Vorschau: 1. FSV Mainz 05 – FC Bayern München

Justin Trenner 31.01.2018

Vor der Partie am Wochenende diskutierten wir die Lage der Liga. Auf den Vorwurf der Langeweile antworteten die Bayern und Hoffenheim mit einer durchaus spannenden Partie, deren Ausgang jedoch verdeutlichte, dass der Serienmeister nicht mal zu stoppen ist, wenn er dazu einlädt.

Die Elf von Jupp Heynckes hatte zu Beginn der Partie starke Schwierigkeiten damit, das Zentrum zu kontrollieren. Ohne James und Thiago ist das wenig verwunderlich. Die Konstellation aus Tolisso und Vidal vor Rudy passte vorne und hinten nicht. In Ballbesitz entstanden weder eine gute Staffelung noch akzeptable Struktur, um den Gegner mit Ballzirkulation zu zermürben.

Ohnehin scheint es so, als könne man sich langsam davon verabschieden, dass der FC Bayern Spiele über strukturierten Ballbesitz entscheidet. Die Tendenz unter Jupp Heynckes geht immer mehr in die Richtung seines Vorgängers – nur erfolgreicher und durchdachter.

Heynckes geht den Ancelotti-Weg

Als die Entlassung von Carlo Ancelotti feststand, drang durch, dass dieser die Belastbarkeit des Kaders anprangerte. Spieler wie Robben und Ribéry wären zu alt, während beispielsweise Thiago ständig verletzt ist. Sein Plan war es deshalb, den Kader langsam auf einen Höhepunkt hinzutrainieren. Während die Hinrunde schon in der vergangenen Saison keine besondere Rolle einnahm, war die Mannschaft in der wichtigen Phase zumindest dazu in der Lage, Real Madrid ernsthaft zu gefährden – wohlwollend formuliert.

In dieser Saison ging sein Schuss allerdings komplett nach hinten los. Es kam nicht nur die fehlende Fitness zum Vorschein, sondern auch die fehlende Spielidee. Oder zumindest die Tatsache, dass die Mannschaft seine Ideen nicht umsetzte oder umsetzen konnte beziehungsweise wollte.

Mit Jupp Heynckes kehrte genau das zurück. Er und sein Trainerteam verbesserten sofort die Arbeit gegen den Ball und den Fitnesszustand einzelner Akteure. Das Resultat sind beeindruckende 18 Siege aus 19 Spielen. Auch er hat aber trotz allem mit denselben Problemen wie Ancelotti zu kämpfen.

Ribéry und Robben sind lange über ihrem Zenit, Thiago ist verletzt und der Kader ist nicht von sich aus in der Lage, diese Schwächung so zu kompensieren, dass sie nicht auffällt. Zwischen 2013 und 2016 gelang das zu großen Teilen über eine herausragende taktische Anpassungsfähigkeit, die die Abhängigkeit von Individualisten verringerte, aber nie gänzlich kaschierte – wie auch? Seither ist es jedoch so, dass das Spiel der Bayern von Spielern abhängt, die dieser Rolle nicht mehr gerecht werden und auch das taktische System verringert diesen Effekt nicht.

Das beste Beispiel dafür ist Franck Ribéry, der unfassbar aktiv ist und über den fast jeder Angriff läuft. Rund 78 Ballkontakte hat er pro 90 Minuten (Coman 66, Robben 62). Diese Abhängigkeit wird aber zunehmend negativ für den FC Bayern. Je mehr Angriffe der Franzose läuft, desto mehr Fehler und Unkonzentriertheiten schleichen sich in sein Spiel. Was er noch kann, zeigt er trotzdem immer wieder mal. Nur kommen auf jede dieser positiven Aktionen immer mindestens drei negative, in denen er sich festdribbelt, den Ball verliert oder nicht mehr die letzten Meter nach hinten geht.

Arjen Robben ist demgegenüber das komplette Gegenbeispiel. Der Niederländer kommt zwar aus einer Verletzung und hat sich seit seinem Comeback etwas gesteigert, doch seine Leistungen hinterlassen dennoch Fragezeichen. Er hat kaum Einfluss auf das Spiel des FC Bayern und kann sich nur selten durchsetzen. Häufig bricht er seine Läufe ab und sucht dann den Sicherheitspass. Dass ein gerademal ordentlicher Kimmich am Wochenende der Motor der rechten Seite war, ist bezeichnend. Robben verliert aktuell so viel Dominanz, dass er zwar keine Fehler macht, aber auch wenig beisteuert.

Es besteht kein Zweifel daran, dass beide genug Qualitäten besitzen, um den FC Bayern immer noch voranzubringen. Doch muss einer von ihnen sich dazu durchringen, sein eigenes Spiel anzupassen und sich zurückzunehmen, während der Andere seine Form sucht. Da bedarf es der Moderation des Trainers.

Ancelotti versuchte diesem Problem mit der Steuerung ihrer Fitness entgegenzuwirken. Heynckes versucht gerade ähnliches. Nur hat er zwei und einen halben Vorteil. Zunächst ist da das Vertrauen der Spieler, die für ihn alles tun würden. Dazu zählt auch Ribéry, der Heynckes zu schätzen weiß. Die Mannschaft gewinnt ihre Spiele derzeit vor allem über den Willen und die Einstellung. Sie weiß, dass die Wahrscheinlichkeit für eine langfristige Arbeit mit Heynckes nur gering ist und will ihm einen guten Abschied ermöglichen.

Dank der Akzeptanz des Teams hat er einen ganz anderen Zugang zur Mannschaft. Taktische Schwachstellen sind auch unter Heynckes nicht verschwunden, doch er hat eine Grundstruktur etabliert, die es Gegnern zumindest schwerer macht, diese Schwachstellen zu bespielen. Das ist der zweite Vorteil.

„Coman ist eine Waffe, die Heynckes nutzen muss.“

Schließlich gibt es da noch einen halben Vorteil, den auch Carlo Ancelotti hätte haben können. Kingsley Coman blüht richtig auf und wird zunehmend zu dem Spieler, der Robben und Ribéry nicht mehr sein können. Der Franzose macht nur wenige Fehler und traut sich riskante Dribblings zu, die er dann mit beeindruckender Quote gewinnen kann.

Fast 60% seiner Duelle gewinnt er – das entspricht 4,29 erfolgreichen Dribblings von 7,2 Versuchen pro 90 Minuten. Ribéry (1,52/4,7 pro 90 Minuten – 32,35%) und Robben (1,31/3,46 pro 90 Minuten – 37,84%) fallen da deutlich ab. Coman ist sicherer als die beiden, er ist schneller und er ist auf einem guten Weg auch gefährlicher zu werden. Dennoch muss er weiterhin an seinen letzten Aktionen arbeiten. Er kreiert noch nicht so viele Chancen wie Ribéry (1,78 zu 2,91 pro 90 Minuten) und er trifft nicht so oft wie Robben (0,24 zu 0,28 pro 90 Minuten). Zumal die Vergleichswerte für Robbery-Verhältnisse sogar noch gering sind. Hier hat Coman den größten Aufholbedarf, aber er ist auf einem sehr guten Weg.

Die Kräfte von Robben und Ribéry müssen besser verteilt werden.
(Foto: Sebastian Widmann / Bongarts / Getty Images)

Heynckes hat jetzt schon die Möglichkeit, den ersten wichtigen Schritt für eine Zäsur zu gehen, indem er Coman regelmäßig spielen lässt und Robben sowie Ribéry jetzt schon in die Teilzeit beordert. Bayerns Spiel ist derzeit deutlich mehr von Coman und James abhängig als von Robbery. Das kann auch dem Trainerteam nicht entgangen sein. Vielleicht gab es gute Gründe dafür, Coman auf die Bank zu setzen, doch ganz klar wurden diese bisher nicht. Es liegt in seiner Hand, aus seinem halben Vorteil einen ganzen zu machen. Coman ist eine Waffe, die Heynckes nutzen muss.

Die Mannschaft wird unter ihrem Trainer taktisch und entwicklungstechnisch keine großen Sprünge mehr machen. Umso wichtiger ist die Konstellation der 11 Spieler, die er in den großen Spielen auf den Platz schicken wird. Deren Form muss er in den nächsten Wochen auf das bestmögliche Level bringen, um dann zumindest eine kleine Chance in der Champions League zu haben.

Bald ist Rückrundenauftakt

Um diese zu finden, hat der FC Bayern mit Mainz nun den nächsten Test vor der Brust. Die Testspiele gegen Bremen, Leverkusen und Hoffenheim offenbarten speziell in der Defensive einige Probleme. Diese fangen im Verhalten gegen den Ball schon vorne an. Die Mitte muss wieder sicherer am Ball sein und sich ohne Ballbesitz besser organisieren. Gerade die Rolle der beiden Achter ist hier entscheidend. Zu oft öffnen sie Räume, die den eigenen Sechser dann in Unterzahlsituationen bringen. Fünf Gegentore in den letzten drei Spielen sind angesichts der teilweise chaotischen Grundordnung sogar noch wenig. Heynckes wird aus dieser Mannschaft nicht mehr das machen, was sie speziell zwischen 2012 und 2015 war, doch er kann sie wieder auf das Niveau bringen, das sie im Spätherbst hatte.

Dort waren die Bayern auch nicht das alles beherrschende Team, das dem Gegner keine Verschnaufpause gönnte. Aber sie spielten über den Großteil ihrer Partien diszipliniert, hochkonzentriert und mit dem Bewusstsein, dass das eigene Positionsspiel zwar nicht perfekt, aber wichtig für den Erfolg ist. Im Dezember ging dies verloren. Wahrscheinlich auch durch Müdigkeit, Verletzungen und Formkrisen, aber das darf für diesen Kader nicht als einzige Ausrede gelten.

In den nächsten Spielen hat Heynckes dank der Tabellensituation genügend Zeit, um das Team wieder auf ein taktisch besseres Niveau zu bringen. Sie will ja, aber es fehlt an Struktur und taktischer Disziplin. Dinge die auf höherem Niveau sofort einen Unterschied machen.

Vieles hängt im Mittelfeld an der Zusammensetzung. Gerade James muss auf der Acht einiges an Defensivarbeit verrichten. Dass er das nicht so gut kann wie Thiago, liegt in der Natur der Sache. Auch Vidals Fähigkeiten im Pressing könnte man noch gewinnbringender einbinden, indem man seine undisziplinierten Ausbrüche aus der Kette zumindest versucht zu begrenzen und zu kontrollieren, ohne sie gänzlich zu verbieten. Gerade wenn er mit Tolisso spielt, sind Abstimmung und Kontrolle in Ballbesitz ein großes Problem. Kommt Rudy als Sechser hinzu, ergibt sich eine Mischung, in der alle in irgendeinem Bereich komplett überfordert sind.

Eine Grafik des Tweets von „@11tegen11“ zeigt die durchschnittlichen Positionen und Verbindungen der Bayern-Spieler im Spiel gegen Bremen. Einerseits wird deutlich, dass die Abstände im Mittelfeld nicht perfekt passten. James und Müller ließen sich zu oft nach außen drücken und Martínez musste deshalb einen großen Raum alleine verteidigen. Auch in Ballbesitz gibt es Staffelungsprobleme, die den Spielaufbau erschweren. Hier muss in den nächsten Wochen justiert werden.

Spielerisch konnte James zuletzt gut kaschieren, dass Thiago fehlt. Dennoch muss man sehr darauf hoffen, dass er bald zurückkehrt. Thiago ist die Achse des Spiels. Er verbindet die Defensive mit der Offensive und sorgt dafür, dass die Balance im Bayernspiel perfekt ist. Der Spanier ist unersetzlich und wie gut wäre James erst, wenn er sich endgültig auf seine Offensivaufgaben konzentrieren könnte?

Im nächsten Spiel gegen Mainz wird das allerdings noch ein Traum bleiben und beim Rückrundenauftakt in Paderborn ist diese Baustelle noch kein großes Thema. Am 20. Februar geht das Jahr für den FC Bayern dann aber so richtig los und dann wäre es wichtig, Thiago wieder an Board zu haben. Er ist die große Hoffnung darauf, dass im Mittelfeld des Rekordmeisters wieder ein Hauch von Ruhe, Struktur und Dominanz einkehrt. Gemeinsam mit Heynckes‘ Kompetenzen in der Mannschaftsführung und Peter Hermanns taktischer Akribie kann das zu einer guten Lösung für die derzeitigen Probleme führen.

Es sollte nicht der Anspruch des FC Bayern sein, seine taktischen und spielerischen Defizite mit etwas spanischem Klebeband und guter Form von Einzelspielern zu lösen. Doch zumindest diese Saison betreffend, ist das der einzig sinnvolle und realistische Weg zur Konkurrenzfähigkeit in Europa.

Fantipp

Im Fantipp tippt einer unserer Leser den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem Tipp aus der Miasanrot-Redaktion. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Fans mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Insgesamt steht es nach den jüngsten Ergebnissen 29:20 für die Redaktion. Zu Gast ist diese Woche Miasanrot-Leser Flo. Er ist 36 Jahre alt und verlor durch Brian Laudrup sein Herz an den FC Bayern.

Flo: Gefühlt sind Spiele gegen Mainz, besonders in Mainz, mindestens unangenehm, wenn nicht sogar schwer. Auch wenn die Bilanz bei den letzten Spielen in Mainz eine andere Sprache spricht. So stehen hier doch 5 Auswärtssiege am Stück. Jedoch waren die meisten dieser Spiele hart umkämpft, lange offen, und teilweise mit einem glücklichen Ende für den FCB.

Da der FCB in der Liga aktuell keinen Druck verspürt, die Champions League noch weit weg ist, Heynckes auf einigen Positionen wieder rotieren wird und insgesamt die Balance in der Mannschaft, besonders in der Defensive, noch nicht stimmig wirkt, erwarte ich, bei nass-kalten 4°C, ein umkämpftes 2:2 Unentschieden, mit dem dann beide Teams gut leben können.

Justin: Zu den Wetterbedingungen gesellt sich ein zuletzt sehr schwer bespielbarer Platz. Vielleicht eher etwas für Vidal sowie Martínez und weniger für Coman oder James. Ich erwarte deshalb und wegen der von mir beschriebenen Probleme kein attraktives Duell. Bayern wird aber auch diese Partie gewinnen. Am Ende durch ein langweiliges 1:0. Die Temperaturen möchte ich im Gegensatz zu Flo aber nicht tippen. Das überlasse ich Herrn Kachelmann.