Die Ancelotti-Bayern: Eine Fehleranalyse

Justin Trenner 28.04.2017

Es ist immer wichtig das große Ganze zu betrachten und eine Perspektive einzunehmen, die nicht monokausal auf die Niederlagen im April zurückblickt.

So wie das vorläufige Lob an Carlo Ancelotti zu intensiv war, ist auch die Kritik am Trainer in den Medien zu einseitig und teilweise sogar falsch beleuchtet worden. Wie kann ein Mann, der für seine hervorragende Belastungssteuerung und eine gute Form in Februar und März gefeiert wurde, plötzlich der Depp in der Öffentlichkeit sein?

Die Sprünge rund um die Person Ancelotti sind riesig und es gibt vielerorts nur schwarz oder weiß. Auch wir im Blog haben uns stets kritisch, aber auch immer differenziert mit dem Trainer beschäftigt.

Nun, wo die Saison nur noch vier Bundesliga-Spiele andauern wird, ist es Zeit ein Fazit zu ziehen. Woran lag es, dass der Rekordmeister die Spielzeit trotz wahrscheinlicher Meisterschaft mit einem mauen Gefühl abschließt?

Der letzte Schuss einer goldenen Generation

Am Ende dieser Saison verabschiedet der FC Bayern Philipp Lahm und Xabi Alonso. Zwei Spieler, die in ihrer Karriere alles erlebt haben.

Darüber hinaus stehen mit Arjen Robben und Franck Ribéry die nächsten Leistungsträger in der Schlange derjenigen, die bald ihren Hut nehmen. Es ist für keinen Klub der Welt einfach Spieler auszutauschen, die solch ein hohes Niveau erreicht haben und viele Verdienste nachweisen können.

Für die Klubführung des Rekordmeisters war nach drei Jahren in Folge ohne Champions-League-Finale deshalb klar, dass man die Königsklasse wieder gewinnen möchte. Für diese Spieler.

Der Übergang in eine neue Spielergeneration wurde dafür bewusst hinten angestellt. Entwicklung einer eigenen Identität oder Philosophie sowie die Gedanken daran, wie man einen Nachfolger für Lahm oder „Robbery“ aufbauen könnte, waren nach dem Abgang Guardiolas nicht zu erkennen.

Lahm und Alonso beenden ihre Karriere am Ende der Saison. Ihr letzter Schuss reichte „nur“ für die Meisterschaft.
(Foto: Christof Stache / AFP / Getty Images)

Dies aber ausschließlich Ancelotti vorzuwerfen, wäre der falsche Weg. Bereits im Februar sprachen wir vom bewussten „Rückschritt für den großen Wurf“.

Der Italiener ist kein innovativer Entwickler, der sich mit den jungen Spielern an die Taktiktafel setzt und Fußball paukt. Er ist jemand, der aus erfahrenen Spielern alles herausholen kann und so seine größten Erfolge feierte.

Dieser Ruf lockte den FC Bayern, denn was wäre schöner, als ein erfolgreicher Abschluss einer Generation, von der man in Jahrzehnten noch erzählen wird?

Der falsche Zeitpunkt für Ancelotti?

An dem Gedanken ist wenig verwerflich. Ancelotti hat mehrfach nachgewiesen, dass er das kann. Nur vielleicht wurde er zu einem Zeitpunkt geholt, der nicht optimal für seine Arbeitsweise war.

Als der 57-Jährige mit Real Madrid die Champions League gewann, fand er einen Kader am Anfang seines Zenits vor. Die Königlichen hatten damals gewiss die besten Einzelspieler Europas und Ancelotti wusste mit ihnen umzugehen. Es brauchte keinerlei Entwicklung.

In München ist das nun etwas anders. Robben, Ribéry, Alonso und Lahm bildeten fast die Hälfte der Stammelf. Allesamt haben ihre Leistungsspitze bereits hinter sich.

Das fiel vor allem im Duell mit Real Madrid auf. Lahm und Robben ließen sich über weite Strecken von Marcelo dominieren. Ribéry konnte seine Klasse nur in wenigen Phasen zeigen und auch Alonso hatte Probleme, seine Qualität über 210 Minuten zu zeigen.

Misst man sich mit dem Kader der Königlichen auf individueller Ebene, wird man es schwer haben. Das war von Anfang an klar. Auch deshalb hat Ancelotti seinen Schlüsselspielern in der Hinrunde viele Pausen verschafft. Der Rhythmus sollte sich auf einen Höhepunkt im April steigern.

Frühe Fehler zeichneten den Weg

In der Praxis konnte dieser Plan am Ende aber nicht umgesetzt werden. Das lag auch daran, dass weit vorher Fehler begangen wurden.

Die Annahme, dass man einen Rhythmus plötzlich mitten in der Saison aufnehmen könne, erwies sich in der Umsetzung als schwierig. Es ist wahr, dass die Bayern sich in der Rückrunde gesteigert haben. Es gab viele Spiele, in denen der Rekordmeister seine Qualität aufblitzen ließ und an vergangene Jahre erinnerte.

Jedoch wurde auch ziemlich schnell klar, dass die Münchner zu wenig Konstanz in ihre Leistungen bekamen. In der Bundesliga agierte man meist im Energiesparmodus, während wenige Tage später das Tempo wieder angezogen werden sollte.

Ancelotti vertraute zudem auf einen sehr kleinen Pool aus maximal 12 oder 13 Spielern. Zur Stammelf kann man vielleicht Müller und Costa als Rotations- und Einwechselspieler hinzuzählen, die relativ viele Einsätze bekamen.

Fehlende Qualität von der Bank

Das bringt einige Nachteile mit sich. Auf der einen Seite war man nicht in der Lage Ausfälle oder einzelne Formschwächen zu kaschieren. Spieler, die von der Bank kamen, schwächten das eigene Spiel eher als frischen Wind zu bringen. Die Ursachen dafür sind fehlende Spielpraxis, mangelndes Selbstvertrauen (speziell bei jungen Spielern) und daraus resultierende Formschwäche.

Hier und da wurde zwar hinterfragt, ob Bernat, Sanches, Coman und Costa überhaupt die Qualität haben, um den Bayern auf hohem Niveau zu helfen. Auch die Kaderplanung bekam viel Kritik. Doch wie sollen sich solche Spieler beweisen, wenn sie ihre Chancen nur sporadisch erhalten?

Ihre besten Auftritte hatten sie alle, wenn sie einzeln in ein funktionierendes Team integriert wurden. Oft brachte Ancelotti aber alle auf einen Schlag, was zu Verunsicherung, fehlenden Automatismen und immer weiter sinkendem Selbstvertrauen führte.

Der Trainer ist nicht für alles verantwortlich

Der Italiener hatte seine erste Elf auf einem Niveau, auf dem der große Wurf dennoch machbar gewesen wäre. Oft wird vergessen, dass große Spiele auch durch Glück und Pech entschieden werden.

Ein verwandelter Elfmeter im Hinspiel und etwas glücklichere Schiedsrichterentscheidungen im Rückspiel und man würde heute womöglich auf ein Halbfinale gegen Atlético Madrid hinfiebern.

Eine verwandelte Großchance von Lewandowski zum 3:1 gegen Borussia Dortmund und die Münchner ständen vielleicht im DFB-Pokalfinale.

Äußere Faktoren sollten nie als Hauptgrund vor die eigenen Fehler geschoben werden. Dennoch zeigt diese Konstellation, dass auch ein besseres Abschneiden in den Pokalwettbewerben im Bereich des Möglichen lag. Es war letztendlich nicht so, dass die Bayern gnadenlos unterlegen gewesen wären.

Da sind auch die Spieler stark in die Pflicht zu nehmen. Es liegt nicht am Trainer, dass Javi Martínez und Arturo Vidal sich einen unnötigen Platzverweis holen. Es liegt auch nicht am Trainer, dass ein Elfmeter verschossen wird oder ein Pass über fünf Meter nicht ankommt.

Auch Pep Guardiola verlor 2015 ein Halbfinale gegen Borussia Dortmund, in dem seine Mannschaft klar überlegen war.

Was aber sehr wohl eine berechtigte Kritik am Trainer ist, ist die fehlende Reaktion auf die veränderten Umstände nach Rückschlägen. Oft wusste die Mannschaft dann keine Lösungen mehr. Ancelotti veränderte gar nichts oder wechselte schlicht fragwürdig aus.

Es braucht keine taktischen Anpassungen im gefühlten Sekundentakt, wie sie Guardiola vornahm. Aber das Team braucht in diesen Momenten jemanden, der Hilfestellung leistet und von draußen wenigstens reagiert statt zuzusehen.

Wer unterstützt Ancelotti eigentlich?

Wenn man sich mit Teams wie Real Madrid messen möchte, braucht es einen Plan. Ancelotti ließ es jedoch in jeder Partie auf einen Zweikampf ankommen, in dem jeweils die individuelle Klasse entschieden hat.

Das funktionierte genau so lange, bis mit den Madrilenen jemand kam, der einen besseren und breiteren Kader hat als die Münchner.

Es ist eine These, die sich nur schwer belegen lässt, da Guardiola es ebenfalls nicht schaffte die größten Teams zu schlagen. Doch ein Sieg wird wahrscheinlicher, wenn man diesen individuell starken Gegnern mit Strategie, Taktik und mannschaftlicher Geschlossenheit begegnet. Ein reines Armdrücken wird der FC Bayern auf diesem Niveau auch in Zukunft eher verlieren.

Doch wer hilft Carlo Ancelotti eigentlich seit dem Wechsel von Paul Clement? Es ist schon sehr merkwürdig, dass ein Co-Trainer seiner Klasse einfach so im Winter wechseln darf, ohne ersetzt zu werden.

Gerland stieg zwar in der Hierarchie auf, doch auch er wird ja vorher etwas getan haben wofür es Ersatz bräuchte. Vielleicht wäre es sinnvoll, Ancelotti jemanden an die Seite zu stellen, der ihm taktisch unter die Arme greifen kann.

Wem hat dieses Jahr geholfen?

Der größte Kritikpunkt am vergangenen Jahr ist aber die fehlende Entwicklung. Schon zu Beginn der Saison stellten wir in einem Zwischenfazit fest, dass sich vieles zwangsweise zurückentwickeln wird. Das taktische Wissen Guardiolas und die damit verbundene Flexibilität gingen logischerweise verloren.

Gerade die jungen Spieler im Kader brauchen aber jemanden, der ihnen etwas beibringen kann. Kimmich und Coman saugten jede Anweisung des Katalanen auf und wussten auf dem Platz dementsprechend zu überzeugen.

Joshua Kimmich hatte kein gutes Jahr. Ihm fehlte speziell in der Rückrunde der Rhythmus.
(Foto: Alex Grimm / Bongarts / Getty Images)

In dieser Saison wirkten sie eher hilflos und überfordert. Der Verein bekennt sich zwar zu ihnen und spricht das größte Vertrauen aus, doch das spiegelte sich unter Ancelotti nur selten wieder.

Diese Kritik ist auch nur teilweise an den Trainer gerichtet. Vielmehr ist es eine an den Verein, der im ersten Jahr nach Guardiola alles auf den letzten Schuss einer großen Generation gesetzt hat und dabei vergaß, dass es sehr viele wichtige Aufgaben für die Zukunft gibt.

Ancelotti wurde zu einem Zeitpunkt geholt, zu dem es einen Übergang braucht. Die Ära, die 2009 mit van Gaal begonnen wurde, hat ein Ende gefunden. Der Klub braucht neue Impulse in allen Bereichen und dafür ist und war der Italiener vielleicht nicht der richtige Mann.

Es sind noch vier Spiele zu absolvieren. Gewinnt Leipzig alles, brauchen die Bayern noch vier Punkte. Das Restprogramm besteht aus zwei Auswärtsspielen in Wolfsburg und Leipzig sowie zwei Heimspielen gegen Darmstadt und Freiburg.

Am Ende wird sehr wahrscheinlich die Meisterschaft als einziger Titel auf dem Konto des FCB stehen. Aufgrund der gewachsenen Ansprüche und der Schwäche der Liga löst dies natürlich keine Jubelstürme aus. Aber man darf nicht vergessen, dass der Rekordmeister damit weiterhin Geschichte schreibt.

Dennoch bleibt ein Gefühl der Leere, das einfacher zu akzeptieren wäre, wenn es ein Übergangsjahr der Entwicklung gewesen wäre. So bleibt die berechtigte Frage: Wem hat dieses Jahr geholfen?