Vorschau: Paris Saint-Germain – FC Bayern München

Justin Trenner 26.09.2017

Das 2:2 gegen den VfL Wolfsburg wurde den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Nach zwei guten Spielen gab es erneut einen großen Rückschritt. Viel aussagekräftiger als das Ergebnis war aber die Leistung des FC Bayern. Die Mannschaft hat spürbar an Hunger verloren. Es scheint, als würde die Motivation von Spiel zu Spiel schwanken.

Der Klub schwimmt seit 2016 im eigenen Saft

2013 waren Teile des Kaders auf dem Zenit. Es folgten drei Jahre auf allerhöchstem Niveau. Gemeinsam gelang es Vorstand, Trainerteam und den Spielern, dieses Niveau zu halten, sich fußballerisch sogar noch zu verbessern. Taktisch, aber auch mit klugen Umstrukturierungen des Kaders. Eine Mischung, die erfolgreich, ja in dieser Länge sogar einzigartig in der Geschichte der Bundesliga war.

Der erwartbare Einbruch konnte verhindert werden. Oder besser gesagt: vertagt auf 2016/17. Auch diesmal war er vermeidbar. Robbens vermeintliche Forderung nach mehr Anspruch im Training und Hummels‘ Interview nach dem Wolfsburg-Spiel, in dem er die Taktik kritisierte, sprechen für sich. Der Klub schwimmt seit 2016 im eigenen Saft.

Das gilt für viele Ebenen. Fragwürdige Personalentscheidungen in wichtigen Positionen und öffentliche Aussagen nach schlechten Spielen, die alles beschönigen, sind nur ein Teil des Problems, das auch weit über eine Trainerdebatte hinausgeht. Die Frage ist, wofür der FC Bayern in der Zukunft stehen will. Mal positioniert er sich gegen das Gelddruckmodell von Manchester City und Paris. Mal präsentiert er mit stolz geschwellter Brust den nächsten dubiosen Katar-Deal. Und kaum reißt einer der Klub-Bosse die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit an sich, kontert der andere mit dem entgegengesetzten Machtwort.

Immerhin auf der Wiesn präsentierte sich der FC Bayern als Einheit.
(Foto: Alexandra Beier / Bongarts / Getty Images)

Der FCB steht zwischen dem Weg eines heimatbezogenen mittelständischen Unternehmens und dem eines komplett durchkalkulierten Riesen in der Branche. Das führt zu Widersprüchen, fehlender Konsequenz und Fragezeichen bei vielen Beobachtern. Es reicht augenscheinlich, um sich in der Bundesliga so weit abzusetzen, dass sogar Teams mit mehr Punkten auf dem Konto die Favoritenrolle scheuen. Allerdings wird es mit dieser schwammigen Lösung nicht reichen, um den Anschluss an Europas Spitze zu halten.

Bereits in der vergangenen Saison hätte es mehr Wandel geben müssen. Keinen Verwalter, der Guardiolas Fußball irgendwie halten möchte. Einen, der einerseits die Mannschaft neu herausfordert, den Ersatz alternder Spieler vorbereitet und für Veränderung sorgt. Aber auch jemanden, der andererseits die wichtigen Kernelemente der spielerischen Philosophie des Klubs verinnerlicht und um eigene Ideen erweitern kann.

Die Lösung war ein großer Name. Bemühungen um eine besser passende Lösung gab es unabhängig vom Markt wohl nicht. Wie so oft war es eine Bauchentscheidung und der Gedanke daran, aus einer alternden Generation nochmal alles herausholen zu wollen. Langfristig wurde dabei aber nicht gedacht.

Und doch ist es immer noch möglich, die sportliche Rückentwicklung zumindest mit der individuellen Qualität der Spieler zu überbrücken. Faktisch ist noch nicht viel passiert in dieser jungen Saison. Eine Niederlage gegen Hoffenheim und ein Unentschieden gegen Martin Schmidt gab es zuletzt auch hin und wieder. Am Mittwochabend wird man aber erstmals sehen, ob der FC Bayern trotz fehlender taktischer Tiefe und trotz der negativen Tendenz in der Lage ist, international noch mit starken Teams mitzuhalten und sich wieder als Team zu präsentieren.

Spielvorschau

(Foto: Ronny Hartmann / Bongarts / Getty Images)

Paris zählt ganz sicher zu diesen starken Mannschaften. Bei allen Misserfolgen, die der Klub in den letzten Jahren in der Champions League hatte, muss man sie dennoch zu den Mitfavoriten auf den Titel zählen. Diesen Anspruch hat PSG nicht zuletzt wegen den Rekordtransfers, die sie mit Neymar und Mbappé tätigten. Auch spielerisch haben sie die Möglichkeiten, große Teams zu deklassieren. Das großartige Hinspiel der vergangenen Spielzeit gegen Barcelona führte dies eindrucksvoll vor Augen.

Allerdings ist das katastrophale Rückspiel ebenfalls ein Zeichen dafür, dass zum Top-Team zuletzt noch ein bisschen was fehlte. In der Liga starteten die Franzosen mit sechs Siegen und einem Unentschieden gewohnt stabil. Auch für Paris wird sich jedoch erst am Mittwoch zeigen, wo genau sie im Moment stehen.

Es wird ein Duell zweier Ballbesitzmannschaften. Am Ende ist deshalb entscheidend, wer mehr Kontrolle über die Partie hat. Paris hat eine unfassbar gut abgestimmte Dreierkombination im Mittelfeld, die es den Bayern schwer machen wird. Motta als tiefer spielmachender Sechser, Verratti als kreatives Herz des Spiels und Rabiot, der spielerische Klasse mit gutem Positionsspiel und großer Sicherheit verbindet.

Dieses großartige Mittelfeld dürfen die Münchner nicht spielen lassen. Können sie ihre Ballzirkulation aufrecht erhalten und die Verbindungen nach vorne finden, ist das Duell schon fast verloren. Denn vorne wartet eine nicht weniger gefährliche Dreierreihe. Neymar und Mbappé als Außenstürmer, die immer wieder Wege in die Halbräume suchen und Cavani, der es gut versteht, die beiden mit unterstützenden Bewegungen in Szene zu setzen. Der Stürmer lässt sich häufig fallen und öffnet somit Räume für seine Mitspieler.

Bayerns Pressing muss deshalb funktionieren. Ancelotti wird die Entscheidung treffen müssen, ob sein Team auswärts ein höheres, aber abwartenderes Mittelfeldpressing spielen soll oder ob es direkt hoch anläuft, um Paris unter Druck zu setzen. Beides erfordert hohe Konzentration und ein gutes Coaching der Spieler untereinander, um die Kompaktheit zu halten. Hinzu kommt die nötige Disziplin, um nicht nur auf die Abstände zu achten, sondern auch unnötige Mannorientierungen zu vermeiden.

Vor dem Freistoß zum 1:2 der Wolfsburger rückte Vidal heraus und öffnete so den Weg für einen diagonalen Ball. Er verspekulierte sich und hatte damit einen weiten Weg zurück. Bayerns Abwehr sah sich deshalb unter Druck. Zu viel ist derzeit Zufall und zu wenig wirklich abgestimmt. Paris wird diese Lücken eiskalt nutzen, wenn sie wieder entstehen.

Grundsätzlich muss Bayern aber das machen, was sie am besten können: den Ball laufen lassen und PSG die Kontrolle nehmen. Kontrollverlust ist Gift für jede Ballbesitzmannschaft. Das zeigte sich bei den Münchnern gegen Leverkusen, Hoffenheim und nun auch gegen Wolfsburg. Selbiges könnte Paris drohen, wenn die Bayern ihr Spiel auf den Platz bekommen.

Die Abwehrkette der Franzosen ist individuell zwar sehr gut besetzt, mannschaftstaktisch funktioniert sie aber noch nicht perfekt. Die Konterabsicherung ist nicht immer so herausragend, wie man das bei nur drei Gegentoren in sieben Spielen vielleicht glauben mag. Auch das Pressing der Pariser ist nicht perfekt, wenngleich etwas strukturierter als das der Bayern. Nur fällt das beim französischen Serienmeister mehr ins Gewicht, weil die Viererkette hinten im Zweikampfverhalten nicht ganz so dominant ist wie die des FCB.

Die Schlüssel zum Sieg

Bayerns Verteidiger waren der Hauptgrund dafür, dass die Anzahl der Gegentore noch nicht höher ist. Gegen Paris sollte sich der fünfmalige Champions-League-Sieger aber nicht nur auf die letzte Reihe verlassen. Vielmehr gibt es gleich eine Vielzahl von Duellen und Voraussetzungen, die über den Ausgang des Spiels mitentscheiden.

1. Sven Ulreich braucht einen Sahnetag

Die fehlende Kompaktheit gegen den Ball wird für den ein oder anderen Durchbruch des Gegners sorgen. Deshalb sollte Ulreich lieber einen besseren Tag erwischen als am Wochenende. Er hat durchaus die Klasse, um in einem Spiel den Wegbruch von Manuel Neuer zumindest auf der Linie zu kompensieren. Allerdings ist der ehemalige Stuttgarter eine viel größere Wundertüte. Seine Tagesform kann den Ausgang massiv beeinflussen.

Sven Ulreich sah gegen Wolfsburg nicht gut aus. Gegen Paris braucht er eine andere Tagesform.
(Foto: Guenter Schiffmann / AFP / Getty Images)

2. Joshua Kimmich und Rafinha vs. Neymar und Mbappé – oder spielt doch Alaba?

Auf dieses Duell kann sich die Fußballwelt freuen: Kimmich gegen Neymar. Für den Deutschen ist es nicht die erste große Herausforderung. Er konnte sich schon in Turin als Innenverteidiger beweisen. Trotzdem dürfte das Duell mit dem Brasilianer nochmal eine andere Nummer werden. Kimmichs Saisonstart war vielversprechend, doch er zeigte auch, dass die Balance zwischen Offensive und Defensive manchmal noch fehlt. Gegen Neymar wird er heiß darauf sein, eine große Partie abzuliefern.

Kimmich kann das packen, doch man sollte auch nicht zu viel erwarten. Unterstützung der Mitspieler und gerade die Absicherung des Mittelfelds bei Vorstößen des 22-Jährigen sind unabdingbar. Auf diesem Niveau kann er lernen. Es ist ihm aber zuzutrauen, dass er erneut einen raushaut und entscheidenden Anteil an einer guten Ausgangsposition für die Bayern haben wird.

Auch bei Rafinha lässt sich vorher nicht sagen, wie er mit dem jungen Mbappé zurechtkommen wird. Gegen Wolfsburg offenbarten sich erstmals Probleme. Alaba hat sich unter der Woche wieder fit gemeldet, doch ob der Österreicher schon in Paris eine Option von Anfang an sein kann, lässt sich kaum sagen. Beide Außenverteidiger der Bayern müssen jedenfalls an ihre Leistungsgrenze gehen, damit der herausragende Angriff der Pariser gestoppt wird.

3. Die Schlacht der Mittelfeldreihen

Verratti, Motta und Rabiot – wir haben angedeutet, welche Klasse diese Spieler haben. Auf Bayernseite dürfte Thiago zurückkehren. Doch schon gegen Real Madrid zeigte sich, dass er alleine gegen ein so starkes Dreiergespann nicht ankommen kann. Umso wichtiger ist die Form seiner Mitstreiter. Ancelotti könnte in Paris erneut in einem großen Spiel auf Thomas Müller verzichten, was aus taktischer Sicht vielleicht gar nicht so unklug wäre.

Ist Vidal fit, ist er wohl gesetzt. Deshalb braucht Thiago eigentlich noch eine weitere spielerische Lösung an seiner Seite. Rudy und James würden sich hier anbieten. Ersterer wäre gegen den Ball die kompaktere Variante, der Kolumbianer hingegen die mutigere. Ancelotti hat hier zwei Probleme zu beachten. Zunächst, dass Thiago alleine das Spiel im Mittelfeld nicht an sich reißen kann und Vidal dafür nicht das richtige Pendant ist. Auch Tolisso hat speziell unter Druck bisher keinen guten Eindruck hinterlassen und wäre neben dem Chilenen nicht die beste Option.

Rudy wird den Ansprüchen theoretisch am meisten gerecht. Eine Dreierkombination aus Vidal, Rudy und Thiago hätte an einem guten Tag alle Möglichkeiten, um Paris die Kontrolle im Zentrum abzunehmen. Doch setzt Ancelotti dafür James, Müller und Tolisso auf die Bank? Schwer vorstellbar.

Das zweite Problem ist Robert Lewandowski, der einen Schattenspieler um sich herum braucht, damit Bayern auch im Zentrum wieder genug Präsenz hat. Spielen Rudy und Vidal, könnte Thiago diese Rolle bekleiden. Allerdings wird dieser auch in tieferen Zonen gebraucht. Setzt der Trainer doch auf Müller, wäre das Problem nichtig, dafür Thiago vermutlich alleine neben Vidal. Bekommt James die Möglichkeit, ist dasselbe zu fürchten.

Ancelotti muss deshalb gut überdenken, wen er gegen die spielstarken Pariser aufstellt und ob er eine kompakte 1-2-Staffelung im Mittelfeld einer 2-1-Staffelung mit klarem Zehner vielleicht vorzieht. Dann wird es allerdings spannend, wie die Münchner die Balance hinbekommen, um Lewandowski ohne zu viel Risiko zu untertützen. Keine einfache Aufgabe für den Italiener.

PSG liebt es, aus der kontrollierten Ballzirkulation heraus den Gegner in Bewegung zu bringen. Neymar wird immer wieder die Wege in den Zwischenlinienraum gehen, während Mbappé eher die Tiefe sucht.

Bayern muss diese Verbindungen früh kappen und verhindern, dass die Pariser in den Zehner-Raum kommen. Im Zentrum wird die Entscheidung fallen und wer sich dort am besten, aber auch am effektivsten entfaltet, hat die besten Karten.

4. Als Team angreifen und verteidigen

Es ist die erste Standortbestimmung der Saison und der FC Bayern wird danach schlauer sein. Wo steht der Klub derzeit in Europa? Kann man den Schalter nach einem schwachen Spiel erneut umlegen? Ist die Augenhöhe mit Europas Besten noch in Reichweite? Viele Fragen, auf die Paris vielleicht die ersten Antworten parat hat.

Für Bayern ist ein gutes Ergebnis wichtig, um die Chance auf den Gruppensieg aufrechtzuerhalten. Selbst eine knappe Niederlage mit Auswärtstor könnte man in München noch drehen. Doch Anspruch sollte ein Sieg sein.

Der deutsche Rekordmeister wird aus dieser Woche nur positiv herauskommen, wenn er sich wieder als Team präsentiert. Als geschlossene Einheit, die alle taktischen Schwächen im Gegenpressing und Positionsspiel mit Lauffreudigkeit, Hunger und Gier auf Erfolg kaschiert. Wenn sie gemeinsam angreifen und gemeinsam verteidigen, steigen die Chancen auf einen guten Auftritt.

Denn eines ist klar: Auch wenn dieser FC Bayern angreifbar geworden ist und das Sonnen im eigenen Erfolg dazu führt, dass der Fokus in einigen Partien fehlt, ist dieser Kader herausragend gut. Und die Motivation auf dieses Spiel ist nicht mit der vom Freitag zu vergleichen. Eine ganz große Qualität des Klubs ist es, genau in diesen Momenten abzuliefern. Die gilt es jetzt zu zeigen. Mal wieder. Andernfalls droht eine bittere Niederlage.

Wissenswertes zum Spiel

  • Bayern traf bereits drei Mal in einer Gruppenphase auf PSG. In Paris hagelte es 1994 (0:2), 1997 (1:3) und 2000 (0:1) jeweils Niederlagen. Zu Hause gab es zwei Siege und eine weitere Niederlage.
  • Rekordtorschützen der Bayern gegen Paris sind Giovane Elber und Carsten Jancker (jeweils 2 Tore).
  • PSG netzte in fünf von sechs Duellen gegen die Münchner. Bayern blieb gleich drei Mal torlos.
  • Das Spiel wird am Mittwochabend um 20:45 Uhr angepfiffen und im ZDF sowie auf Sky übertragen.

Expertentipp

Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Das Unentschieden hat niemand kommen sehen. Es bleibt also beim 10:6 für die Redaktion. Diese Woche haben wir keinen PSG-Experten zu Gast, dafür aber jemanden, der sich sehr gut mit knappen Duellen mit den Franzosen auskennt. Alex Truica ist freier Journalist und hin und wieder bei grup14.com zu lesen. Er ist Experte, wenn es um den FC Barcelona geht. Diesmal tippt er die Partie der Bayern gegen Paris. Sein Kontrahent aus unserer Redaktion ist Dennis.

Alex: Für den FC Bayern ist das ein enorm wichtiges Spiel – für PSG aber auch. Die Bayern brauchen ein gutes Resultat für ihr Selbstwertgefühl und für die Stimmung rund um den Klub in den nächsten Wochen. Paris will natürlich endlich mal ein internationales Ausrufezeichen setzen, auch vor dem Hintergrund der Querelen rund um Neymar und Cavani. Für beide Vereine also ein richtungsweisendes Spiel. Ich glaube, die Bayern werden mit der Angriffswucht PSGs nicht fertig. Tipp: 3:1. Vielleicht trifft amüsanterweise ja sogar Cavani per Elfmeter, wer weiß.
Dennis: Die Bayern gehen in das erste Highlightspiel der Saison – mit einigen Fragezeichen. Finden sie eine Spielerkombination, die das Mittelfeldduell gegen Motta, Verratti und Rabiot gewinnen kann? Können sie die wiederkehrenden Lücken im Defensivverbund und die verletzungsbedingten Ausfälle kompensieren, gegen eine Pariser Angriffsreihe die an den „Teufelsdreier“ der Kickers erinnert? Können eigene Konter mit definierten Lauf- und Passwegen endlich mal effektiv genutzt werden? Ich denke nicht. Paris wird deutlich dominieren, aber die Münchner werden den wichtigen Anschlusstreffer zum 2:1 am Ende des Tages doch noch über die Linie drücken.