Vorschau: FC Bayern München – FSV Mainz 05

Justin Trenner 15.09.2017
(Foto: Sebastian Widmann / Bongarts / Getty Images)

Nicht nur das Wetter ist dieser Tage kalt und stürmisch. Als Joshua Kimmich nach Traumvorlage von Jérôme Boateng spät zur endgültigen Entscheidung netzt, erntet er Frust eines Mitspielers. Die Rede ist von Robert Lewandowski. Der Pole gibt derzeit kein glückliches Bild ab. Schon vorher in der Partie ignorierte er Arjen Robben, versuchte seinen Gegenspieler alleine zu überwinden und scheiterte. Okay, auch Robben hat nicht selten diese Tage, an denen er alles alleine machen möchte.

Viel besorgniserregender waren die Szenen danach. Der Niederländer lächelte verzweifelt und rief fragend: „Lewy?!“. Der wiederum würdigte Robben keines Blickes und blieb in seiner eigenen Welt. Den Höhepunkt erreichte er in seinem Tunnel, als er nach besagtem 3:0-Treffer abdrehte und wütend reagierte, weil er den Ball nicht bekam. Der Frust sitzt tief.

Laut Kicker und anderen Medien soll die Mannschaft intern Differenzen haben. Angeblich habe Neuer in dieser Woche vor einem Training den Mannschaftsgeist beschworen und die Führungsspieler dazu animiert, Verantwortung zu übernehmen. Schon früh in der Saison sind alle gefordert. Die Spieler, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und auf dem Platz eine andere Einstellung zu zeigen. Aber auch der Trainer, der für seinen Kader Verantwortung trägt.

Manuel Neuer soll seine Mitspieler aufgefordert haben, sich auf den Fußball zu konzentrieren, so der Kicker.
(Foto: Alexander Hassenstein / Bongarts / Getty Images)

Diese zwischenmenschlichen Probleme sind neu. Auch vorher gab es mal Konflikte, doch die waren im Vergleich Problemchen. Robben soll sich seit Wochen über zu lasches Training beschweren, so der Kicker. Wie viel an den einzelnen Vorwürfen der Medien dran ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Doch sie passen ins Bild des FC Hollywood, der weder auf noch neben dem Platz eine gute Figur abgibt.

3 Dinge, die fehlen…

Denn wenn man nun zum sportlichen kommt, wird der Ton nicht freudiger. Der nächste Gegner hat in dieser Saison interessante Ansätze gezeigt. Ein Hauch von Positionsspiel war in den ersten Auftritten der Mainzer zu erkennen. Natürlich reicht die individuelle Qualität nicht, um ein Spiel von vorne weg zu dominieren. Aber die Mainzer haben eine klare Struktur.

Viele Passdreiecke und ein erkennbarer roter Faden sind die Lichtblicke in der bisherigen Saison. Zwar holten sie aus drei Partien nur einen Sieg, aber der gezeigte Fußball war schon sehr interessant. Gegen Bayern könnte die strukturierte Grundordnung helfen, um Lücken auszunutzen und über Konter zu punkten. Der Rekordmeister sollte sich aber auf sich selbst konzentrieren und auf drei Dinge ganz besonders achten.

1. Struktur und Zehnerraum

Angefangen bei der bereits mehrfach diskutierten Struktur. Die Struktur war in Phasen ganz gut, aber nie konstant. Oftmals stehen bis zu sieben Bayern-Spieler vor der Mittelfeldreihe oder in der Abwehrreihe des Gegners.

Will man sich in das letzte Drittel kombinieren, fehlt es dann an der Besetzung zwischen den Linien. Hier ist der Zehnerraum eine große Thematik. Ob Ancelotti nun nominell im 4-3-3 oder 4-2-3-1 spielen ließ, machte keinen Unterschied. Unter der Woche startete mit James jemand, der als Zehner gilt. Allerdings wich der Kolumbianer immer wieder auf die Außenbahnen aus und sorgte dafür, dass Lewandowski in der Luft hing.

Die oben gezeigte Szene aus dem Anderlecht-Spiel ist stellvertretend dafür: Lewandowski rückt nach außen, weil Robben nach innen dribbelt. James besetzt nicht Lewandowskis Stürmerposition, sondern kippt auf der anderen Seite ebenfalls nach außen, wo eigentlich Ribéry ist. Robben dribbelt, findet aber keine Lösung. Es dauert mehrere Sekunden, bis der Ball drüben beim Franzosen ist. Zwischen die Linien kamen die Bayern dabei nicht und Anderlecht hat genügend Zeit gehabt um zu verschieben. Die Szene endete mit einer James-Flanke unter Druck die locker verteidigt wurde.

So war das mehrfach. Flanken, Flanken und nochmals Flanken. Nicht zehn, nicht zwanzig – was nebenbei erwähnt schon viel wäre. Nein, ganze 34 Flanken waren es gegen Anderlecht. Schon gegen Bremen waren es über 30, gegen Hoffenheim gar über 40. In keinem anderen Stilmittel äußert sich die Verwaisung des Zehnerraums mehr, als in diesen verzweifelten Flanken. Es ist nicht mal so, dass dahinter ein spezielles Konzept stecken würde. Die Hereingaben entstehen aus reiner Alternativlosigkeit und aus Positionen, die dafür nicht ideal sind.

Spielerische Leichtigkeit war gestern. Die Spieler haben keine klaren Rollen mehr, sondern bewegen sich mit allen Freiheiten. Ribéry dribbelt sich fest oder Mitspieler auf die Füße, James bewegt sich auf die Sechs, in die Halbräume und auf die Flügel, jedoch selten in die Zentrale und Lewandowski hängt irgendwo unverbunden rum. In der ersten Halbzeit hatte Anderlecht in Unterzahl mehr klare Chancen durch Kurzpassspiel kreiert als der FC Bayern. Derzeit reichen defensive Stabilität und die Fähigkeit, den ein oder anderen Konter zu setzen, um die Bayern zu schlagen. Und die Mainzer verstanden es bisher ganz gut, gegen den Ball die Räume zu verengen.

2. Anpassungsfähigkeit

Bayern ist zudem nicht in der Lage, taktische Entwicklungen zu erkennen und die eigene Spielweise an diese anzupassen. Die fehlende Struktur wird nämlich auch gegen den Ball zum Eigentor. In vielen Phasen wirkte das Pressing der Bayern mehr zufällig als geplant. Chaos dominiert das hohe Anlaufen bisweilen und für die Gegner öffnen sich damit Lücken.

Hoffenheim bespielte diese, Leverkusen ebenfalls und selbst Anderlecht gelang dies mit einem Mann weniger. Stellt der Gegner um, weil er diese Lücken erkennt, sieht es düster aus. Besserung ist derzeit nicht in Sicht. Die Initiative muss hier auch von den Spielern kommen, die sich auf dem Platz als Einheit präsentieren und sich mehr denn je gegenseitig coachen müssen.

Mainz hat das Potential, um diese Schwäche auszunutzen und Bayern auf eine Ebene zu ziehen, auf der sie sich auf Augenhöhe kontern können. Ein gefährliches Szenario, das um jeden Preis verhindert werden sollte. Dafür braucht es aber nicht nur die taktische Qualität, sondern vor allem auch die zwischenmenschliche, die eine Bedingung für das ist, was auf dem Platz passiert.

Bayern präsentiert sich nicht mehr als geschlossenes Konstrukt, das von außen nichts reinlässt. Im Gegenteil: Teile dieser Gemeinschaft bewegen sich nach außen, um dann nach innen zu feuern. Eigene Interessen haben derzeit eine größere Bedeutung als das Wohl der Mannschaft.

3. Einstellung und Teamgeist

Dieser Vorwurf gilt aber nicht allein Ancelotti. Auch von den eigentlichen Führungsspielern ist wenig zu sehen. Nirgends fehlt Philipp Lahm so sehr, wie in den Situationen, in denen jeder für sich spielt. Der ehemalige Kapitän ging immer vorweg und verstand es sehr gut, dem Spiel von seiner Position aus den richtigen Spin zu geben.

Mit Ruhe, Abgeklärtheit und seiner einzigartigen Aura schaffte er es, auch unruhigen Partien seinen Stempel aufzudrücken und die nötige Büroklammer für den Stapel von Weltklassespielern zu sein. Selbiges gilt für Alonso. Diese Präsenz kann von Kimmich beispielsweise noch nicht kommen. Deshalb sind andere gefordert. Vidal und Ribéry scheitern an ihrer Überemotionalität und auch Robben, der sonst dafür bekannt war schwachen Spielen seinen Stempel aufzudrücken, scheint noch nicht so weit zu sein in dieser Saison. Hummels macht seine Sache hinten gut, selbiges gilt für Neuer.

Doch auch sie können von ihren Positionen aus scheinbar nicht genügend einwirken. Ribéry bleibt bei Ballverlusten stehen, Kimmich wird im Halbraum nicht unterstützt und Lewandowski dreht sich lieber wütend ab, als mit dem Team zu feiern.

Was wirklich in der Kabine passiert, kann nur spekuliert werden. Alle Anzeichen die nach außen dringen, lassen jedoch nichts gutes vermuten. Es bleibt zu hoffen, dass die Spieler Manuel Neuers Rat beherzigen und ihre eigenen Interessen an die zweite Stelle rücken. Nur wenn sich der FC Bayern wieder als Einheit präsentiert und man sieht, dass jeder für jeden da ist, kann diese Saison erfolgreich gestaltet werden.

Und was noch viel wichtiger ist: Nur so ist es möglich, die taktischen Schwächen zu kaschieren. Zehnerraum, Strukturen und Anpassungsfähigkeit sind die eine Sache. Die andere, viel wichtigere ist, dass dieser Kader auch deshalb in der Vergangenheit so erfolgreich war, weil man ausnahmslos Spieler beobachten konnte, die hungrig, ehrgeizig und uneigensinnig waren.

Es gilt zu beobachten, wer diese Eigenschaften noch verkörpert. Bei einigen bleibt der Eindruck der Sattheit, wie auch der des zu großen Egos. Noch ist genügend Zeit, um die Differenzen zu beseitigen. Und oft war der FC Bayern dann am stärksten, wenn ihm die große Krise drohte. Vielleicht kommt es schon gegen Mainz 05 zur Reaktion. Die letzten beiden Heimspiele gegen den FSV konnten sie jedenfalls nicht gewinnen.

Wissenswertes zum Spiel

  • Bayern gewann zu Hause 9 Mal gegen Mainz. 2 Duelle gingen verloren, 2 endeten Remis.
  • Allerdings sind die Münchner gegen den FSV seit zwei Heimspielen ohne Sieg.
  • Roy Makaay und Claudio Pizarro sind die Rekordtorschützen des Duells (jeweils 7 Tore). Arjen Robben hat 6.
  • Sammelt Thomas Müller Minuten, zieht er mit Lahm und Schweinsteiger gleich, die beide 17 Mal gegen Mainz 05 spielten.
  • Anstoß ist am Samstag um 15:30 Uhr. Live übertragen wird das Spiel nur von Sky.
Die wichtigsten Statistiken zum Spiel.

Expertentipp

Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Die Tendenz hat bei beiden gestimmt, das Ergebnis konnte aber niemand erraten. Deshalb steht es nun 8:6 für die Miasanrot-Redaktion. Diese Woche wird Tobias versuchen, die Führung gegen Mara Pfeiffer zu verteidigen. Mara ist Journalistin und Autorin. In ihrem Blog findet ihr in der Gegnerbetrachtung ein ausführliches Interview mit mir.

Mara: Expertentipp fürs eigene Team? Voll mein Ding. Gegen meine Mannschaft zu votieren, bringe ich einfach nicht über mich… Muss ich aber auch nicht, denn Mainz hat in München schon öfter gezeigt, dass sie die Punkte nicht kampflos aufgeben. Defensiv standen wir zuletzt richtig gut, das wird auch gegen Bayern der Schlüssel. Dann müssen unsere Vorderleute, die aus dem Heimsieg großes Selbstbewusstsein mitbringen, ’nur noch‘ ein, zwei Mal die Lücke nach vorne finden, und mein Endergebnis steht: 2-2.

Tobias: Gewinnt Bayern nicht, wird es ungemütlich. Das wissen auch die Spieler, insofern ist eine fokussierte Einstellung und folgerichtig ein dominantes Auftreten zu erwarten; spielerische Brillanz wird trotzdem nicht plötzlich vom Himmel fallen. Mainz wird (wie gefühlt jeder Bundesligist) ankündigen, „mutig mitspielen“ zu wollen, was erfahrungsgemäß aber nur eine Chiffre für ‚Konterfußball & 5er-Kette‘ ist.
Zähes, aber ungefährdetes 2:0.