Carlo Ancelotti: Rückschritt für den großen Wurf?

Justin Trenner 22.02.2017

Die angesprochene Kritik wurde gerade auch hier im Blog immer wieder aufgearbeitet, formuliert und angepasst. Verändert hat sich in der Entwicklung recht wenig und die Kritikpunkte blieben im Großen und Ganzen gleich. Nach der Hertha-Vorschau mehrten sich die Kommentare gegen unsere Sichtweise und gegen die kritische Haltung.

Carlo Ancelotti sei schließlich nicht irgendjemand. Er habe mit seiner Erfahrung und exakt dieser Herangehensweise schon einige Titel geholt. Doch Kern der Kritik ist etwas ganz anderes. Ein Kommentar.

Ancelottis erste PK ließ den Weg erahnen

Als der Italiener im Sommer vorgestellt wurde, konnte man vermuten, dass der FC Bayern großes vor hat. Der Klub hatte vier Mal in Folge die Meisterschaft gewonnen und die Liga in dieser Zeit dominiert. Überdies kam auch drei Mal der Pokal dazu. Lediglich die Champions League blieb dem Rekordmeister seit 2013 verwehrt.

Bedenkt man die Durststrecken, die Bayern zwischen 1976 und 2001 oder zwischen 2001 und 2013 hatte, ist das natürlich kein großes Thema. Doch der fünfmalige Gewinner dieses Wettbewerbs hat einen riesigen Hunger entwickelt. Selten in der Klub-Geschichte war man so oft in Folge ganz nah dran am Triumph und doch sollte der letzte Schritt nur ein Mal gelingen.

Ancelotti ist einer der wenigen Trainer, die drei Mal die Königsklasse gewinnen konnten. Bei seiner Vorstellung wurde das natürlich reichlich erwähnt. Der Italiener gilt schon immer als pragmatischer, ruhiger und unspektakulärer Trainer. Er ist niemand, der für Entwicklung steht und war so auch häufig in der Liga wenig erfolgreich.

Man konnte sich also von Anfang an darauf einstellen, dass nach Full-Time-Coach Guardiola ein Trainer-Typus kommt, der komplett anders ist. Der alles auf den Saisonendspurt zuspitzen wird und vorher eher sparsam mit dem Gaspedal des Luxuskaders umspringt. Das kann am Ende den ersehnten Champions-League-Titel einbringen und es ist müßig zu diskutieren, was für den kurzfristigen Erfolg besser ist.

Carlo Ancelotti und Karl-Heinz Rummenigge bei der Vorstellung des Trainers in München.
(Foto: Guenter Schiffmann / AFP / Getty Images)

Seine Mannschaften haben es mehrfach bewiesen

Mit dem AC Mailand wurde Ancelotti 2003 Dritter in der Liga, gewann aber die Champions League. 2007 gelang ihm dieses Kunststück erneut, doch in der Liga sprang nur Platz 4 heraus. Als der Italiener 2014 mit Real Madrid erneut die Königsklasse gewann, wurde er ebenfalls Dritter, wenngleich auch mit nur drei Punkten Rückstand auf den Meister.

Dennoch wird in seiner Historie klar, dass er eines kann: Die Mannschaft auf einen Höhepunkt hintrainieren. Dafür wurde er von den meisten Klubs verpflichtet und so auch vom FC Bayern. Lediglich in seiner Zeit beim AC Mailand hat Ancelotti eine Ära prägen können, in der er junge und talentierte Spieler wie Pirlo oder Kaká weiterentwickelt hat.

Am Ende seiner Zeit verpasste er jedoch – zusammen mit der Klubführung – den Umbruch und verließ Italien. Ancelotti ist kein innovativer Trainer für die Zukunft, sondern der Mann, der dem FC Bayern den Henkelpott wieder nach München holen soll. Egal wie. So schnell wie möglich.

Die Kritik gilt mehr dem Verein als Ancelotti

Hier setzt auch die Kritik der Miasanrot-Redaktion an. Der Verein ordnet alles dem Champions-League-Titel unter und hat sich scheinbar zum Ziel gesetzt, die letzten Schritte einer goldenen Generation noch weiter zu veredeln und den Umbruch zu vertagen. Dafür kam ein Trainer, der genau das erreichen kann. Doch was dann?

Junge Spieler wie Kimmich oder Coman, aber auch Sanches bleiben außen vor. Ancelotti vertraut den erfahrenen Spielern und stellt die Ergebnisse über alles. Im kommenden Sommer braucht es dann einen schlagartigen Umbruch. Kimmich soll Gerüchten nach Lahm beerben, hat aber lange kein Spiel mehr auf dieser Position absolviert.

Bei Coman ist die Sachlage noch kritischer. Der Franzose bekommt nach seiner Verletzung keine Chancen und die im Raum stehende Kaufoption wurde bis jetzt nicht gezogen. Vertrauen in die Jugend geht anders. Renato Sanches hingegen offenbart große Schwierigkeiten, doch diese lassen sich nicht lösen, wenn der Spieler nicht mal bei mehreren Punkten Vorsprung in der Liga seine Möglichkeiten bekommt.

Das könnte auch Auswirkungen auf den Transfersommer des Rekordmeisters haben. Wieso sollte sich ein junger Spieler im Zweifelsfall für den FC Bayern entscheiden, wenn er sieht, wie die Entwicklung des Vereins gerade läuft? Welche Perspektiven kann man ihnen mit Carlo Ancelotti als Trainer bieten, wenn der wiederum lieber auf Erfahrung baut?

Der Verein geht mit Ancelotti einen bewussten Rückschritt, um am Ende vielleicht den großen Wurf in der Champions League zu schaffen. Doch was folgt danach? Kann dieser Trainer dann eine neue Ära starten? Gelingt es ihm ohne Übergangsphase alles erfolgreich umzukrempeln? Sein Ruf ist ein anderer.

Rückfall in alte Zeiten

Zumal nicht nur der langfristige Erfolg gefährdet ist, sondern auch der kurzfristige, für den er geholt wurde. Die Ancelotti-Elf muss in dieser Saison noch nach Köln, Gladbach, Hoffenheim, Leverkusen, Wolfsburg und Leipzig. Das Auswärtsprogramm ist hart und mit 5 Punkten Vorsprung sowie der aktuellen Verfassung ist dieser Titel noch lange nicht gewonnen.

Trotz seiner Anpassung auf ein 4-2-3-1 schafft der Italiener es nicht, alle Spieler perfekt einzubinden. Zwar hat er die Defensive im Vergleich zur Anfangsphase stabilisieren können, aber mit Ball wirkt das Spiel oft behäbig und ohne Ideen. Müllers Einbindung ist ebenso fragwürdig wie die Kombinationen im Mittelfeld. Die bisher am besten harmonierende Doppelsechs, bestehend aus Kimmich und Alonso, gab es selten zu sehen.

Carlo Ancelottis personifiziertes Problem: Thomas Müller. Der Italiener bekommt ihn nur schwer eingebunden.
(Foto: Martin Rose / Bongarts / Getty Images)

Stattdessen setzt der Trainer häufig auf Vidal und Alonso, die sich gegenseitig eher negativ beeinflussen. Auch die Wechsel im Spiel erschweren oftmals eher den Spielverlauf als ihn besser zu machen. Doch Ancelotti ist nicht für alle Probleme allein verantwortlich.

Der alternde Kader ist sicherlich der größte Faktor. Viele Spieler sind über dem Zenit, häufig verletzt oder haben nach den vielen erfolgreichen Jahren einfach mal eine schlechte Verfassung. Es wäre zu viel verlangt, wenn man erwarten würde, dass Ancelotti die Arbeit Guardiolas nahtlos fortgeführt hätte. Die Ergebnisse stimmen ja und es gab schon deutlich schlimmere Übergangsjahre für den Rekordmeister.

Und doch ist der spielerische Rückschritt zu riesig. Die Einzelbeispiele Leipzig und Arsenal sind zwar ganz nett. Bereits gegen die Engländer zeigte sich aber, dass es Anfangsschwierigkeiten gibt, wenn der Rhythmus vorher nicht da war. Erst in der zweiten Halbzeit lieferte Bayern eine gute Leistung. Auf Top-Level reicht das nicht.

Ancelotti ist erfahren genug. Er hat diese Situation schon mehrmals erlebt und durchgestanden. In naher Zukunft wird er deshalb auch mehr oder weniger erfolgreich sein. Letztendlich liegt das Problem aber auch nicht an den Ergebnissen, sondern an der Weiterentwicklung und dem fehlenden Prozess, der den Umbruch einleiten soll.

Die ausbleibende Entwicklung und die mangelhaften Auftritte in der Liga lassen sich aus Vereinssicht ohnehin nur rechtfertigen, wenn der Italiener weiterhin erfolgreich ist. Das gilt besonders für die Champions League, an der er sich wegen der Situation messen lassen muss, wie kein anderer Bayern-Trainer jemals zuvor. Dieses primäre Ziel steht scheinbar über allem, sogar über einer langfristigen Planung und das ist ein Rückschritt in alte Zeiten.

In Zeiten, in denen der FC Bayern zwar erfolgreich war, aber keinen ansehnlichen Fußball bot und sich oft auf seine individuelle Klasse verlassen hat. In Zeiten, in denen man während der Saison nur selten Spaß am eigenen Fußball hatte, am Ende aber oft mit großen Titeln da stand. In Zeiten, in denen man um jeden Preis Ergebnisse liefern wollte und schließlich nach einer kurzen erfolgreichen Zeit im europäischen Niemandsland versank. Auch, weil ein Übergang fehlte.

Diesmal ist es ähnlich. Der Verein hat es verpasst, die Arbeit von Guardiola als Grundstein für eine Identität zu sehen. Mit Carlo Ancelotti kann es kurzfristigen Erfolg geben, aber selbst der ist aktuell stark gefährdet. Eine langfristige Idee und Entwicklung ist in der jetzigen Konstellation nicht absehbar. Die Klubführung hat auf allen Ebenen kurzfristig geplant und so sorgt ein Blick in die Zukunft eher für Bauchschmerzen. Daher wäre sie gut beraten, einen Plan zu entwickeln, der weiter greift als bis zum 3. Juni in Cardiff.