrunde noch auf 1,87 Interceptions pro 90 Minuten, sind es jetzt mit 2,69 in der Rückrunde deutlich mehr. Dieser Anstieg lässt sich damit begründen, dass er gegen Dortmund (5), Mainz (3) und in beiden Spielen gegen Juventus (jeweils 4) seine bestmögliche Form im Gegenpressing an den Tag legte. Vidal scheint die besondere Qualität zu haben, seine Fähigkeiten genau dann abzurufen, wenn die Mannschaft sie am meisten benötigt. Das Team von Pep Guardiola hatte zuletzt merkliche Schwierigkeiten damit Konter des Gegners zu verhindern. Grund hierfür sind vor allem die vielen Verletzungen in der Defensive. Umso wichtiger ist es für den Rekordmeister, dass Gegenstöße bereits im Ansatz verhindert werden. Das Paradebeispiel für den Stellenwert von Arturo Vidal hat man im Rückspiel gegen Juventus Turin erlebt. Der Chilene glänzte nicht nur mit fünf Tacklings und vier Interceptions, sondern bereitete mit seinen Defensiv-Aktionen auch noch drei der vier Bayern-Tore durch einen Ballgewinn indirekt vor. Darüber hinaus steuerte er zwei Torschussvorlagen bei. Nicht gänzlich vergessen darf man auch den physischen Aspekt. Alonso wirkte nach 60 Minuten gegen Turin sichtlich ausgepowert, während Vidal auch in der Verlängerung noch wichtige Aktionen beisteuern konnte. Ein wichtiger Faktor in den kommenden Wochen.

Vidal im Training an der Säbener Straße.(Bild: CHRISTOF STACHE / AFP / Getty Images)
Vidal im Training an der Säbener Straße.
(Bild: CHRISTOF STACHE / AFP / Getty Images)

Trotz seiner starken Phase gibt es aber auch einen noch bestehenden Kritikpunkt. Vidal hat in seiner Bayern-Zeit erst drei Tore erzielt und sechs weitere vorbereitet. Einst bezeichnete er sich selbst als torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Welt. Dafür sind neun Torbeteiligungen in 2.391 Spielminuten jedoch zu wenig. 265,6 Minuten braucht Vidal für eine direkte Torbeteiligung. Im Sommer ging mit Bastian Schweinsteiger einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler, die der FC Bayern in den letzten Jahren hatte. Seine vielleicht größte Qualität in der Offensive war es das Zentrum im letzten Drittel zu überladen und so für Schwierigkeiten im gegnerischen Abwehrverbund zu sorgen. Genau das hat man sich in München auch von Vidal erhofft. Im Schnitt bereitet er in der Bundesliga zwar 2,3 Torschüsse pro 90 Minuten vor und schließt 2,3-mal selbst ab, die Ursache dafür ist aber vor allem an einzelnen Ausreißern festzumachen. So hat Vidal in den Spielen gegen Stuttgart (3), Schalke (4), Gladbach (9), Darmstadt (4) und Mainz (5) sehr viele Torschüsse vorbereitet, kam aber gleich in acht anderen Bundesliga-Spielen nicht mal auf eine Torschussvorlage. Bei den Torschüssen verhält sich diese fehlende Konstanz ähnlich. Gerade gegen Borussia Dortmund hat man gesehen, dass Arturo Vidal auch in der Offensive ein sehr wertvoller Spieler für die Bayern werden kann, wenn er konsequenter und häufiger im gegnerischen Strafraum auftauchen kann. Mit vier Torabschlüssen war er einer der gefährlichsten Spieler gegen den BVB.

Abschließend kann man die Frage, ob sich der Transfer von Arturo Vidal gelohnt hat, nur mit „Ja“ beantworten. Der Chilene hat das Gegenpressing der Münchner merklich verbessert und gibt dem FC Bayern so eine noch größere Absicherung bei Kontern. Durch diese Qualität erleichtert er auch Verteidigern wie Joshua Kimmich, der vorher noch nie Innenverteidiger gespielt hat, die Arbeit. Vidal hat einen großen Anteil daran, dass die Bayern trotz ihrer Defensivprobleme weiterhin wenig Gegentore kassieren. Die anfänglichen Probleme im Positionsspiel hat er mittlerweile zumindest verbessert. Seine Entwicklung innerhalb eines dreiviertel Jahres ist dahingehend schon sehr bemerkenswert, wenngleich er mit Ball nicht auf dem Level eines Thiago agiert. Wenn Vidal sich in diesem Bereich weiter steigern kann und in der Offensive noch gefährlicher wird, könnte er für die Mannschaft ein äußerst wichtiger Faktor zum Saisonende werden. Bereits jetzt ist er für die Münchner aber von großer Bedeutung. Nicht umsonst verzichtete Pep Guardiola zuletzt häufig auf Xabi Alonso und sogar auf Thiago, der zu den Lieblingsspielern des Trainers zählt. So wenig Arturo Vidal ein typischer Guardiola-Spieler sein mag, so sehr scheint der Katalane die Fähigkeiten des ehemaligen Turiners aber spätestens jetzt zu schätzen.