CHARLOTTE, NC - JULY 30: Thiago, team coach Carlo Ancelotti and Milos Pantovic (L-R) of Bayern Muenchen are pictured during a water break of the International Champions Cup match between FC Internazionale and FC Bayern Muenchen on July 30, 2016 in Charlotte, United States. (Photo by Alexandra Beier/Bongarts/Getty Images)

Carlo Ancelotti: Ein erstes Zwischenfazit

Justin Trenner 01.08.2016

Vorweg sei gesagt, dass die bisherigen Spiele noch nicht den größten Stellenwert hatten. So agierten Lahm und Alaba beispielsweise auf den Halbpositionen im Mittelfeld oder gar auf dem Flügel, während Ribéry die zweite Sturmspitze gab. Auch die Besetzung in der Verteidigung wird in einigen Wochen vermutlich eine komplett andere sein. Dennoch ist die mannschaftstaktische Ausrichtung der Bayern in diesen ersten Tagen unter Ancelotti sehr interessant zu beobachten.

Änderung des Pressings

Die erste Auffälligkeit ist das Pressing. Unter Pep Guardiola versuchte die Mannschaft so schnell wie möglich in eigenen Ballbesitz zu kommen, um sich dann mit dem Spielgerät und cleverem Positionsspiel Ruhepausen zu gönnen. In den letzten Spielen war das anders. In der Arbeit gegen den Ball geht der FC Bayern nicht mehr so viel Risiko wie noch in der letzten Saison. Zwar ist das Pressing phasenweise noch hoch, aber nicht mehr mit der letzten Konsequenz und schon gar nicht über 90 Minuten. Der Rekordmeister versucht sich zudem jetzt gegen den Ball zu erholen. Dem Gegner werden dann Ballbesitzphasen überlassen und die Münchner fallen in ein tieferes Mittelfeldpressing zurück. Diese Entwicklung ist keine einfache, denn in den letzten drei Jahren lebte die Mannschaft von der Ballzirkulation. Den Gegner ohne Spielgerät zu kontrollieren erfordert eine hohe Disziplin und Kompaktheit, die in den Tests bisher nicht immer gegeben war. So ließ die Elf von Ancelotti gerade gegen den AC Mailand immer wieder große Lücken, die die Italiener clever bespielten.

Es kann aber auch durchaus sinnvoll sein nicht über die komplette Distanz das Spiel machen zu müssen. Die Bayern haben einige Spieler in ihrem Kader die auch für Umschaltmomente gemacht sind. In den ersten Wochen war eine zunehmende Vertikalität und ein direkteres Spiel zu erkennen. Ancelotti scheint der Ballbesitzwert nicht so wichtig zu sein wie Guardiola. Natürlich ist das Auftreten seines Teams aber weiter dominant. Bisher hatten sie die höheren Spielanteile und es gab sicherlich auch Phasen in denen der Ball mal ohne vertikalen Raumgewinn lief. Dennoch wird meist die direkte Lösung nach vorn gesucht.

Veränderter Spielaufbau

Das bestätigt auch die Struktur im Aufbau. Unter Guardiola agierten die Bayern meist mit einer Dreierkette hinten. Entweder blieb ein Außenverteidiger auf der Höhe der zentralen Spieler, oder der Sechser kippte ab. In den bisherigen Testspielen war eher eine Zweier- und nur selten eine Dreierkette zu sehen. Ein Sechser agiert zwar abkippend, lässt sich aber nur im Notfall zwischen die Innenverteidiger fallen. Beide Außenspieler schieben zudem sehr hoch. Es wird spannend zu sehen wie diese Struktur gegen stärkere und höher pressende Teams funktioniert. Normalerweise dürfte es sehr einfach sein diese Anordnung zuzustellen und die Bayern zu langen Bällen zu zwingen.

Kommen die Münchner allerdings schnell ins zweite Drittel, haben sie dort meist viele Spieler, die für Überzahlsituationen sorgen können. Mit Boateng und Hummels hat man zudem noch zwei Akteure, die sicherlich auch in der Lage sind unaufgeregt zu zweit aufzubauen. Auch die Rolle von Manuel Neuer ist hier nicht zu unterschätzen. Die Struktur im Spielaufbau ist also eine andere, muss aber keinesfalls eine schlechtere sein. Zuletzt gab es aufgrund dieser wenigen Anspielstationen jedoch immer wieder Unsicherheiten. So entstand zum Beispiel ein Tor des AC Mailand nach einem hektischen, ungenauen Aufbau und katastrophalem Fehler von Holger Badstuber. Es ist durchaus möglich dass der Übergang vom ersten ins zweite Drittel derzeit die größte Baustelle Ancelottis ist.

Im Mittelfeld sieht bisher alles sehr gut aus. Die Zentrale rund um Xabi Alonso bewegt sich viel, es gibt immer Anspielstationen und auch neue Spieler fügen sich nahtlos ein. Pep Guardiolas Anteil ist hier noch deutlich zu erkennen. Aufgrund des Positionsspiels, das die Münchner mittlerweile sehr gut beherrschen, schaffen sie immer wieder Überzahlsituationen in den wichtigen Räumen und kombinieren sich so elegant in das letzte Drittel. Alonso kommt es sogar manchmal entgegen dass er höher positioniert ist. Dort kann er mit seinem guten Passspiel für intelligente Spielverlagerungen sorgen und die Flügelspieler schnell isolieren. Was allerdings auch auffällt ist, dass die Bayern kaum noch lange, vertikale Bälle spielen. Boateng und Hummels sind zwar derzeit nicht im Kader, aber auch Alonso war ja immer ein Spieler, der gern mal das Mittelfeld überbrückte. Bisher fehlt dieses Element fast komplett. Gerade gegen hoch verteidigende Gegner war es jedoch erfahrungsgemäß ein gutes Mittel. Mit der Rückkehr der Stammverteidiger könnte es zurückkehren.

Anpassungen im offensiven Drittel

Im Angriff gab es zuletzt dann wieder etwas mehr Probleme. Das kann daran liegen, dass zurzeit Thomas Müller, Douglas Costa, Arjen Robben, Kingsley Coman und Robert Lewandowski fehlen, aber es hat definitiv auch strukturelle Gründe. Über die Zentrale geht wenig. Der Flügelfokus des FC Bayern ist ungebrochen und hat sich gefühlt sogar etwas verschärft, obwohl Ribéry als einziger nomineller Flügelspieler im Zentrum agiert. Der Franzose übernimmt dort Aufgaben, die in Zukunft Thomas Müller zugeordnet werden könnten. So überläd er situativ die Halbräume oder die Außenbahn, macht unterstützende Läufe für den Stürmer, kippt ins Mittelfeld ab um Anspielstationen zu kreieren, oder sticht selbst in die Spitze um gefährlich zu werden.

Auf den Außenpositionen im Mittelfeld agieren derzeit Lahm und Alaba. Es ist erwartbar, dass beide eine Position nach hinten rutschen, wenn der Kader komplett ist. Bernat sowie Rafinha werden dann wieder auf der Bank Platz nehmen müssen. Die Rolle der Flügelspieler bestand bisher aus zwei Kernaufgaben. Eine davon sind diagonale Läufe um Platz für die Außenverteidiger zu machen und den Halbraum gegebenenfalls zu überladen. Bernat und Rafinha haben dann oft den Weg nach vorne zum Hinterlaufen gesucht. Entweder binden die beiden dann einen Verteidiger und der Mittelfeldakteur kann nach innen ziehen, oder sie bekommen den Ball mit Platz und können flanken. Aktuell scheint letzteres am ehesten die Devise zu sein, da sowohl Lahm als auch Alaba nicht die klassischen Eins-gegen-Eins-Spieler sind. Die andere Aufgabe der Außenspieler ist im Moment eine Art Spielmacher-Rolle. Ribéry übernimmt diesen Part zwar bereits im Zentrum, aber auch Lahm und Alaba fallen mit vielen Ballkontakten auf. Von den Flügeln versuchen sie die zentral positionierten Mitspieler in gute Positionen zu bringen. Das erfolgt zumeist mit einem einfachen Muster. Über einen Doppelpass mit einem im Halbraum positionierten Spieler verschaffen sich die Außen etwas Platz. Anschließend gehen sie bis zur Grundlinie durch, um dann den gefährlichen Ball in den Rückraum des Strafraums zu spielen oder einen freien Mann im Zentrum zu suchen.

„Franck
Franck Ribery ist aktuell Motor der Bayern-Offensive
(Foto: NICHOLAS KAMM / AFP / Getty Images)

Gerade bei den Flanken ist aber ein taktisches Stilmittel aufgefallen, das sicherlich nicht neu ist, aber häufig zum Erfolg führt. Die Hereingaben sind nicht zwingend darauf ausgelegt ein direktes Tor zu erzielen. Wenn es klappt, schön, aber wenn nicht, dann gehen die Münchner auf den zweiten Ball. Meist orientieren sich zwei bis drei Bayern-Spieler im Zentrum zur Flanke und versuchen sie zu verwerten. Gleichzeitig wird jedoch darauf geachtet, dass die wichtigen Positionen um den Strafraum besetzt sind. Wird das Spielgerät vom Gegner zu kurz oder ungenau geklärt, versucht man mit einem effektiven Gegenpressing eine Balleroberung zu kreieren. Anschließend ist die Formation der verteidigenden Mannschaft unsortiert und chaotisch. Auch unter Guardiola gab es das immer wieder zu sehen, aber gerade jetzt, wo Ancelotti nur Ribéry zur Verfügung steht, versuchen die Bayern es noch häufiger auf diese Art und Weise.

Es fehlen noch die kreativen Momente übers Zentrum. Zu abhängig scheinen die Bayern zum jetzigen Zeitpunkt von Ribéry und Alaba zu sein. Wenn der neue Bayern-Trainer auf seine komplette Offensive zurückgreifen kann, sollte er in der Lage sein den Flügelfokus etwas zu lösen und für mehr Variationen zu sorgen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Bayern ohne die kreativen Momente von den Außen zu unkreativ waren. Dabei haben sie mit Thiago, Xabi Alonso und einigen weiteren Akteuren Spieler in ihren Reihen, die dazu in der Lage sind.

Zwischenfazit

Was unter dem Strich nach den ersten Tagen bleibt, ist ein erwartbarer Prozess zurück in die Normalität. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Guardiola verlangte seinen Spielern gerade mental extrem viel ab. Seine Arbeit wird weiterhin Nachwirkungen haben. Speziell im zweiten Drittel und in der Ballzirkulation sind noch sehr viele Mechanismen der letzten Jahre erkennbar und das hilft auch Ancelotti. Der Italiener versucht vorsichtiger pressen zu lassen, eine kompaktere Formation gegen den Ball aufzustellen und will dabei aber keinesfalls das Risiko in Ballbesitz verlieren. Aktuell gehen dieser Ausrichtung noch etwas die Genauigkeit sowie die Balance ab. Dafür ist eine Vorbereitung aber da und Ancelotti bleiben noch ein paar Wochen Zeit diese Probleme zu beheben.