Die fünf Aufgaben des Carlo Ancelotti

Justin Trenner 28.11.2016

Für den Rekordmeister war es bisher eine Saison, die von durchwachsenen Leistungen geprägt war. Zwar steht man im DFB-Pokal-Achtelfinale, hat auch in der Champions League bereits die Runde der letzten Sechzehn erreicht und hat in der Bundesliga sechs Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund, aber so richtig zufrieden ist man in München noch nicht.

Während sie in der Königsklasse nur Gruppenzweiter wurden und zum ersten Mal seit 2009 nicht den Gruppensieg holen konnten, ist Leipzig aktuell der Tabellenführer in der Liga. Die allgemeine Unzufriedenheit rührt aber eher aus der Spielanlage, die der amtierende Meister zuletzt zeigte. Ancelottis Start bei den Bayern offenbarte viele Probleme, zeigte aber auch, wohin der Weg führen soll. Um diesen erfolgreich zu bestreiten, werden ihm demnächst 5 wichtige Aufgaben zukommen.

1. Positionsspiel verbessern

Die Problematik des Zehner-Raums ist nicht erst seit gestern bekannt. Ancelottis Elf besetzt aber auch andere Räume und Zonen nicht mehr so sauber und erschwert es sich somit selbst, den Ball in den eigenen Reihen zu halten.

Oftmals stehen sich zwei Spieler in einer Zone auf den Füßen oder gleich mehrere auf einer Linie. Das erschwert die Diagonalität im eigenen Spiel und vereinfacht den Zugriff des Gegners. Die wenigen Optionen in Ballbesitz führen zu einer höheren Ausrechenbarkeit, aber vor allem auch zu einem Flügelfokus, der das kreieren von eigenen Chancen erschwert.

Die Bayern schlagen so viele Flanken (20,1/Spiel) wie kein anderes Team der Liga. Speziell Alaba muss mangels Unterstützung häufiger auf dieses Mittel zurückgreifen, als jemals zuvor. 6,1 Versuche des Österreichers sind es pro 90 Minuten Bundesliga, 1,4 finden einen Mitspieler. Douglas Costa kommt auf einen noch schlimmeren Wert (7/90 Minuten; nur 0,6 erfolgreich).

In dieser Saison führen nur 2% aller Hereingaben von außen zu einem Tor. Auch deshalb sind Flanken ein Sinnbild für fehlende Kreativität und Ideenlosigkeit. Der Vorwurf ist deshalb auch nicht als Kritik an Alaba und Costa zu werten, sondern er ist an das ganze Team gerichtet. Die Flügelspieler werden speziell auf der linken Angriffsseite zu häufig dazu gezwungen.

Sinnbildliche Szene aus der ersten Halbzeit gegen Leverkusen: Der Zwischenlinienraum ist schlecht besetzt. Im Aufbau bleibt nur der Flügel als Option, der anschließend schlecht unterstützt wird. Die Flanke führt zum Ballverlust.
Sinnbildliche Szene aus der ersten Halbzeit gegen Leverkusen: Der Zwischenlinienraum ist schlecht besetzt. Im Aufbau bleibt nur der Flügel als Option, der anschließend schlecht unterstützt wird. Die Flanke führt zum Ballverlust.

Zurzeit fällt es der Mannschaft schwer, das Zentrum zu kontrollieren, weil man immer wieder Phasen hat, in denen man in die gefährliche U-Formation abdriftet. Nur selten gibt es diagonale Flachpässe in die Halbräume oder Zuspiele in die zentralen Zwischenräume zu sehen.

Diese Problematik erschwert auch die Geschwindigkeit, mit der Bayern seine Angriffe vorträgt. Will man eine gut organisierte Abwehr knacken, braucht es Tempowechsel und Seitenverlagerungen. Mit weniger Anspielstationen wird es aber auch schwerer, das Tempo schlagartig zu erhöhen. Die Ballbesitzphasen ohne Raumgewinn verlängern sich und die gegnerische Mannschaft schafft es, sich zu sortieren.

Dafür gibt es weniger Kombinationen zu sehen und erst recht kaum Durchschlagskraft in der Zentrale. Ein altbekanntes Muster, bei dem der Ball zunächst in die Tiefe gespielt und dann klatschen gelassen wird, um sich schließlich viel Raum zu verschaffen, ist kaum noch existent. Das liegt vor allem daran, dass die Spieler nicht mehr so konsequent nachrücken. Auch die Anzahl an schnellen Doppelpässen muss in der Zentrale wieder zunehmen, damit die gut gestaffelten Defensivreihen der Gegner häufiger in Bedrängnis gebracht werden.

2. Carlo Ancelotti muss seinen eigenen Weg zu Kontrolle und Dominanz finden

Die Bayern-Fans müssen sich allmählich von der absoluten Dominanz ihres Vereins verabschieden. Aus erläuterten Gründen ist es dem Serienmeister nicht mehr möglich, ein Spiel über die volle Distanz mit Ballbesitz zu kontrollieren. Ancelottis Aufgabe wird es dennoch sein, einen eigenen Weg zu finden, Spiele auch auf hohem Niveau wieder zu kontrollieren.

Guardiola hat hier eine Vorarbeit geleistet, an der man den Italiener schlicht nicht messen darf. Sie sollte aber als Leitziel dienen und als Ansporn, sich dem Fußball der letzten Jahre zumindest wieder anzunähern. Der FC Bayern hat – beginnend mit der Amtszeit von Louis van Gaal – eine Philosophie im Verein integriert, die auf attraktiven und dominanten Offensivfußball ausgelegt ist.

Der Kader gibt auch gar nichts anderes her. Mit Philipp Lahm, Xabi Alonso, Javi Martínez und Mats Hummels hat man zudem vier eher langsamere Defensivspieler in den eigenen Reihen. Laufen sie hinterher, sehen sie manchmal schlecht aus. Auch deshalb ist es schwierig, einen abwartenden Stil einzuführen.

Alonso läuft in dieser Spielzeit zu oft hinterher. Seine Stärken zeigt er mit dem Ball.(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)
Alonso läuft in dieser Spielzeit zu oft hinterher. Seine Stärken zeigt er mit dem Ball.
(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)

Ancelotti hat einen Kader, dessen Leistungsträger teilweise über dem Zenit sind. Daher wird es wichtig sein, dass er die Einsätze dieser Spieler dosiert, ihre Stärken im System fokussiert und die offensichtlichen Schwächen kaschiert. Das gelang Guardiola in der vergangenen Saison mit Philipp Lahm und Xabi Alonso hervorragend.

Die schwierige Übergangsphase in dieser Saison ist überdies so herausfordernd, weil die Spieler es nicht gewohnt sind, dem Gegner so viele Ballbesitzphasen zu überlassen. Ancelotti wird Lösungen finden müssen, um das Mittelfeld wieder besser zu kontrollieren, aber vor allem muss er es schaffen, die Phasen ohne das Spielgerät zu stabilisieren.

3. Das Gegenpressing dosieren und die Defensive stabilisieren

Auch gegen den Ball spielt das Positionsspiel eine zentrale Rolle. Durch die nicht immer saubere Raumbesetzung sind die Wege bei Ballverlusten so weit, dass ein direkter Zugriff schwierig wird. Trotzdem laufen die Bayern den Gegner regelmäßig an und öffnen so einen großen Raum hinter sich, der nur von Alonso oder dem jeweiligen Sechser abgedeckt werden kann.

Der Zugriff der Gegenspieler auf diesen Zwischenraum kann nur verhindert werden, wenn die Mannschaft entweder auf ein ständiges Gegenpressing verzichtet und es nur in aussichtsreichen Situationen probiert oder wenn sie sich schon vor dem Ballverlust clever positioniert.

Es scheint, als wäre die Mannschaft nicht in der Lage, sich selbst so zu coachen, dass man nach Ballverlusten effektiv verteidigen kann. Carlo Ancelotti sagte dazu auf einer Pressekonferenz, dass die Balance des Pressings noch nicht stimmen würde.

Die Spieler laufen an, als wäre Guardiola weiterhin ihr Trainer. Ancelotti hingegen fordert ein etwas tieferes Pressing, das in den Köpfen noch nicht endgültig angekommen zu sein scheint.

Wichtig sind die Abstände zwischen und in den Mannschaftsteilen. Wenn der Rekordmeister hoch attackiert, müssen alle mitmachen. Lässt das Team sich in ein Mittelfeldpressing fallen, darf es kein unnötiges Herausrücken einzelner Akteure geben.

Gegen Leverkusen gab es dahingehend erste Verbesserungen zu beobachten. Alonso wurde auf der Sechs besser unterstützt und Bayern ging im Gegenpressing nur dann Risiko, wenn es die Situation hergab. Problematisch war allerdings noch die Verteidigung des Halbraums. Den Gästen wurden dort zu viele Durchbrüche gewährt und auch das Gegentor entstand aus einer Überzahlsituation auf der halbrechten Verteidigungsseite.

Trotz Überzahl kann Leverkusen im Halbraum durchbrechen und den Ausgleich erzielen. Weder Abstände noch Ordnung stimmten.
Trotz Überzahl kann Leverkusen im Halbraum durchbrechen und den Ausgleich erzielen. Weder Abstände noch Ordnung stimmten.

4. Make Thomas Müller great again

Das Müller-Problem ist zugleich ein Lewandowski-Problem. Ohne Müller muss der Pole im Zentrum deutlich mehr arbeiten, sich noch häufiger fallen lassen und Räume für Flügelspieler öffnen, die sonst von seinem Pendant aufgerissen werden. Müller rückt als Außenspieler zwar immer wieder ein, um diese Aufgaben zu übernehmen, nimmt im 4-3-3 aber auch einen Platz für einen Eins-gegen-Eins-Spieler weg.

Eine Systemänderung würde dem Team dahingehend helfen, dass man mit zwei Flügelspielern stets auf beiden Seiten das Tempo hoch halten könnte und Müller dennoch im Zentrum um Lewandowski herum spielen könnte. Ein 4-2-3-1 würde sich hier anbieten, da es alle Räume deutlich besser abdeckt als das 4-3-3.

An der Personalie Thomas Müller hängen fast alle Probleme, die der FC Bayern derzeit in Ballbesitz hat. Besetzt er den Zehner-Raum, läuft das Offensivspiel besser, weil Lewandowski nicht mehr so in der Luft hängt. Auch deshalb ist es nachvollziehbar, dass der Trainer weiter auf ihn setzt. Müller braucht keine Pause, sondern schnellstmöglich einige Erfolgserlebnisse am Stück. Ist der Nationalspieler wieder frei im Kopf, dürfte das auch den Job von Carlo Ancelotti vereinfachen.

5. Eine Viertelstunde gegen Leverkusen als vorläufiger Maßstab

Die Situation für den Trainer ist unglaublich schwer. Seine wichtigsten Spieler stehen nicht immer zur Verfügung, die Formschwäche einzelner Akteure nimmt kein Ende und die Ansprüche sind riesig. Allerdings sind sie das zurecht.

Auch in dieser Saison hat die Mannschaft mehrfach angedeutet, dass sie noch immer in der Lage ist, Spiele zu dominieren und attraktiven sowie temporeichen Fußball zu spielen. Das Argument des alternden Kaders hat seine Berechtigung, sollte aber nicht einfach hingenommen werden.

Schaut man sich an, wie der FC Bayern in die zweite Halbzeit gegen Leverkusen gestartet ist, so wurde klar, dass diese Mannschaft noch nicht am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen ist. Die Münchner bildeten Dreiecke, schützten Alonso vor dem Leverkusener Pressing und wurden so mit einem Vertikalpass nach dem anderen vom ehemaligen Weltmeister belohnt.

Der mittlerweile 35-Jährige deutete an, dass er mit der Hilfe seiner Mitspieler immer noch Phasen eines Spiels taktieren kann. Es waren 15 Minuten strukturierter und dominanter Ballbesitzfußball, die unter Beweis stellten, dass der Rekordmeister es nicht gänzlich verlernt haben kann.

Auf dem Weg zu mehr Kontrolle und Dominanz sind die Basics, dass die Spieler zumindest grob die wichtigsten Zonen besetzen, wieder mehr Verbindungen kreieren, sich gegenseitig unterstützen und geduldiger werden. Szenen wie in Rostow, als sich Sanches, Bernat und Ribéry teilweise auf den Füßen standen, müssen vermieden werden.

Eine Szene aus dem Spiel in Rostow, als Sanches, Bernat und Ribéry sich so bewegten, dass ein Raumgewinn schlicht unmöglich wurde.
Eine Szene aus dem Spiel in Rostow, als Sanches, Bernat und Ribéry sich so bewegten, dass ein Raumgewinn schlicht unmöglich wurde.

Es wäre unfair den Bayern-Trainer anhand der Entwicklung des Positionsspiels zu bewerten, denn dafür wurde er nicht geholt. Ancelotti gilt als Verwalter und seine Aufgabe ist es, mit den vorhandenen Grundlagen eine erfolgreiche Übergangszeit zu gestalten. Dafür wird es notwendig sein, dass er die guten Ansätze aus dem Leverkusen-Spiel nun ausbauen kann.

Der Italiener wird sich in den nächsten Wochen und Monaten daran messen lassen müssen, ob er und seine Spieler die Viertelstunde vom Samstagabend auf ein ganzes Spiel und sogar auf mehrere Begegnungen am Stück transferieren können. Auch wenn der Auftritt gegen Leverkusen insgesamt sehr durchwachsen war, machten einige Phasen der Partie Hoffnung und Lust auf mehr.